KURZ & KLEIN


?on Oliver Götz Leute, jetzt keinen Schock kriegen! Es gibt tatsächlich Menschen, die sagen: „Ich mach‘ mir eigentlich nicht viel ausMusilc.“¥ür ME-Leser dürfte diese Aussage wohl gleichzusetzen sein mit dem Statement: „Ich mach‘ mir eigentlich nicht viel aus Atmen. „Aber es gibt eben noch andere Welten da draußen. Seltsame Welten. Um vielleicht doch ein paar gemäßigte Ignoranten in unsere lauschige Nische der gehoben Rock- und Pop-Interessierten zu locken, folgen hierein paar Vorschläge unter dem Motto „Ich mach‘ mir so einiges aus Musik“. AIR (Dustbowl Sounds/Edel), das Debüt von Inger, Christine und Jannicke, die sich als zartverstärktes Trio Ephemera nennen, liefert zum Beispiel ein Strickmuster für einen flauschigen Norwegerpulli mit arg kitschigen Folkloreanleihen in der Bemusterung. Und wie man es auch anstellt, am Ende wirkt dieser Pulli irgendwie doch maschinell gestrickt. Trotzdem rennen in Norwegen und Japan schon alle damit herum, heißt es.

Wer nicht herumrennen möchte, sondern lieber hier und jetzt für eine kleine Ewigkeit einfriert, für den ist Musik geeignet, aus der man sich mit ein wenig Fantasie und innerer Ruhe Wolken machen kann. Und Platz. Und Licht. Und die Zeit weg. Hierfür ein Seh weif aktueller Ambient-und Tagtraumplatten von: The Dead Texan mit gleichnamigem Album (Kranky/Southern/Hausmusik) – Adam Wiltzie versetzt mit kaum mehr als ein wenig Gesang, Gitarre, Orgel, Mellotron und Synthesizer den Pop in Narkose; Greg Davis mir somnia (Kranky/Southern/ Hausmusik) – der studierte Komponist löst die ganze Welt auf in sirrenden, kaum merklich ab- und anschwellenden Akkorden und meditativen Minimalmotiven auf Synthesizern; Dollboy mit Plans for A modern city (Different Drummer/Groove Attack) – hier sind es keine Flächen, sondern melodiöse Kreise, die gezogen werden, um Menschen auf den Schlaf vorzubereiten.

Wenden wir uns konkreteren Dingen zu. Auch aus Ml AM! (Morr/Hausmusik/Indigo) von The Go Find lässt sich was machen. Dieses Solodebüt des 28- jährigen Belgiers Dieter Sermeus lässt sich ausklappen, immer weiter, bis sich schließlich die ganze belgische Autobahn bei Nacht vor einem erstreckt- gelb beleuchtet und einsam. Und wenn man auf ihr fahrt, möchte man die ganze Zeit „1979“ von Pumpkins hören -diese Platte variiert diese Idee von Indiepop zusehends und sehr manierlich. Und noch eine zum Ausklappen bzw. Aufhauen – von Kptmichigan (Aesthetics), einem Mitglied der Schneider-TM-Livekapelle. Sie trägt keinen Namen, die Platte, kann einen aber schon mal einen halben Nachmittag ins Staunen versetzen, wenn sie sich als Indietronics-Eisenbahn bald quietschend und tuckernd eigene Wege sucht durch den Möbelbein wald der Wohnstube. Kann aber auch sein, dass man sie schnell wieder ausschalten muss. Denn sie nervt bald mit ihrem Herumgequietsche und Gefahre. Apropos nerven: Auch Q And Not U beherrschen dieses Handwerk, dort, wo die Songs ihres dritten Albums Power (Dischord/Southern/ Al!ve) zu viel wollen. Zu viel Haltung, Ecken. Ambition. Was sich in schiefen Riffs, Funkgitarre, Gesängen an der oberen Talking-Heads-Grenze niederschlägt. Aber auch in kurzen Tanzanimationen und lustigen Blockflötenmomenten. Was könnte man sich aus dieser Platte machen? Ein Argument schnitzen dafür, dass der eigene Musikgeschmack natürlich wieder mal der abseitigste ist zumindest rund um den Indie-Stammtisch in Kneipen und Cafes mit Namen wie „Kostbar“, „Chaos“ und „Anders“.

