Im Gespräch mit Marco Wanda: Ein Narr vermisst das Narrativ
Wir führen ein Interview mit Marco Wanda, Sänger der Band Wanda, die seit drei Jahren wie ein Flächenbrand lodert und mit NIENTE jetzt ihre erste „düstere“ Platte veröffentlicht. Prima, denn über düstere Platten lässt sich viel besser reden. Zum Beispiel über philosophische Fragen wie: Bringt den Menschen eher Schmerz oder Lebensfreude weiter? So etwas treibt Marco Wanda um.
Ah, die Bar macht auf.
Mit dem besten aller Lieder! Traumhaft.
Aber zurück zur Gefahr … Sind das vielleicht deine beiden extremen Seiten: Du schaffst dir gewissermaßen zuerst die Theorie des Musikerdaseins drauf und dann wirfst du dich mit aller Wucht hinein?
Was soll ich dazu sagen? Meine Aufgabe ist es ja nicht, das herauszufinden … Das ist wie bei so einer blöden Ente: die fliegt halt einfach. Wenn man sie dabei fragen würde, warum sie den nächsten Flügelschlag macht, fiele sie herunter, oder? Ich habe früh herausgefunden, dass ich nur das tun kann, was ich tun muss. Ich widme mein Leben ausschließlich dem Musikmachen, alles andere kann ich gar nicht. Dinge, die nichts mit meiner Arbeit zu tun haben, interessieren mich nicht … in dieser Lebensphase. Vielleicht ändert sich das. Aber meine Geschichte ist sicherlich nicht die eines „Lebemannes“. Ich werde jetzt nicht den Kilimandscharo besteigen …
Aber du empfindest es als beruhigend, dass es euch gelungen ist, aus der Musik einen Beruf zu machen?
Das war der erleichterndste Moment in unser aller Leben, glaube ich. Das ist einer der wenigen Reflexionsmomente, denen ich mir sicher bin. Das zu tun, was wir jetzt tun dürfen, das ist unschätzbar.
Seit eurem Debütalbum habt ihr, angetrieben von eurem Erfolg, ein wahnsinniges Tempo vorgelegt. Müsst ihr nicht irgendwann bremsen?
Wir tun immer das, was unser Anführer gerade will. Und wir wechseln uns ständig als Anführer ab. Der, der gerade den besten Schmäh führt und in einer manischen Hochphase ist, kriegt das Ruder in die Hand.
Und du bist nicht einmal in ein Loch gefallen in diesen vergangenen drei Jahren?
Nicht mehr als vor dieser Karriere. Bei mir geht’s immer up and down and up and down. Das mag das Wiener Blut sein, das mag das italienische Blut sein, ich weiß es nicht. Ich bin dazu verdammt, zwischen Hoch und Tief zu changieren für den Rest meines Lebens. Das könntest du jetzt therapieren oder mit Medikamenten einstellen …
Aber das willst du gar nicht.
Nein, für mich ist das irgendwie das Leben.
Das Konzept und das Image eurer Band standen sehr früh fest. Ist das alles in Stein gemeißelt?
Wir leiten all diese Entscheidungen aus uns ab. Zum Beispiel unsere Lederjacken: Das liegt einfach daran, dass der Manuel Poppe (Wanda-Gitarrist, Anm.) Lederjacken getragen hat. Und plötzlich haben wir alle Lederjacken getragen.
Er stand gerade am Ruder …
Ja. Und dann war ich kurz am Ball und dann habe ich mich für Stiefeletten entschieden. Außerdem hatten wir von Anfang an die Regel „keine bedruckten Shirts“ und „keine Marken-Sachen“. Bei uns gewinnt immer das beste Argument und wie es verkauft wird. Man muss manchmal sehr laut und obszön sein, um sich bei Wanda durchzusetzen.
Das bringt mich zu einer vielleicht etwas seltsamen Frage: Sollte nicht eigentlich in jeder Band mindestens eine Frau mitspielen?
Um Gottes willen … Warum?
Möglicherweise wäre das den Umgangsformen zuträglich …
Wow, man könnte dieser Frage jetzt einen sexistischen Imperativ unterstellen, nämlich dass Frauen nicht so obszön sind und nicht vulgär sein dürfen …
Das stimmt, die Frage war schlecht gestellt. Sagen wir, in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe dürfte man vielleicht ein breiteres Spektrum an Umgangsformen erwarten.
