Kurz & Klein


Weil nichts härter ist als die Wahrheit (Bla Bla) und auch die härteste Wahrheit einen Mutigen braucht, der sie ausspricht (BLA BLA BLA), beginnen wir ohne Umschweife mit Poems For Laila. Die „stoßen den Finger in die Wunden unserer Zeit“, steht im Presseinfo zur neuen Platte Klamm (Metropol/Broken Silence). „Die Wunden unserer Zeit“, Gott im Himmel. „Draußen brennt die halbe Welt“, heißt es dann auch gleich im ersten Song, in dem es natürlich, wenn die Hälfte der Welt ja schon brennt, auch um „das Ende der Welt“ gehen muss. Poems For Laila singen jetzt deutsch, und wenn man sich seine Meinung bildet (was für eklige Sprüche werden hier eigentlich so subtil eingestreut, hallo?), dann muss man sagen, dass das textlich oft schon so in Juli-Richtung geht. Was nicht halb so schlimm ist wie Christina-Stürmer-Texte, aber… Aber Moment! Jetzt läuft grade „Liebe kommt, Liebe geht“ – das hat so eine Element-of-Crime-mäßige Melancholie. Ganz schön eigentlich, so für sich genommen. Ich mochte ja auch mal so manchen Song auf dem Nikolai-Tomas-Soloalbum, das glaub‘ ich Wild Oo hieß.

„Fulminantes Comeback einer waschechten Legende-Siouxsie meldet sich mit dem Album Mantaray (Universal) zurück!“ Das ist ausnahmsweise kein Zitat aus einem Presseinfo, sondern der angemessen klischeehafte und einfallslose Einstieg für dieses Thema. Übelster „Power“-Rock ist das, für den es keine Worte gibt. Und wenn man Sterne verteilen dürfte in der „Kurz und Klein“-Rubrik, dann gäbe es die auch nicht für diesen Käse.

Apropos „Power“-Rock: Das Debüt der britischen Band SixNationState fängt mit so einem zügigen Gute-Laune-Getrommel an, dass man fast befürchtet, es könnte „Walking On Sunshine“ kommen. Kommt aber natürlich nicht. Stattdessen ist der Großteil auf SixNationState (Jeepster) hoppelnder, Ska-lastiger Indierock, wie ihn die Fratellis und The Holloways spielen. „So Long“ ist ein kleiner Hit, den man gut auf einer Party zu der Zeit auflegen kann, wenn die Leute langsam tanzen, aber noch keine Hits verheizt werden sollen. Von all den anderen ganz passablen Bands dieser Art unterscheiden kann man SixNationState übrigens an der für dieses Genre ungewöhnlich rauen Stimme des Sängers. Womit wir irgendwie ja fast schon wieder bei „Power“-Rock wären.

Themawechsel. In der Oktober-Ausgabe 2005 hatte ich in „Kurz und Klein“ das Vergnügen, dem damals neuen Katie-Melua-Album Piece By Piece eine Flauschigkeit zu attestieren, die es wie gemacht für das Easy-Listening-Nachtprogramm von Klassik-Radio erscheinen ließ. Nun steht das neue Album PICTURES (Dramatico/ Rough Trade) an, doch das Pressemuster ist laut Aufdruck „highly confidential“. Die Songs werden nur jeweils eine Minute angespielt – alles ist streng geheim. Das respektieren wir selbstverständlich, das neue Katie-Melua-Album wird von uns vertraulich behandelt. Hoffentlich haben wir nicht schon zu viel gesagt…

Fast zeitgleich mit dem letzten Katie-Melua-Album gab es 2005 auch eine neue „Scheibe“ des „King of Love-Metal“ HIM. Während das Werk damals – ebenfalls in „Kurz und Klein“ – selbstgerecht und arrogant mit genau vier Worten bedacht wurde („Kitschig, hymnisch und schlecht“; Bilanz: ein Leserbrief), betreibe ich dieses Mal mit einem deutlich differenzierteren Urteil Wiedergutmachung: Venus Doom (Warner) ist banaler Kommerzmist mit schauderhaft altmodischen Riffs und Soli, Bon-Jovi-ca.-bzw.-genau-Januar-1984-Melodien und haarsträubend melodramatischem Gejaule. „Höhepunkt“ des Albums ist „Sleepwalking Past Hope“, ein über zehn Minuten langer Song mit „total crazy“ Instrumentalparts. Das finden sicher manche „ganz geil“.

