„Laut gegen Nazis“: So kämpft ein Verein mit einem Chatbot gegen rechte Musik auf Spotify
Von der leichten Zugänglichkeit zu Musik durch Streaming profitieren auch rechte Künstler*innen. Auf diesen Umstand hat eine Aktion des Vereins „Laut gegen Nazis“ Anfang 2022 hingewiesen. Um die Aufmerksamkeit nicht zu verspielen und weiter Druck bei Streaming-Anbietern zu machen, läuft seit Ende 2022 eine zweite Kampagne.
Der Hamburger Verein „Laut gegen Nazis“ befindet sich seit anderthalb Jahren in einer Fehde mit Spotify. Bisher besteht sie aus zwei Kampagnen der Hansestädter – und offenbar wenig Reaktion aus Schweden.
Seit dem 7. November 2022 ist der aktuelle Versuch des Vereins, die Arbeitsweise des Streaming-Diensts zu verändern, online. Er heißt „H.A.N.S.“. Das Akronym steht für „Hateful Audio Notification Service“ und verbirgt einen WhatsApp-Chatbot. Sein Ziel ist es, User*innen den von Haus aus eher umständlichen Prozess, Inhalte bei Spotify zu melden, zu vereinfachen. Entwickelt wurde das Projekt in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur Philipp und Keuntje. Sie hat bereits die erste Kampagne des Vereins mitverantwortet, die unter dem Namen „Antifascist Algorithm“ lief.
(Anti-)Fascist Algorithm?
Im Januar 2022 hatten der Verein und die Agentur die fiktive Band „Hetzjaeger“ gegründet, um medienwirksam darauf aufmerksam zu machen, dass die Algorithmen, denen Musik seit den 10er-Jahren des 22. Jahrhunderts einen Großteil ihrer Verbreitung verdankt, so apolitisch sind, dass sie sich notwendigerweise auch blind gegenüber übel menschenverachtendem Material zeigten. Ihre These lautete: Spotify und Co. sind daran beteiligt, rechtsextremistische Musik zu verbreiten und arbeiteten so zumindest nicht gegen den ansteigenden Zulauf zur Szene in den vergangenen Jahren. Hintergrund dieser Annahme ist die unter anderem von Aussteiger*innen beschriebene Erfahrung, dass Musik häufig der Weg vor allem Jugendlicher in rechte Milieus sei. Die einzige Single des inzwischen eingestampften Projekts hieß „Kameraden“ und wurde zweiteilig produziert.
Hetzjaeger
Die erste Strophe inklusive Video wurde vor allem in rechten Kreisen verbreitet. Das Werk bediente audiovisuell eine Reihe typischer Codes: Fackeln, ein dunkler Wald, Wolfsmasken, das Wort „Kameraden“, die Rede vom Ende Deutschlands und vom Demokratieversagen. Durch gezieltes Marketing sammelte der Song in kurzer Zeit 120.000 Aufrufe und kam voll in den einschlägigen Chats und Foren an – inklusive der Ankündigung, dass die zweite Hälfte am 30. Januar 2022 um 18:18 Uhr erscheinen solle.
Zum 98. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers war es dann soweit und der gesamte Song zeigte die wahren politischen Farben seiner Macher*innen. Aus dem von der Szene groß erwarteten Ereignis wurde eine interne Blamage, obwohl bereits vor der offiziellen Enthüllung Zweifel an der Authentizität des Projekts aufgekommen waren. Insgesamt konnte die Aktion zumindest Aufmerksamkeit generieren und die These, dass Spotify und Co. kein großes Interesse daran haben, die Verbreitung rechter Musik gezielt zu unterbinden, plausibler machen.
Aufmerksamkeit allein ändert jedoch im Zweifel an eingefahrenen Geschäftsmodellen erstmal gar nichts und auch ein Panel auf dem Reeperbahnfestival 2022, auf dem Jörn Menge, Vorsitzender des Vereins und ein hochrangiger Mitarbeiter von Deezer, Frédéric Antelme, miteinander sprachen, blieb ohne Folgen. Vertreter*innen Spotifys waren nicht anwesend.