Mein Leben und meine Umwelt entbehren nicht starker Frauenpersönlichkeiten und auch nicht weiblicher Wärme. Außerdem krieg’ ich in der Band genauso feminine Wärme, wenn man es so nennen will. Gerade wir, die wir so viel auf Tour sind und uns so gut kennen, sind eigentlich ständig bemüht, sowohl unsere weibliche als auch unsere männliche Seite offenzulegen. Wenn du dich da im Tourbus einmal verstellst, bist du weg, dann gibt’s keinen Schmäh mehr …
Könntest du diesen Begriff des „Schmähs“ einmal näher definieren?
Schwierig. Das ist so stark in der Wiener Lebensart verwurzelt … Es ist eine Art von nonchalanter Arroganz und eine Relativierung von allen bedrückenden Tatsachen vor dem Hintergrund des Nonsens. Wir sind in einem ständigen komödiantischen Dialog gefangen auf Tour. Ständig werden Sprachspielereien hin und her geschickt. Und wenn du’s abreißen lässt, stehst du im Off. Es hat viel mit Sprachraffinesse zu tun. Ein guter Schmäh muss etwas Entlarvendes haben, aber sich gleichzeitig erheben über das, was entlarvt wird.
Hattest du eigentlich den Text von Stefanie Sargnagel in der „SZ“ zu eurem zweiten Album gelesen?
Nein.
Sie hatte dich darin unter anderem als eine Art Sektenführer bezeichnet.
(lacht) Das kann ich überhaupt nicht mit mir in Verbindung bringen.
Aber kannst du aus solchen Kritiken auch etwas Konstruktives für dich ziehen, etwas, das dich zum Nachdenken über dich oder deine Arbeit bringt?
Nein. Ich wäre ja geistesgestört, wenn ich jemandem zustehen würde, sich einzumischen. Ich war mein Leben lang auf köstliche und selbstgefällige Weise resistent gegen jede Art der Kritik an meiner Person.
So etwas Ähnliches hat deine Mutter in ihrem Interview auch gesagt.
Ja, wahrscheinlich … Nein, es gibt eine Stimme in meinem Kopf: meine Stimme. Und alle anderen sind gusch, wenn ich denk’. Ich würde auch jedem Menschen davon abraten im Zeitalter von „Social Media“, sich zu Herzen zu nehmen, was jemand anderes über einen schreibt. Wie hilflos wäre man denn, wenn man durch Kritik wächst oder glaubt, dadurch etwas übers Leben zu lernen? In einer Zeit, in der Menschen so hilflos sind, dass Schamanismus und Pseudo-Esoterik so einen Boom erfahren, muss man erst recht wieder lernen, nur auf sich selber zu hören, in jeder Kategorie.
„Wie hilflos wäre man denn, wenn man durch Kritik wächst?“ – Marco Wanda
Auch wenn Stefanie Sargnagel in aller Öffentlichkeit über deine Arbeit und Art geurteilt hat, gibt es nicht trotzdem einen Unterschied zu jemandem, der dich unter deinem YouTube-Video zu beleidigen versucht?
Für mich ist das alles ein gewaltiger Aufwasch. Ich enthalte mich ja auch deshalb zu vielen Themen, weil ich das Gefühl habe, hier laufen zu viele selbsternannte Experten herum, die ständig erklären, wie man zu leben, wie die Gesellschaft zu sein hat. Und vor dem Hintergrund des alles verschlingenden Neoliberalismus ist das für mich nur ein seichtes Geplänkel, diese ganzen Diskurse … Sagen wir so: Ich möchte nicht in eine Rolle schlüpfen, in der ich der Öffentlichkeit erkläre, wie sie zu sein hat.
Und doch siehst du dich als jemand, der den Leuten mehr geben möchte als Unterhaltung.
Ja, und mehr als eine Meinung. Ich möchte keine Aussage treffen, sondern ein Gefühl vermitteln.
Marco raucht aus, wir gehen zum Lift, fahren hoch zur Opern Suite. Das Fototeam hält Marco einen noch eingeschweißten Ninja Turtle hin. Den wollte er unbedingt haben für das Shooting. Gefährliche Nostalgie. Er reißt die Packung auf und beginnt, mit der Actionfigur zu spielen, macht „Swosh, schwosh!“-Geräusche. Wir sind raus.
Das Interview mit dem Wanda-Sänger und sowas wie eine Modestrecke (für die wir ihm einmal seine Lederjacke entreißen konnten) erschien zum ersten Mal in der Oktober-Ausgabe des Musikexpress.