Marius Müller -Westernhagen


Ein Dutzend Jahre Routine hat er bereits auf dem Buckel. Und doch, viele sind unschlüssig, wenn sie seinen Namen hören: Müller-Westernhagen? Kommt mir bekannt vor. Was macht der? Allerhand. Marius Müller-Westernhagen ist Schauspieler, Texter, Komponist, Sänger. Ein "Macher" also. Doch bis er soweit war, brauchte er auch seine Zeit.

Vor ein paar Jahren noch saß er in seinem Zimmer in der Wohnung seiner Mutter in Düsseldorf und träumte von dem braunen Cord-Sofa in den eigenen vier Wänden. Heute ist dies sein liebster Platz in der Hamburger Wohnung, die er sich vor zwei Jahren eingerichtet hat. Wenn er hier Besuch empfängt, spricht unverhohlener Besitzerstolz aus seinen Augen.

Im grauen Flanellanzug, kariertem Wollhemd und Krawatte — er haßt es, ständig Jeans und T-Shirt zu tragen — thront er auf jenem Sofa und hört Platten von Les McCann oder der Average White Band. Seinen Freunden bietet er zu trinken an, was Janis Joplins frühes Ende beschleunigen halt: Southern Comfort, jenen süßen amerikanischen Whiskey, den sie literweise soff. Während der Unterhaltung nippt Marius noch, doch vor Fernsehauftritten besiegt auch bei ihm die Nervosität oft das Maß. Dann kann sein Rotweinkonsum durchaus mit dem eines französischen Weinbauern mithalten.

Deutsche Vergangenheit in drei Filmen

Marius führt ein Leben, wie man es gar nicht vermutet, wenn man ihn auf Fotos sieht. Da erinnert der hochaufgeschossene dünne Typ mit den dunkelblonden Haarsträhnen auf der bleichen Stirn eher an einen Flüchtlingsjungen in den Wirren der Nachkriegszeit. Als Fernsehschauspieler stört ihn dieses Image nicht. Im vergangenen Jahr konnte er immerhin in drei Filmen deutsche Vergangenheit nachspielen. Unter anderem erhielt er seine erste Hauptrolle in einem Spielfilm (der natürlich auch in Kriegszeiten spielt) von Ottokar Runze. „Verlorenes Leben“ heißt er und Cineasten haben seinen Start in irgenwelchen Kunstkinos vielleicht schon bemerkt.

Mit 15 Jahren vor der Kamera

Auch wenn Marius Müller-Westernhagen in den zwölf Jahren seiner Karriere einiges erreicht hat, die Massen hat er noch nicht auf seiner Seite. Obwohl ihm sein erster Fernseherfolg mit 15 Jahren bereits in den Schoß fiel, waren die Anfangsjahre hart genug. Damals muß sich auch jener hungrige Zug in seinem Gesicht entwickelt haben. Marius‘ Vater, ein in Düsseldorf bekannter Schauspieler, hatte seinem Sohn eine Rolle in einem Fernsehfilm besorgt. Marius fand Gefallen an der Arbeit und vor allem an der Gage. Fünfzehnhundert Mark konnten einen Fünfzehnjährigen schon beeindrucken. Im Mittelpunkt vor der Kamera zu stehen, entsprach seiner Eitelkeit, und die Aussicht, damit auch noch viel Geld zu verdienen, weckte seinen Ehrgeiz. Er beschloß, für sein weiteres Leben nicht mehr in der Schule, sondern im Studio zu lernen. Doch sein Vater, der mit dem Entschluß einverstanden war, konnte ihm den Lehrer nicht ersetzen. Unerwartet starb er, bevor Marius überhaupt eine weitere Rolle erhielt. Eine Schauspiellehrerin verschreckte ihn mehr als ihm die Kunst der Mimik beizubringen. Ohne Leitbild stand Marius da, mit einem Beruf, der ihm zwar das nötige Kleingeld sicherte, aber nicht die rechte Erfüllung brachte. Marius spielte Rollen, mit denen er sich nicht identifizieren konnte

Er wirkte in Klamaukfilmen mit, wie „Hurra, bei uns geht’s rund!“ und spielte den ausgeflippten Jugendlichen in sozialkritischen Fernsehreihen. Er beschäftigte sich beruflich mit Problemen, die mit seinen privaten nichts oder nur wenig zu tun hatten.

„Vor lauter Eitelkeit stand ich mir selbst im Wege“

Wie vielen jungen Menschen blieb auch ihm nichts anderes übrig, als seine Selbstverwirklichung in der Freizeit zu suchen. Wie viele seiner Altersgenossen föhnte er sich die Ohren voll mit den heißen Rockfetzern der sechziger Jahre. Er orientierte sich an den neuen Leitbildern der Musikszene und kopierte als Sänger einer Amateurband in Düsseldorf jeden, mit dem er sich auf einer Wellenlänge fühlte.