Inzwischen wurde Hetzjaeger dauerhaft von Spotify gelöscht. Die Vorgeschichte dieses Schritts, der erst nach einer großen Pressekonferenz des Vereins unternommen wurde, hat Jörn Menge in einem Interview gezählt. Bereits während der zwei Wochen, in denen Hetzjaeger ihren Hype generierten, waren – vor allem aus linken Kreisen – Anstrengungen unternommen worden, um den Song von Plattformen entfernen zu lassen. Obwohl dies auch mehrfach geschah, sei es ein Leichtes gewesen den Inhalt immer wieder erneut zu hochzuladen und zu streamen.
Damit hat die Kampagne indirekt weitere Probleme im System offenbart: einerseits die Komplexität der von Spotify angebotenen Melde-Funktion, die letztlich darauf hinausläuft, etwas per Mail oder via Twitter-Nachricht zu melden, andererseits die Lücken in der Überprüfung hochgeladener Inhalte.
H.A.N.S.
Bei Ersterem kommt H.A.N.S. ins Spiel. Der Bot übernimmt das Melden rechtswidriger oder problematischer Inhalte für User*innen. Dafür muss man ihm den Link des zu meldenden Inhalts per WhatsApp schicken. Seit drei Monaten ist H.A.N.S. online und in dieser Zeit haben User*innen über 5000 Mal seine Dienste in Anspruch genommen. Beim Melden kann man eine aus fünf angebotenen Kategorien auswählen, nach denen der Bot seine Nachricht an Spotify formuliert. Diese sind: „verletzend“, „faschistisch“, „lügnerisch“, „gewalttätig“ und „verbrecherisch“.
Das entspricht größtenteils den von Spotify selbst ausgegebenen Regeln darüber, welcher Content auf der Plattform erlaubt ist, abgesehen von der Kategorie „faschistisch“. Im Chat werden weitere Detail-Fragen gestellt, nach deren Beantwortung den Meldenden die Nachricht an Spotify zur Überprüfung vorgelegt wird. Bis zu diesem Schritt lässt sie sich auch noch verwerfen. Über den Bot lassen sich Playlisten, Titel, Alben, Podcasts und Künstlerprofile melden. Damit er nicht missbraucht wird oder eventuell Inhalte gemeldet werden, die Tabu-Brüche als Stilmittel einsetzen, werden die Meldungen nicht automatisiert verschickt, sondern noch einmal persönlich nachvollzogen. Für diese genauere Überprüfung sind Mitarbeiter*innen von Philip und Keuntje zuständig.
Publikumswirksam hat Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel den Bot benutzt, um einen seiner eigenen, alten Songs zu melden, den er heute als homophob erachtet. „Hasso (Mein Hund ist schwul)“ aus dem Jahr 1999 ist allerdings (Stand: 22. Februar 2023) immer noch online.
Die Inhalte, an denen der Verein Probleme identifiziert, sind nicht nur Songtexte. Sie umfassen besonders auch Playlisttitel und von Nutzer*innen hochgeladene Vorschaubilder. Das liegt einerseits daran, dass Spotifys Suchfunktion auf diese Inhalte ausgerichtet ist. Andererseits können diese Inhalte vollständig unüberprüft von Nutzer*innen erstellt werden. Die diversen öffentlichen Playlists, deren Namen das Wort „Hitler“ enthalten, die mit Hakenkreuzdarstellungen versehen sind oder antisemitische Parolen vor sich hertragen, zeigen zumindest, dass der Umgang mit User-generiertem Inhalt von Seiten Spotifys überdacht werden sollte.
Spotify-Inhalte und ihre Löschung
Laut gegen Nazis e.V. hat am 7. Februar eine statistische Auswertung der Meldegründe veröffentlicht. Nach dieser Aufbereitung sind 50,8 Prozent der gemeldeten Inhalte faschistisch, 24,1 Prozent homophob, 10,6 Prozent frauenfeindlich und fünf Prozent rufen zu körperlicher Gewalt auf. Die restlichen neun Prozent sind demnach zu gleichen Teilen antisemitisch und rassistisch.
Diese Verteilung der Meldegründe ist kein akkurates Spiegelbild der tatsächlich durch Spotify verbreiteten, im weitesten Sinne problematischen Inhalte. Weil die Menge der Meldungen so gering ist, bildet sie vermutlich eher die Aufmerksamkeitsschwerpunkte der User*innen des Bots ab. Die Auswertung des ersten Quartals hat außerdem ergeben, dass lediglich knapp ein Zwanzigstel der einzelnen gemeldeten Inhalte gelöscht worden sind.
