Kein Witz: Entertainer sind die Pop-Stars von morgen


Willkommen, Bienvenue, Welcome! Gestern noch mit dem ossi-mäßigen Makel „Unterhaltungskünstler“ gebrandmarkt, haben sich die deutschen Entertainer endlich vom Mief frühzeitlicher TV-Verblödung befreit. Von Krebs bis Kerkeling, von Helge Schneider bis Ringsgwandl — Hirn-reiche Musik-Unterhaltung sprengt das Kleinkunst-Korsett. ME/Sounds-Autor Andreas Graf entdeckte die Pop-Stars von morgen.

Sie wollen wissen, was Entertainer sind? Dann beamen Sie sich gedanklich mal 20 und ein paar Jährchen zurück, noch hinter Mr. Spock und sein Raumschiff Enterprise.

Also los! Erinnern Sie sich noch an Peter Frankenfeld? Das war der König aller Unterhaltungsfexe in jener grauen Fernseh-Vorzeit, als die westliche Hälfte Deutschlands gerade den politischen Windeln zu entwachsen begann, treulich behütet und seelsorglich überwacht von einer allzeit präsenten amerikanischen Kulturindustrie. Wir Jüngeren, sofern bereits den Laufställen entwachsen, hörten verbotene Lieder von Beatles, Stones, Slade, Sweet oder Alice Cooper, während die Väter und Mütter sich vor den Bildschirmen köstlich amüsierten, wenn Vico Torriani den Goldenen Schuß traf, Lou van Burg eine Ecke weg hatte oder Rudi Carrell das Laufende Band malträtierte. Von Sweet spricht heute keiner mehr, Carrell hat immer noch seine Show.

Das deutsche Fernsehen, das lernen wir daraus, hat seine eigene Zeit. Und die ist im Zweifel so gnadenlos neben allem, was die Uhr geschlagen hat, daß man schon wieder Mitleid haben kann.

In jener merkwürdigen Vorzeit also, als man leidlich spannende Fernsehkrimis noch „Straßenfeger“ nannte, da also hießen Fernsehunterhalter, die zu Prominenten aufsahen, ständig selbstgefällig grinsten und fade Witzchen rissen — Showmaster. Gelegentlich sangen sie sogar zu ihren Überleitungstexten, mit denen sie öde sogenannte Shownummern oder langweilige Ratespielchen verbanden, ein kleines Liedchen. Frankenfeld tat es, Torriani tat es (Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein!), Kulenkampf tat es nicht. Thölke ließ Wum und Wendelin singen und Carrell tat es auch, tut es bis heute.

Showmaster also. Niemand wäre damals hierzulande ernsthaft auf die Idee gekommen, diese Leute als Entertainer zu bezeichnen. Und in der Tat wären alle Genannten dafür auch durch die ¿

Bank mindestens eine Nummer zu klein gewesen, denn der Begriff ruft ja auch heute noch eher Namen wie Sammy Davis jun. oder Frank Sinatra ins Gedächtnis. Doch Obacht gegeben und behutsam zurück in die Gegenwart gebeamt: Vieles, was da heute sprechend und singend auf dem Bildschirm kreucht und aus den Lautsprechern fleucht, hat seine unmittelbaren Wurzeln im deutschen Fernsehschmu der Sechziger und Siebziger.

Das gilt für Ringsgwandl ebenso wie für Helge Schneider, für Diether Krebs und Hans Söllner, für Jürgen von der Lippe, Karl Dali oder Mike Krüger. Was alle diese Unterhaltungskünstler (ein Wort mit echtem DDR-Appeal!) in ihrer Verschiedenheit eint, ist der gleichwertig-selbstverständliche Umgang mit Wort und Musik. Wenn man nicht wirklich den ostzonalen „Unterhaltungskünstler“ wählt, dann bleibt nur noch der Alleinunterhalter. Aber erstens steht nicht selten eine Band mit auf der Bühne und eben keener alleen, und zweitens wäre damit endgültig allen frei flottierenden Assoziationen von „Kindergeburtstag“ über „Betriebsfest“ bis“.Butterfahrt“ Tür und Tor geöffnet.

Da bleiben dann freilich nur noch die fremdländischen Wörter — also der angelsächsische Entertainer, na bitte. Er unterhält, basta. Und wie er (oder sie) das tut. ist zunächst mal seine Sache. Daß auf so einer Bühne aber alles erlaubt ist, wenns nur gefällt, diese Erkenntnis setzt sich in Deutschland erst allerneueslens wieder durch.