Das gilt schon gleich für Vanishing, das neue Signing auf dem Label von Atari-Teenage-Riot-Chanteuse Hanin Elias. Die Band klingt auf ihrem Album STILL LIFES ARE FA1LING (Fatal/ MDM/ AV.ve) in etwa genau so, wie man sich ein neues Signing auf dem Label von Hanin Elias vorstellt – angestrengt bis naturgegeben verstörende Musik zwischen Suicide, Palais Schaumburg und dem Elektropunk der Neunziger. Eine kleine Riot kann man sich auch aus und mit Electrocute machen. Das muss man dann aber auch wirklich und ganz doll wollen, sonst klappt’s nicht. Die Berliner Gören spielen nämlich neben ein bisschen New Wave, Rockabilly, Garagengedöns, Girlie-Pop vor allem nur die frechen Dinger, this music is dirty … (Emperor Norton/Ryko/ Rough Trade) sagt: Die beißen nicht! Bellen ja nicht mal richtig! Peaches, bitte einmal dein Revier ausputzen! Angst machen kann man sich leider auch nicht mit Laibach. Und lachen darüber schon lange nicht mehr. Tatsache ist: ANTHEMS (Mute/Virgin) klingt wie Rammstein zum Tanzen. Zum dumpfen, plumpen Stampftanzen. Zu rhythmischer Körperbewegung von feinerem Ausdruck ist hingegen die neue Platte von Gold Chains & Sue Cie geeignet. Die Aufnahme von when the world was our fri-EN D (Kitty Yo) wurde von Vladislav Delay aka Luomo unterstützt, was grundsätzlich über den Pop-Crarfdieses Albums eine letztlich zutreffende Vermutung zulässt. Allerdings: Wie Luomos zuletzt sehr glatter Housepop klingt das hier dann aber doch nicht. Vielmehr schief und eigen und hörbar hausgemacht. Wären wir Texter dieser kleinen, kreisrunden Verkaufshilfe-Labelchen auf den CDs, hier würden wie „Spaßelektrohiprock“ oder so drauf schreiben.

Aber zurück zur Aufgabe „Sich-etwas-aus-Musik-Machen“: Neben dem Club, in dem Sachen wie Gold Chains &. Sue Cie laufen, könnte man zum Beispiel eine „Lounge“ aufmachen (wenn man so etwas heute überhaupt noch macht). Mit einem Raum ganz aus, ähem, BLACK M AHOGAN 111 (Peacefrog/Rough Trade). Das ist der zweite Teil der Mahogani-Triologie von Moodymann. einem Neo- und Techno-Soul-Mann, der bereits mit Marvin Gaye verglichen wurde – wenn auch noch nicht von höchster (Bewertungs-)Stelle. Dessen Präsenz geht ihm doch/noch ab, stimmlich, textlich, überhaupt. Aber seine Platte, auf der der live eingespielte 18-Minuten-Jazzfusion-Opener „When She Follows“ eine sehr dominante Rolle einnimmt, geht wirklich als ein kleines Ereignis durch. Nebenan in unserer Lounge lassen wir das Freiburger Liquid Laughter Lounge Quartet auf die Bühne. Und das nicht nur, weil es die Lounge schon im Namen hat, sondern weil MAY YOU ALWAYS LIVE WITH LAUGHTER (Ritchie/Flight 13/ Cargo) einige nette Klischees liefert, die wir durch die Soundtracks für Lynch undTarantino vielleicht erst lieben gelernt haben.

Im Klischees Abliefern sind auch die von Franz Plasa auf Radio-Niveau produzierten Shine mittelgute Klasse. Im Presseinfo werden sie zwischen Roy Orbinson und Suede verortet, ihre Platte heißt tatsächlich rock ’n‘ roll with a little bitof style (Safety/Edel), und mit dem Namen ihrer Plattenfirma ist schließlich das letzte Stück Information geliefert, das wir über diese Band noch brauchen. Machen? Sollte man sich darüber besser keinen Kopf mehr. Lieber hört man zu, wie die belgischen (The Real) Tuesday Weld zum großen Teil gar nicht und wenn doch, dann unterhaltsam daran scheitern, aus so einer CD mehr als ein bisschen Rock- und Popalbum herauszuholen. 1, lucifer (Dreamy/PIAS/Rough Trade) ist Revue, Cabaret, Theater, eine Aufführung in zwölf Aufzügen und Zwischenspielen mit Atmosphäre bis zum Abwinken, die trotz allen Chanson- und Jazz-Anleihen dann aber doch ziemlich (lndie-)Pop geworden sind. Aus dieser Musik mach ich mir dann noch einen schönen Abend.