Kolumne

Kim Kardashians eiserne Hand: Skims ist das unglamouröse Korsett


Luft anhalten! Warum sich Frauen wieder in Korsetts und Skims zwängen.

Hol besser nochmal tief Luft. Die Mode schnürt sie dir nämlich gleich weg. Mit Shapewear aus straffem Nylon-Elastan-Gemisch, wie Kim Kardashian sie mit ihrer Marke Skims erfolgreich verkauft. Oder mit dem guten alten Korsett – wie in den Haute-Couture-Kreationen, die  John Galliano für die Spring/Summer-Saison 2024 bei Maison Margiela entworfen hat. Hier wie da: Eingeweide und Lunge werden gequetscht zugunsten der engen Taille, die Schultern wirken breit, der Busen wird hochgedrückt.

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Die Autorin Antonia Baum hat kürzlich im „Zeit Magazin“ beschrieben, wie wenig Raum da fürs Atmen bleibt. Sie zwängte sich in Skims und fühlte sich, als lege Kardashian selbst „ihre eiserne, unerbittliche Hand um meine Taille. Ich trug einen Brief Bodysuit (…), den ich beim ersten Anziehen gleich wieder ausziehen musste, weil mir schlecht wurde.“ So eng war er.

Shapewear soll den Körper modellieren, ihn zur Skulptur formen

Shapewear soll den Körper modellieren, ihn zur Skulptur formen. Skulpturen sind oft nackt. Mit Hautfarben wie „Sand“, „Bronze“ oder „Cocoa“ soll Shapewear im Grunde auch gar keine Kleidung sein, sondern eine zweite Haut, die so tut, als sei sie echte Haut. Und doch wissen alle, dass der echte nackte Körper unter der Umspannung labberiger aussieht. Diese Gleichzeitigkeit von Eingepresstsein in Synthetik und behaupteter Natürlichkeit kann man bizarr finden. Bringt sie nicht auch eine riesige Schamhaftigkeit zum Ausdruck?

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Völlig schamlos wirkt im Gegensatz die Margiela-Kollektion. Vanessa Friedman, eine der wichtigsten Modekritikerinnen der Welt, feiert sie in der „New York Times“ für ihre „extreme corsetry out of which the flesh spills, in all its meaty glory“. John Galliano versteckt das Korsett nicht, er exponiert es, indem er es über Hemden zieht oder unter transparenten Roben durchschimmern lässt. Das transportiert eine ganz andere Message als Skims – auch weil beim Anziehen jemand helfen muss, der „Ausatmen!“ befiehlt, um die Riemen im Rücken noch enger zu zurren.

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Sprich, wer solche Korsetts trägt, kann sich eine Ankleiderin oder einen Ankleider leisten und vermittelt damit eine gewisse Dekadenz. In Skims hingegen zwängst du dich ganz allein. Es ist die neoliberale, total unglamouröse Version des Korsetts. Oder du trägst einfach ein Korsett als Print. Madonna zum Beispiel verkauft gerade ein baggy T-Shirt, das mit dem legendären goldenen Korsett bedruckt ist, das sie auf ihrer „Blond Ambition“-Tour 1990 trug. Es passt zum Trend, lässt aber viel Platz fürs Lungenvolumen. Sodass es nachher nicht frei nach Helene Fischer heißt: mit Atemnot durch die Nacht.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 4/2024.