Das Charakteristikum aller Entertainer ist mithin ihre Scheu vor klaren Grenzziehungen. Der Entertainer will nicht entweder Tänzer, Sänger, Kabarettist, Lyriker oder Clown sein. Sie wollen alles, und das aus Prinzip. Mit dieser Bestimmung — bewußte Grenzverletzung — hätten wir dann sogar ein Kriterium gewonnen, mit dem sich die Qualitäten der einzelnen Wort- und Gesangskünstler gegeneinander abwägen ließen.

Doch a propos Tradition. Es gibt unter Deutschlands Entertainern ein paar lebende Fossile populärer Feraseh-Unterhaltung, die benutzen nicht die Tradition, sondern sie sind Tradition. Neben Carrell, auf den hier aus humanitären Gründen nicht weiter eingegangen wird, sind dies die einstigen Gitarrenkünstler und jetzigen Privatfunkspezies Mike Krüger und Karl Dali. Mike Krüger, an dessen frühere Song-Erfolge man sich auch als Erwachsener gelegentlich noch gern erinnert — man denke nur an den unsterblichen Nippel, der durch die Lasche gezogen werden mußte —, dieser Krüger entblödet sich doch nicht, in einer dämlichen Fernsehshow mit seinem Namen (gesendet von Platt 1) seine sämtlichen alten Lieder vor laufender Kamera wieder und wieder durchzunudeln — und das Studiopublikum johlt dazu wie einst im Mai. Doch lassen wir das. Friede seiner — aber ja. naturlich, darum geht s. um’s Geld!

Darum geht’s freilich ganz dolle auch bei seinem fossil-fidelen Kollegen Karl Dali. Mit der offenen Hand läuft er durch das Land, von Sender zu Sender. Auch der hat eine Show und — singt.

Wenn man sich freilich die neueste Platte Karl Dalls anhört, dann weiß man, daß nicht nur die Bemfsbezeichnung dieses Entertainers dem Angelsächsischen entnommen ist, sondern sogar sein Name. Die Bedeutungsbandbreite von „dull“ reicht mindestens von geistlos bis trübe — womit auch sein Gesinge bereits hinreichend umrissen wäre. Dali ist als TV-Gesicht wie als Sänger ein Zombie des Dumpfsinns, die lebend-tote Vergöttlichung tristester Tristesse. Jeder Karnevalssong ist witziger, treffender und melodisch ergiebiger als die künstlerische und geistige Umweltverschmutzung, die dieser Mann über die Kabel-Kanäle in sämtliche Haushalte schüttet. Punktum.

Nur wenig anders sieht das — und damit wenden wir uns gen Süden und landen im ruhrgebietlichen Sauerland — bei seinem Gesangsfrater Jürgen von der Lippe aus. Musikalisch bewegt der sich ebenfalls in konventionellsten Bahnen, auch sein Witz lebt

— wenn er dies denn tut‘ — beinahe ausschließlich von simpelst gestrickten Doppeldeutigkeiten ä la „Minen auf dem Zebrastreifen I kriegt das Zebra einen… Schreck“. Lippe parodiert Stammtischwitze und Stimmungsgesang, gnadenlos bewegt er sich im medienvertrauten Rahmen, der dann rauf und runter gebetet wird. Getretener Quark aber, dies wußte schon meine Oma. wird breit, nicht stark.

Ebenfalls aus dem Ruhrpott kommen Diether Krebs und Helge Schneider, die aber mit den dünnpfiffigen Gesängen der Vorgenannten rein gar nichts gemein haben. Bei beiden liegt ein deutliches Schwergewicht auf den Texten, gerade auch weil diese betont leichtfüßig daherkommen. Diether Krebs, der von Kabarett und Schauspielerei herkommt und älteren Semestern noch als aufmüpfiger Schwiegersohn von Ekel Alfred in Erinnerung ist, hat nach Kabarettmanier ein ganzes Programm um die von ihm entwickelte Figur des Martin, ne? entwickelt. Mit seiner CD, die 12 teils sehr poppige Lieder enthält, taucht der Hörer auf vergnügliche Weise noch einmal tief ein in die geistigen Höhenflüge und Tiefschläge der Wohngemeinschafts-Ära.

