Live, San Francisco, Warfield Theatre


communication breakdown

Sie heißen Live, spielen live und sind dennoch auf der Bühne nicht besonders lebendig. Was in San Francisco auch an einer gemeinen Grippe lag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Hemmnis der Band aus Pennsylvania auf dem Weg in die großen Stadien.

Avatar Adi Da Samraj ist ein nordkalifornischer Guru, dem die Sinnsucher aus aller Welt demnächst die Bude einrennen werden. Schuld daran hat Adis prominentester Jünger, Edward Kowalczyk. Der ist Sänger bei Live und verkündet die frohe Botschaft seines Meisters derzeit auf allen Kanälen: in Interviews, im Internet und auf dem dritten Live-Album „Secret Samadhi“, dessen Titel auf jenen „Zustand ekstatischer Versunkenheit im Göttlichen“ anspielt, zu dem Kowalczyk in Adis Tempel gefunden hat.

Doch auch der Erleuchtete ist nicht gefeit vor Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Lives kräftezehrender Tourneeplan fordert in San Francisco seinen Tribut. Den 2.500 Zuschauern im ausverkauften Warfield wird schnell klar, daß der esoterische Ed an diesem Tag besser nicht zur Arbeit erschienen wäre. Die gedämpften Gesangslinien des Openers „Rattlesnake“ bewältigt Kowalczyk gerade noch. Vor den eruptiven Refrains von „Unsheathed“ müssen seine belegten Stimmbänder dann aber kapitulieren.

In einiger Zeit wohl werden Live zu U2, R.E.M. und Pearl Jam in die Liga der Stadion-Acts mit „message“ aufrücken. Kowalczyks Indisponiertheit in San Francisco verdeutlicht, warum die Gruppe trotz ihres immensen Potentials diesen Quantensprung im Augenblick noch nicht leisten kann: Live sind auch nach Hunderten von Konzerten immer noch keine souveräne Live-Band. Auf der Bühne erscheinen die vier aus Pennsylvania wie entrückt. Beinahe unnahbar und isoliert voneinander verrichten sie ihr Werk, eine Kommunikation findet nicht statt. Es fehlt der berühmte Draht zum Publikum. Ed Kowalczyk ist damit beschäftigt, seinen heiseren Tenor zu kontrollieren und übt ansonsten thailändischen Tempeltanz. Links neben ihm spielt Patrick Dahlheimer um die Bill-Wyman-Medaitle für regungslose Bassisten. Rechts hadert Gitarrist Chad Taylor mit seiner Effekt-Batterie und dem Monitor-Sound.

Nach fünf Songs kommt erstmals Schwung in den Laden. „Shit Town“ aus dem Erfolgsalbum „Throwing Copper“ versetzt die Menge in milde Ekstase.

Live verfügen über die seltene Gabe, drei korrespondierende Akkorde auf zwei bzw. vier Takte zu verteilen, eine dramatische Gesangslinie darüberzulegen und dabei so unverwechselbar und originell zu klingen, als habe man diese uralte Formel soeben selbst erfunden. Die hysterisch umjubelte Zugabe „Lightning Crashes“, das clever strukturierte „Freaks“, das mit einer verzerrten Bass-Fläche unterlegte „Graze“ und der simple Riff-Rocker „Lakini’s Juice“ entspringen alle diesem ewigen Grundprinzip erfolgreichen Songwritings.

So gesehen sind Live nichts anderes als eine weitere Re-Inkarnation der grossen Mutter Rock’n’Roll, jener transzendenten Ur-Band, der sich zu nähern das aufrechte Streben jedes irdischen Musikers ist. Mit dieser Sicht der Dinge könnte sich wohl auch Kowalczyks Guru Ada [~ anfreunden.