Wo wir grade beim Lästern sind: The Pearlfishers aus Glasgow sind suuu-uuuper Musiker! Diese Harmonien, ein Traum. Und diese jazzigen Akkorde erst, mit denen sie ihre sonnigen Popsongs untermalen… Das neue, durch und durch geschmackvolle Album Up With The Larks (Marina/Indigo) ist eines von ganz vielen, die die Band seit Anfang der 80er-Jahre aufgenommen hat. Allerdings – vielleicht sieht das nur nach mehr aus, als es eigentlich ist? Schließlich listen diese Füchse in der Diskografie auf der offiziellen Homepage auch die beiden Beilage-CDs aus dem deutschen „Rolling Stone“ auf, die mit je einem flockigen Beitrag der Pearlfishers geschmückt waren. Egal.

Das erste Lied auf Drastic Fantastic (Virgin), der neuen CD von KT Tunstall, rollt mit einer so aufdringlichen Coolness dahin, dass einem ganz schwindelig werden kann. Die Frau aus (heute) London bzw. (einst) Schottland, die „nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda“ zum „Phänomen“ wurde (so die Musikindustrie erfreut), macht auch 2007 noch Radiopop, der zwar belanglos, selten aber wirklich ärgerlich ist. (Die nächsten zehn Zeilen, die hier schon geschrieben waren, um das mit KT Tunstall, der guten und der bösen Dudelmusik noch ausführlicher zu erklären, hab ich jetzt mal wieder weggelöscht. Man muss es ja nicht übertreiben.)

Über Bettye Lavette darf man nicht meckern, weil sie als „authentische“ afroamerikanische Bluessängerin jenseits der 60 „eine Legende“ ist. Also, sein muss. Wenn man aber einen Mutigen findet, der die Wahrheit ausspricht, dann klingt die neue CD The Scene Of The Crime (Anti) bei den poppigen Stücken nach der Tina Turner von Break Every Rule (1986) (okay, ein wenig überspitzt gesagt) und bei den Balladen nach Maria Glen. Und wer, fragt man sich dann zu Recht, braucht denn sowas?

Die amerikanische Band St. Vincent ist mit auffällig guten Kritiken in Blogs bedacht worden. Einer der Gründe für die kollektive Begeisterung ist die zerbrechliche Sängerin und Multiinstrumentalistin Annie Clark, die a) wie ein verstörtes Reh aussieht und b) für The Polyphonic Spree und Sufjan Stevens Gitarre gespielt hat. Ein weiterer Grund – bei Bloggern nicht ganz so gewichtig, aber ein netter Bonus – ist die Tatsache, dass das Debüt m arry me (Beggars/Indigo) ein ungewöhnliches und vielschichtiges Werk mit verschrobenen Regina-Spektor-Passagen, rauen The-Breeders-Momenten, lärmigen Sonic-Youth-Eskapaden und – warum auch nicht? – ein bisschen Jazz- und Folk-Gesang ist. Ziemlich liebenswert, alles in allem. Da ist das letzte Wort wohl noch lange nicht geschrieben.

Betrachtet man die zwei oder drei lakonischen Midtempo-Songs von Wenn alle Stricke reissen (Tapete/Indigo) für sich, dann könnten die Paul Dimmer Band die deutschen Lemonheads sein. Auf volle Länge aber ist das zweite Album des Trios doch eine zu ruhige Angelegenheit, um musikalisch wirklich im (geschmackvollen) Alternative Rock der 90er-Jahre verwurzelt zu sein. Fakt jedenfalls ist, dass man über diese stille, tiefgründige Platte viel Gutes berichten könnte, wenn man noch viel Platz übrig hätte. „Grad im Moment denk ich in die Stille“, singt Christoph Wegner in „Von den Rändern“. „Was da passiert, wächst über mich hinaus“. Will da außer mir noch jemand wissen, wie es weitergeht?