Das Besondere an Krebs‘ Martin-Programm ist die sprachliche Genauigkeit, mit der Dumpfdenken und Birkenstocktick geschildert und erbarmungslos unter die Scheinwerfer gezerrt werden. Krebs hat, im Gegensatz zu den nurblödelnden Lippe. Dali & Co.. ein echtes Thema gefunden; einige Songs sprechen dafür, daß er auch musikalisch die Beliebigkeit zu durchbrechen bemüht ist.

Martins unerträglich kleinbürgerliche Vorurteüsstruktur ist nur allzuoft die von uns allen. Martin fühlt sich berufen, wie ganze Generationen von abgebrochenen Studenten auch, seinen unausgegorenen Gedankenhaushalt über die ganze Erde zu verbreiten. So provienziell und so deutsch — tatsächlich, das sind wir!

An einem ganz anderen Punkt setzt der Witz des Helge Schneider aus Mülheim an der Ruhr an, der sich selbst als „Die singende Herrentorte“ preist. Seiner Musik merkt man die Herkunft vom Jazz deutlich an, doch seine Texte haben mit Liedern im landläufigen Sinn nur wenig gemein. Schneider arbeitet ¿

fast ausschließlich mit populären Versatzstücken, die aber durch permanente Wiederholung und die besondere Weise des Vortrags an den Rand des Absurden getrieben werden. In seinen Texten, die oft Dialoge mehr mit sich selbst als mit dem Publikum sind, treibt der Nonsense so haarsträubende Blüten, wie das in diesen Breiten bislang unbekannt war.

Schneider ist in der Tat ein Entertainer. Das sprachlich bis in die Überdrehung Gewundene, dabei überraschend Pointierte seiner Auftritte birgt manche Doppelbödigkeit, die einem gelegentlich das Lachen im Hals klumpen läßt. Helge Schneider beherrscht, wie kein zweiter in Deutschland, die schwierige Kunst der Stilblüte mit schlafwandlerischer Sicherheit. Sein grenzgängerisches Lebenswerk, das von einer Jazzplatte bis zu Aufnahmen von wunderbaren Kurzhörspielen (u.a. Pommesbude, Toilette, Kaffeekränzchen, Eheinstitut) reicht, will der 37jährige Schneider im Herbst mit einer Selbstbiographie unter dem Titel „Guten Tach. Auf Wiedersehn.“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch) krönen. Er veröffentlicht sie jetzt schon, damit — wie er schreibt — „das Buch nicht so lang wird“. Publikumsfreundlicher ist kein Künstler je gewesen. Und eine neue Platte (GUTEN TACH) mit dem Superhit „I Am The House Of New Orleans“, ist eben frisch aus der Presse gerollt.

Auch Ringsgwandl, die Band um den bayrischen Arzt und Entertainer gleichen Namens, haben just ihren neuen Tonträger VOGELWILD veröffentlicht. Georg Ringsgwandl ist neben Hape Kerkeling der einzige männliche deutsche Entertainer, der auch seinen Körper in die berufstypische Grenzauflösung mit einbezieht. Er schminkt sich, taucht seine Auftritte in ein tuntiges Selbstdarstellungsszenario und benutzt seine Stimme wie ein Instrument. Ringsgwandl spricht, Ringsgwandl singt, doch vor allem: Er spielt.

Ringsgwandl ist zudem, neben den Allmeistern von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, der bei weitem rockmusikalischste Entertainer des deutschen Sprachgebiets. Text und Musik sind eine Einheit; musikalisch findet, bei dankenswert sparsamem Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel, eine kreative Auseinandersetzung mit der Tradition statt. Die Texte, teils Hochdeutsch, teils Nuschelbayrisch, sind nicht selten privat; sie setzen nicht auf plane Verständlichkeit, sondern auf das intensive Zwiegespräch mit der Musik, die unvermittelt Zusammenhänge aufblendet, die die Worte allein nicht offenbaren würden. Geilheit und Überdruß sind Hauptkonstituenten seiner Lieder. Ringsgwandl wirkt ein wenig wie ein wildgewordener Mediziner, der den Routinefrust auf der Rockbühne abfackelt.

