Marianne Faithfull über die Sixties


Mit 64 ist die Mutter aller Rock-Chicks aktiver denn je. Sie hat mit Horses And High Heels ein neues Album fertig, spielt in zwei neuen Kinofilmen und rechnet hier noch mit den mystisch verklärten 60er-Jahren ab.

Frau Faithfull, Sie gelten als die Courtney Love der Swinging Sixties. Wie wild haben Sie es damals tatsächlich getrieben?

Nicht so wild, wie die Leute denken. Und das meine ich ernst. Ich habe mittlerweile einen Computer, und ich kann jetzt all die unglaublichen Sachen lesen, die über mich im Internet verbreitet werden. Es verblüfft mich, zu welchen Fantasien ich und mein Leben andere offensichtlich inspiriere. Ich will ja keine Träume zerstören, aber das meiste davon stimmt einfach nicht.

Zum Beispiel?

Nun, an all diesen Orgien habe ich nie teilgenommen. Das war nicht meine Art. Aber: Man kann die Leute halt nicht daran hindern, das zu glauben. Diese Veranstaltungen haben ohnehin nicht so ausgesehen, wie man sich das heute vorstellt – oder wie man es in Filmen wie „Eyes Wide Shut“ sieht. Haben Sie den Kubrick-Film gesehen? Das war die Fantasie eines heterosexuellen alten Mannes zum Thema Orgien. Und zwar eine ziemlich absurde. Weil er wahrscheinlich nie eine erlebt hat.

Die Sixties werden heute insgesamt verklärt.

Der Begriff hat heute eine ganz andere Bedeutung als früher. Er ist mittlerweile nur noch ein Mode-Ding. Ein Look – mehr nicht.

Ist das der Grund für Ihren Disput mit Kate Moss, der sie vorgeworfen haben, Ihr Auftreten in den 60ern und 70ern zu kopieren?

Ich war damals etwas verstimmt. Aber das bin ich mittlerweile nicht mehr. Ich habe sie mal sehr gemocht. Wir sind halt nur nicht miteinander klargekommen. Die Sixties werden eben fürchterlich glamourisiert. Es ist tragisch, dass die Kids heute nicht die Möglichkeit haben, Ähnliches zu erleben. Sei es wegen Aids oder all den anderen Problemen auf dieser Welt. Sie können niemals so ein freies Sexualleben haben wie ich … oder wie man es mir nachsagt.

Bietet sich gesellschaftlich aktuell weniger an, gegen das man rebellieren könnte?

Ja, wahrscheinlich. Aber das wollen die jungen Leute ja auch gar nicht. Und um ehrlich zu sein: So rebellisch waren wir auch nicht. Es ging nur um lange Haare und Drogen. Das war alles. Ich meine, wir hätten ein paar Dinge bewegen können. Aber das haben wir nicht. Insofern war es eine riesige Zeitverschwendung. Und ich bin immer noch dabei, die verlorene Zeit aufzuholen – weil ich eben besonders verschwenderisch war.

Haben Sie irgendwelche Tipps für die heutige Jugend?

Ich gebe keine Ratschläge. Das Einzige ist: Macht euch keine Sorgen, tut, was immer ihr tun wollt.

In Ihrer Autobiografie steht, Sie hätten Drogen einzig zu Ihrem Vergnügen genommen.

Das habe ich auch. Ehrlich gesagt, weiß ich heute gar nicht mehr, warum ich damit angefangen habe. Ich muss wohl trotzdem eine Art Leere oder einen Mangel gespürt haben – etwas, bei dem die Drogen bei mir sogar eine heilende Wirkung gehabt haben. Wobei ich das mittlerweile ganz anders sehe. Ich kann nicht fassen, dass ich es tatsächlich genossen habe. Und doch, das habe ich.

Möglicherweise wollten Sie auch vor Ihrem Image als „Pop-Prinzessin der Sixties“ oder „Engel mit großen Brüsten“ flüchten, wie der damalige Stones-Manager Andrew Loog Oldham Sie einst getauft hat.

Das spielt da auch mit rein. Und Drogen waren eine gute Art zu flüchten.

Würden Sie denn sagen, Sie haben aus Ihren Fehlern gelernt?

Ich versuche zumindest, sie nicht zu wiederholen. Und bei einigen Dingen gelingt mir das mehr, bei anderen weniger.

Halten Sie Mick Jagger, mit dem Sie von 1966 bis 1970 liiert waren, eigentlich immer noch für attraktiv?

Ein bisschen schon. (lacht) Ja, er ist schon ganz okay.

Oder stehen Sie mittlerweile mehr auf Keith Richards?

Ich liebe Keith! Das tue ich wirklich. Aber ich glaube, ich würde mich immer wieder für Mick entscheiden.

Obwohl Keith den wärmeren Charakter hat?

Ja, er ist freundlicher und herzlicher.

Und zu ihm haben Sie auch immer noch engen Kontakt.

Stimmt. Wir haben erst vor ein paar Jahren ein Stück für mein letztes Soloalbum aufgenommen. Und wer weiß: Hätte ich mich damals für ihn entschieden, vielleicht wäre in meinem Leben einiges anders gelaufen. Vielleicht aber auch nicht.

Marianne Faithfull, geboren 1946, ist das Role Model der Sixties. Die englische Sängerin und Schauspielerin hatte eine Liebesbeziehung mit Mick Jagger, denselben Heroin-Dealer wie Jim Morrison und feierte zunächst mit der von Jagger und Keith Richards komponierten Single „As Tears Go By“, dann auch mit eigenen Alben weltweite Erfolge. Später arbeitet Faithfull mit Metallica, Pulp und PJ Harvey zusammen. Während ihrer Schauspielkarriere spielte sie für Regisseure wie Robert Wilson oder Tony Richardson und drehte mit Anthony Hopkins und Jude Law. Heute lebt Faithfull in Paris und strickt weiter an ihrem Legendenstatus.