Die Löschung rechtsextremer Inhalte ist indes ein Thema, das Spotify schon lange begleitet. Hierzulande ist vor allem der Fall Chris Ares bekannt. Bis 2020 war der vom bayrischen Landesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ eingestufte Ares der einflussreichste rechte Rapper Deutschlands. Einige Charterfolge des Freiburgers brachten dann die mediale Aufmerksamkeit mit sich, die letztlich dazu führte, dass die Firma entschied, sein Profil dauerhaft zu löschen. Mindestens 2017 und 2020 kam es allerdings auch unabhängig von Ares zu größeren Wellen des internationalen Protests und entsprechenden Reaktionen. Dies bezog 2020 auch Playlisttitel und -cover mit ein.
Kritik daran, dass ohne Druck von außen derlei scheinbar nicht geschehe, wehrte ein Sprecher 2020 mit dem Argument ab, man kämpfe diesen Kampf bereits seit Jahren und anstelle der 100 Playlisten, die gefunden wurden, hätte es sich auch um ein Vielfaches mehr handeln können. Die Firma nutze außerdem die Liste jugendgefährdender Medien der deutschen Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (ehemals Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien/BPjM), deren öffentlicher Teil aktuell (Stand 31.01.2023) fast 2000 Tonträger enthält, als Vorbild um Inhalte zu entfernen. Die BzKJ indiziert allerdings einerseits nur einzelne Tonträger (weshalb die nicht-indizierten Alben einzelner Künstler*innen mit indizierten Alben öffentlich sind) und andererseits entwickelt sich die rechte Musik-Szene dauerhaft und vielfältig weiter. Auch eine Bundesbehörde kommt dem nicht notwendig erschöpfend hinterher. Einige von verschiedenen Publikationen als rechtsextrem eingestufte Bands und Künstler*innen sind definitiv auffindbar, wenn auch manchmal nur unter Kürzeln oder leicht veränderten Namen.
Die Regeln Spotifys sehen vor, dass Inhalte nicht gelöscht werden müssen, wenn sie gegen die inhaltlichen Vorgaben verstoßen. In minderen Fällen behält sich die Plattform vor, ihre Reichweite und Vorschlagehäufigkeit einzuschränken, Monetarisierungen zu beenden oder Warnhinweise zu schalten. Neben seinen eigenen Regeln ist der Anbieter zusätzlich an nationale Gesetze gebunden. Allerdings ist die Internet-Rechtsprechung, mindestens hierzulande, notorisch lückenhaft und die Menge an Content schwer zu überblicken. Zusätzlich wird ein Teil des Contents bei Spotify über Drittanbieter platziert, was die Verfolgung noch undurchsichtiger macht.
Nebeneffekte und Schlussfolgerungen
H.A.N.S. bietet die Möglichkeit, einen großem Streaming-Konzern auf eine Lücke in seinem System aufmerksam zu machen. Er verschiebt den Fokus der Vereins-Kampagnen, zumindest ein Stück weit, weg vom expliziten Vorgehen gegen Rechtsextremismus und hin zum Umgang mit zwar zugehörigen, aber deutlich breiteren Thematiken. Sofern die vermehrten Meldungen nicht dazu führen, dass Spotify Inhalte löscht oder einschränkt, erlaubt ihre Sammlung vielleicht wenigstens hinter den Kulissen Einblick ins Netzwerk rechter Inhalte auf der Plattform. Zudem entsteht erstmals eine Art Datenbank für gemeldete Inhalte, an der potentiell sinnvoll überprüft werden kann, inwieweit Spotify der Verpflichtung seiner eigenen Regeln nachkommt.
In einem offenen Brief betont Menge, dass die Kampagne nicht die Lösung des tieferliegenden Problems sein kann. Er fordert Spotify auf, zu ändern, wie sie mit rechter Musik und extremistischen Inhalten umgehen und die Verantwortung zur Kontrolle von Inhalten nicht in die Hände der Nutzer*innen zu legen. Insofern das aber geschehen sei, bräuchten diese wenigstens die Möglichkeit, sich dieser unfreiwilligen Aufgabe auch anzunehmen.