Dabei sind seine Lieder thematisch breiter gestreut, als dies in diesem Genre gewöhnlich der Fall ist. Er singt vom Reihenhaus und vom Straßencafe, von Aids und Korruption, natürlich von den Frauen und immer wieder vom Sterben. Er ist in gewisser Weise der modernste der deutschen Entertainer. Seine verwirrte Lebenshaltung, der beinahe alle Maßstäbe abhanden gekommen sind und die sich doch nicht mehr in haltlose Stärkeposen zu flüchten versucht, stellt programmatisch die Brüchigkeit des gegenwärtigen Lebensgefühls dar. Sein bitterer Witz und die musikalische Mischung, die gelegentlich eher nach den zwanziger Jahren riecht als nach den Neunzigern, unterstreicht diese Fin-de-siecle-Stimmung.

Viel weiter als Ringsgwandl geht in der Selbstdarstellung Hape Kerkeling.

Bei näherer Beschäftigung mit diesem Liebling aller Muttiblätter, der ebenso gut gelaunt wie gut gescheitelt durch die Glotz-Gazetten scharwenzelt, fällt die professionelle Improvisationskunst dieses doch noch einigermaßen jungen Menschen auf. Seine Fernsehsketche gehören zum Intelligentesten, was die deutsche Medienlandschaft an Entertainern zu bieten hat. Da wird kein Weltschmerz gepflegt, Hape hält das Mikro drauf. Sem Auftritt als Königin Beatrix vor dem Bundespräsidialamt war Oscar-reif, seine „Bundespressekonferenz 4 ‚, seine „Mitropa-Kaffeemaschine“ sind echte Highlights im tristen Einer-lei der TV-Unterhaltungsroboter. Auch musikalisch weiß er aufzutrumpfen, mit „Das ganze Leben ist ein Quiz“ konnte er vor zwei Jahren sogar einen kleinen Sommerhit landen, und (jetzt auch als Tekkno-Version). sein letztes Werk, besitzt geradezu dadaistische Qualitäten.

Kerkeling ist der einzige der ausgesprochenen Fernsehfreaks unter den Entertainern, der sich nur doof stellt. Seine Darsteller- und Verkleidungskünste werden nur noch übertrumpft von Gert Knebel und Hendrik Nachtsheim, den ehemaligen Frontleuten der berüchtigten Hessen-Kapellen Rodgau Monotones und Flatsch, die sich inzwischen zu Badesalz zusammengefunden haben. Als solche produzieren sie vorwiegend Sketche, die nicht selten musikalisch unterfütlert sind. Sehenswert sind ihre Simply Red-Parodie, die Roberto Blanco-Verhöhnung oder der Flower Power-Clip. Badesalz arbeitet allerdings fast ausschließlich auf Kalauer-Basis, was auf Dauer gesehen zu deutlichen Abnutzungserscheinungen führt.

Den Frauen ist im deutschen Entertainergeschäft bislang lediglich ein Schattendasein gewährt. Wenn sie dann aber auftauchen, gehört die Körperlichkeit ihrer Show fast immer zum Markenzeichen. Lisa Fitz, Altmeister» in diesem Geschäft, ist nach wie vor erstklassige Herrin einer drittklassigen Band. Ihre Medienpräsenz in Talkshows verdankt sie allerdings meist weniger ihren durchaus schätzenswerten Entertainerqualitäten als ihrer offenbaren sexuellen Vielseitigkeit. Gegen die kühle Künstlichkeit einer Ute Lemper, die schöne Beine hat, wo sie eine Stimme brauchte, ist Lisa Fitz freilich immer noch jede Eintrittskarte wert. Die junge Sissy Perlinger (inzwischen mit Plattenvertrag bei „Virgin“), deren Auftritte einer zweistündigen erotischen Performance gleichen, könnte ihr dabei in absehbarer Zeit das Wasser abgraben. Sissy Perlinger braucht, anders als Lisa Fitz, die Männer nicht mehr als Gegenbild. Ihre Bühnenpräsenz ist total.

