Liz Phair


Aus ihrer Meinung über Gesellschaft, Männer und Sex macht Liz Phair bestimmt kein Geheimnis. Im Gegenteil: in ihren Songs haut sie dir voll damit ins Gesicht.

Sie ist 26 Jahre jung, und eine entfernte Verwandte von Marie Antoinette, jener berühmten Tochter der Erzherzogin von Österreich, die 1793 auf dem Schafott landete. Die Adoptiv-Tochter eines reichen Arzt-Ehepaares aus Chicago besuchte ein Mädchen-Internat in Südfrankreich. Davon merkt man heute nichts mehr. Liz Phair erobert mit ihren beiden – sagen wir mal ‚offenherzigen‘ – Alben ‚Exile In Guyville‘ und ‚Whip-Smart‘ gerade die Herzen aller Indie-Pop-Fans. Das Debüt, ‚Guyville‘, verkaufte sich allein in den USA 200.000 Mal. Maßgebliche US-Magazine wie Village Voice und Spin erkoren ‚Guyville‘ zur Platte des Jahres 1993. Auch Kollegin Chrissie Hynde geizte nicht mit anerkennenden Worten für die junge Kollegin: „Liz Phair ist eine sehr ausdrucksstarke Sängerin. Ihre Songs haben Seele, bewegen etwas und sind auch noch punky.“

Liz Phair ist aber vor allen Dingen eins: engagierte Fürsprecherin einer Fraktion von Frauen im amerikanischen Rock’n’Roll, die in der Post-Madonna-Ära den Feminismus auf ihre Weise ganz neu interpretieren und ihren männlichen Kollegen, ohne mit der ungeschminkten Wimper zu zucken, ein paar reichlich feminine Kicks verpassen. Die ihnen tüchtig einheizen, ohne sie jedoch von der Bettkante zu stoßen. Liz Phair: „Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich tue und lasse, was ich will. Was immer das auch sein mag.“ Die junge Dame macht klar, daß sie das Heft in der Hand hält, wenn es um Sex geht: „I’ll fuck you ‚til your dick is blue“, singt sie im Song ‚Flower‘.

„Damals, in diesem französischen Mädchen-Internat“, erinnert sie sich, „wurde mir beigebracht, wie sich eine junge Lady mit besten Manieren zu benehmen und wie sie nach einem passenden Herrn für eine standesgemäße Heirat Ausschau zu halten hat. Ich lernte sogar, in welcher Länge man eine Perlenkette tragen muß. Die typische Rolle eben.“.

Doch das ist längst Vergangenheit. Liz studierte Kunst und kam zum Rock’n’Roll ein wenig wie die Jungfrau zum Kind, obwohl der Begriff der Jungfrau im Zusammenhang mit Texten ‚I Want To Be Your Blowjob Queen‚ nun doch etwas gewagt erscheint. Ihren musikalischen Einstand feierte sie mit den selbstveröffentlichten ‚Girly Sound‘-Cassetten, 28 Phair-Songs auf zwei handgemachten Cassetten, von denen sie heute noch klaut. „Deshalb werde ich die Dinger auch nicht so bald auf CD veröffentlichen“, bekennt sie ohne Scheu. Die ‚Girly‘ Cassetten brachten ihr einen Deal mit dem kleinen New Yorker Matador Label und die CD ‚Guyville‘. Darauf zaubert Frau Phair über ein Dutzend knackiger Alternative-Rock-Songs, die vom ersten bis zum letzten Track das Gütezeichen „Absolut frisch und unverbraucht!“ verdienen. Songs mit Pop-Melodien, die Amerikaner gerne ‚catchy‘ nennen, eingespielt mit Punk-Wucht und Sensibilität, die auf Zwischentöne gesteigerten Wert legt.

Und wer es noch immer nicht weiß: ‚Guyville‘ ist Song für Song eine Antwort auf den Rolling Stones-Klassiker ‚Exile On Main Street‘ (1971). Oder anders ausgedrückt: Eine ebenso entschiedene wie beherzte Antwort auf den immer noch von Männern dominierten Rock’n’Roll. So und nicht anders will die Phair, jung genug, um Mick Jaggers Tochter zu sein, es jedenfalls verstanden wissen. Trotzdem würde sie sich mit den Herren Jagger und Richards mal gern auf ein Schwätzchen unterhalten: „Ich möchte einfach einmal hören, was die überhaupt zu meiner Musik zu sagen haben. Vielleicht bekommen sie sogar noch Angst vor mir“

Die neue CD ‚Whip-Smart‘ produzierte Kontroll-Freak Phair selber. Und damit ja auch keiner in ihren kreativen Prozess eingreifen kann, werden auch die dazugehörigen Videos unter ihrer Regie gedreht. Und wieder sind die Songs gespickt mit saftigen Bezügen auf ihr Sexleben, in jeder Form und Größe. Liz Phairs Songs spucken all den Herren der Schöpfung ins Gesicht, die selbst zum Ende dieses Jahrtausends der Meinung sind, Frauen hätten im Rock’n’Roll nichts zu suchen. „Die meisten Männer sind oft wie vor den Kopf geschlagen, wenn sie Texte wie ‚You fuck like a volcano‘ hören. Sie können sich einfach nicht vorstellen, daß nette Frauen aus gutem Hause solch unkonventionelle Sachen aushecken.“ Liz Phairs Appell an ihre Geschlechtsgenossinnen lautet deshalb: „Frauen, geht raus, tut was und stellt euch der Männerwelt. Es gibt noch immer zu wenig weibliche Stimmen in der heutigen Pop-Kultur, die den Mut haben, auch mal den Mund aufzumachen.“

Trotz allem Selbstbewußtsein, auch Liz Phair ist nicht ganz frei von Ängsten. „Ich weiß nicht, ob ich mich auf der Bühne jemals frei fühlen werde.“ Obwohl, analysiert sie den Schwächeanfall gleich weg: „..das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum ist doch wie das zwischen zwei Menschen, die großartigen Sex miteinander haben, ohne sich wirklich zu kennen. Diese Erkenntnis verscheucht dann wieder die ganzen Zweifel aus meinem Kopf. Danach fühle ich mich, als ob ich gerade einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe.“ Privat hat die 26jährige ihren Pakt bereits besiegelt: gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Songwriter Peter Margasak bewohnt sie ein Drei-Etagen-Haus in Illinois. Mit dabei: ihre Eltern, zwei Kinder und – sage und schreibe – 17 Katzen.