LCD Soundsystem in Berlin: Ein gigantischer Tanzpalast
Bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert verwandelt die New Yorker Band das Berliner „Tempodrom“ in eine klassische Dance-Party.
Es ist heiß im Tempodrom. Sehr heiß. Hätte James Murphy beim einzigen Deutschlandkonzert von LCD Soundsystem in Berlin das Publikum nicht mit dem Satz „Hi everybody, it’s very hot“ begrüßt, wir hätten es wahrscheinlich auch so bemerkt. Auf der Bühne sieht’s aus wie in einem Proberaum, da ist ein scheinbar wahlloses Durcheinander an Inseln aufgebaut, die angefüllt sind mit Dutzenden analogen Geräten, Instrumenten, Kabeln und Mikrofonen.
Die Starken tragen die Schwächeren davon
Das hat überhaupt nichts mit dem „klassischen“ Bühnen-Set-up zu tun, es erinnert an den Aufbau von Elektronikpionieren wie Cluster oder den frühen Kraftwerk, als die Sichtbarkeit von technischem Gerät noch Fortschritt symbolisierte und für eine verheißungsvolle Zukunft stand. Wer zu LCD Soundsystem geht, soll ganz genau sehen, dass hier mittelalte Menschen gemeinsam Musik machen. Zu der kalkulierten Nicht-Show gehört eine riesige Discokugel, die über der Bühne hängt, und eine „Lightshow“ mit Stroboskoplicht und allem Drum und Dran, die wunderbar aus der Zeit gefallen wirkt.https://www.instagram.com/p/Bjbw4l7ASR3/?hl=de&taken-at=234415331
Wer da überhaupt auf der Bühne steht: Es ist ja nicht nur James Murphy mit LCD Soundsystem, es ist das Who is who aus dem Dunstkreis des New Yorker Disco-House-Post-Punk-Labels DFA: Gitarrist Al Doyle, ein Siebtel von Hot Chip, Keyboarderin und Sängerin Nancy Whang, eine Hälfte von The Juan MacLean, Keyboarderin Gavin Rayna Russom (Black Leotard Front, Black Meteoric Star, The Crystal Ark).
Live werden die Songs von den fünf durchaus auch qualitativ unterschiedlichen Studioalben der Band zu einer soundästhetischen Einheit, die Starken tragen die Schwächeren davon. Die elektronischen Feinheiten gehen unter in der Lautstärke, LCD Soundsystem wird so zur letzten großen Indie-Band. „You wanted a hit, but that’s not what we do“, beteuert Murphy in Lied Nummer 2 in Berlin, aber hat dann doch ein paar im Programm.Die Anfänge von „Daft Punk Is Playing At My House“, „Movement“, Tribulations“ und „Tonite“ gehen unter im Erkennungsjubel. Die Hitze – Murphy erinnert dankenswerterweise in seinen Ansagen immer wieder daran – hält das Publikum nicht davon ab, im zirzensischen Saal und auch auf den Rängen eine Dance-Party zu veranstalten. Wir lernen, dass eine mit viel Liebe und Nerdwissen zusammengeklaute postmoderne Musik aus Post-Punk, Disco sowie House und tanzende Menschen keine Gegensätze sein müssen.
Kurz vor Ende der regulären Show hat Nancy Whang ihren großen Auftritt, die Band covert „I Want Your Love“ von Chic und zeigt, wo sie herkommt. Whang performt so intensiv, dass man glaubt, da stünde tatsächlich Original-Sängerin Alfa Anderson auf der Bühne. Vorher endet die Coverversion von Kraftwerks „Radioactivity“ nach zwei Zeilen in einem ungewollten Soundchaos. Die Hitze macht halt auch den Maschinen schwer zu schaffen. Nicht nur denen, irgendwann zieht Gitarrist Al Doyle sein T-Shirt aus und zeigt uns seine weiße, behaarte Hühnerbrust.
Setlist
- Get Innocuous!
- You Wanted A Hit
- Tribulations
- Radioactivity (Kraftwerk-Coverversion, Fragment)
- I Can Change
- Call The Police
- American Dream
- Daft Punk Is Playing At My House
- Yr City’s A Sucker
- Movement
- Someone Great
- Tonite
- Home
- I Want Your Love (Chic-Coverversion)
- How Do You Sleep
Zugaben
- Oh Baby
- Emotional Haircut
- Dance Yrself Clean
- All Yr Friends