TV, Video, Schauspielerei — die darstellenden Künste sind nicht zu trennen von der Entertainerei. Hage Hein, der Münchener Musikmana- ¿

ger. der Leute wie EAV oder Sissi Perlinger betreut, meint: „Mich haben diese Grenzüber± schreiler schon immer besonders interessiert. Die haben es allerdinp in Deutschland sehr schwer, obwohl es hier vor dem Krieg eine blühende Tradition gab. Doch die Nazis haben die guten Leute alle verjagt, die sind dann in die Staaten gegangen und als Einfluß von dort wieder zu uns zurück. So restlos verrückt ist die deutsche Geschichte. „

Hein hatte Mitte der Siebziger Jahre die Kölner „Schröders Roadshow“ betreut und war von deren Musik- und Show-Mix auf den Geschmack gebracht worden. Die Erste Allgemeine Verunsicherung hob er wenig später sozusagen mit aus der Taufe, und damit waren die Fundamente gelegt. Auch das „Watzmann“-Musical von Tauchen/Prokopetz/Ambras und die Ösi-Truppe Hallucination Company waren sicher erste Höhepunkte dieser Entwicklung.

Überhaupt, die Österreicher. Hein: „Die waren im Entertainment immer schon etwas weiter. Das Hegt daran, daß sie ja quasi eine Region sind, als solche aber immer schon ein besonderes Selbstbewußtsein hatten. Alle heutigen Entertainer sind ja sehr regional orientiert und erhalten jetzt, durch die allgemeine Emanzipation der Regionen in Europa, eine Aufwertung. Ich sehe darin, neben einer Chance ßr ungenormte Unterhaltung, auch eine Möglichkeit zur Überwindung eines chauvinistischen Nationalismus.“

Also Entertainer, aufgemerkt: In eurer Bodenständigkeit ruht vielleicht die Zukunft der zivilisierten Welt.

Was dazu wohl Hans Söllner sagen würde, „der wilde Hund von Reichenhair (Der Spiegel)? Sein bodenständiger Reggae, der eigentlich nur gespielt wird, um den radikal politikerbeleidigenden Zwischentexten des Söllner-Hans eine Form zu geben, erhielt von Kritikern die Gattungsbezeichnung „Bayerntrash“. Im fernen Norden, also außerhalb Oberbayerns, ist er noch niemals aufgetreten.

Söllner, ein netter Mensch, der auf jedem Plattencover seine Kinder abbildet, verleiht der dumpfen Wut der Sprachlosen Ausdruck. Er sagt, was viele denken. Er ist ein Liedermacher, jawohl — auch bei Degenhardt, Wader, Husch & Co. liegen verschüttete Entertainer-Traditionen —, doch brav und wohlüberlegt, das ist er nicht. Er legt sich beispielsweise mit Gauweiler, Stoiber und sogar dem toten Strauß an, wird wegen Beleidigung verklagt — und seine Fans mögen’s. Söllner ist so etwas wie eine Ein-Mann-Primitivversion der früheren Anarchoband Ton, Steine, Scherben. Wo er hinrotzt, da wächst kein Gras mehr.

Politrocker waren für entertainende Grenzüberschreitungen immer schon zu haben. Man denke etwa an die selige Kölner Politrockband Floh de Cologne. Einige Überbleibsel der Truppe mischen bis heute an der alternativen Peripherie des kölschen Karnevals mit.

Womit wir abschließend beim Thema wären. Auffallend ist nämlich, aufs Ganze gesehen, die landsmannschaftliche Häufung der deutschsprachigen Entertainer im Norden und im Süden. Entlang der Rheinschiene tut sich entschieden weniger; die eigentlichen Stammgebiete des Stimmungsgesangs haben ganz offenbar weitaus weniger Nachholbedarf an entertainendem Ganzjahreskarneval als der hohe Norden und der tiefe Süden. Denn dies ist die Essenz der meisten Entertainer: Sie bieten Karneval übers ganze Jahr verteilt, sind dabei aber brav domestiziert und bar jeder straßenkarnevalesken Ausschweifung. Sinnlichkeit ist dem schenkelklatschenden Stammtischwitz allemal ausgetrieben. Fast nie kommt es zu echten Sauereien; Selbstzensur und Mediengeilheit beugen jedem möglichen Sendeverbot gleich vor.

Die neue Generation der Helge Schneiders und Hans Söllners läßt für die Zukunft hoffen, doch die derzeit erfolgreichen Entertainer sind meist perfekte Medienprodukte, die allein durch das Zusammenspiel platter TV-Sender und dämlicher Printmedien überhaupt existieren. Sie benutzen nicht die Medien, sie sind die Medien. Ohne diese bliebe an Substanz denn auch nichts über als ein klitzekleines Häufchen peinlich plappernder Asche, dem man an jeder Theke schnell ein Bier bestellt, damit es sofort die Klappe hält…