Leider brachte ihn das beruflich nicht weiter als einen kaufmännischen Lehrling, dem bei der Beantwortung von Geschäftsbriefen nur Mick Jaggers Verse einfallen. Er produzierte nichts Eigenständiges. Heute weiß Marius es besser: „Ich nahm mich selbst immer wichtiger als das, was ich machte! Vor lauter Eitelkeit stand ich mir selbst im Wege“.

„Gib Bayern zurück an die Bayern…“

Ansätze, etwas Eigenes zu entwickeln, gab es schon früher genug. Ende der sechziger Jahre konnte Marius als Amateur vereinen, was er als Profi erst im vergangenen Jahr geschafft hat — Schauspieler und Sänger zu sein. Mit seiner Band ,Harakiri‘ stellte er in einem Fernsehfilm einen Musiker dar. 1972 schließlich war der vielversprechende Augenblick gekommen: die Produktion der ersten Platte. Für die Fernsehsendung ,Express‘ sang er als Persiflage der McCartney-Nummer ,Give Ireland Back To The Irish‘ ,Gib Bayern zurück an die Bayern‘. Das wurde zwar kein Verkaufserfolg, aber entfachte einen witzigen Zwergenaufstand in Süddeutschland. Dann, schon in Hamburg, ein weiterer Anlauf. Für den Spielfilm .Supermarkt‘ von Roland Klick, in dem Marius den Hauptdarsteller, einen Laienspieler, synchronisierte, sang er den Titelsong .Celebration‘. Auch kein Erfolg, aber immerhin die zweite Single im Schrank.

„Dem Typen geht’s wie mir!“

Erst vor zwei Jahren begriff Marius, daß er umsonst auf ein Startzeichen wartete. Wenn er etwas erreichen wollte, mußte er einfach losrennen. In vier Tagen und Nächten schrieb er die Texte seiner ersten Langspielplatte. Titel“. „Das erste Mal“. Ergebnis: zehn autobiographische Lieder, die dem Hörer viel Verständnis für seine Situation abverlangen. Denn Marius singt nicht für ein bestimmtes Publikum, sondern um seine eigenen Probleme zu verarbeiten. Egoistisch vielleicht, doch auch sehr ehrlich. Letzlich hofft er, daß seine Hörer ihn verstehen und womöglich feststellen: „Doch, dem Typen geht’s ähnlich wie mir.“ Auf seiner zweiten Platte („Bittersüß“), die in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist, besingt Marius wieder Intimes aus seiner Privatsphäre (Home Story mit Musik), doch läßt er auch mal den Blick aus dem Fenster schweifen. Man erfährt, daß seine Freundin zehn Jahre älter ist und 4 nn wieder auflädt‘, wenn ihn Selbstzweifel quälen (,36′ und ,Ich hab dich so schrecklich lieb‘), daß er Angst hat, ein Star zu sein (,Armer Star‘), obwohl er es sich natürlich wünscht. Darüber hinaus beschreibt er Probleme anderer Leute wie den Ehekrach von ,Paula‘ und ‚Franz Stumpf‘, die Krankheit der Karin Schmitz (,Endspurt‘), seine Einstellung zu Rudi Carrell und zu Fußballern, die sich nach oben gekickt haben und den Erfolg nicht verkraften (,Einer wie er‘).

Starker Ehrgeiz und viel Arbeit

Die Musik schrieben Peter Hesslein und Marius selbst und man merkt ihr an, daß er anspruchsvolle Vorbilder hat. Man merkt auch, daß hinter dieser Platte ungeheurer Ehrgeiz und viel Arbeit stehen. Marius hat seine Ziele so hoch gesteckt, daß „man Depressionen bekommen kann, wenn man darüber nachdenkt, ob man es je schaffen wird. Doch mich spornt es an“.

Müßig zu beurteilen, ob es sich um ein künstlerisches Werk handelt oder ob man die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit miterlebt. Anerkennenswert ist es, daß dieser Junge sich nicht von irgendeinem Produzenten betreuen läßt und auf den Erfolg wartet, sondern hart daran arbeitet. Irgendwann wird er an der Reaktion des Publikums merken, wen er anspricht.

Auf der braunen Couch in seiner Hamburger Wohnung träumt er oft — laut – von einem kommerziellen Erfolg und macht seine Witze darüber. Den Humor sollte er sich bewahren, wenn er nach den Sternen springt.