KEIN SCHLAF IN BROOKLYN


Das Hotel Michelberger in Berlin ist mit seinem zwanglos-kosmopolitischen Flair nicht nur der Traum des universellen Hipstertums von Silver Lake bis Södermalm. Es ist für The National eine Art Heimstätte. Mit den Betreibern sind Teile der Brooklyner Band eng befreundet, verbrachten hier den letzten Jahreswechel. Sogar die Musik des nun erscheinenden, sechsten Albums TROUBLE WILL FIND ME lässt sich, zumindest behauptet das Sänger Matt Berninger, bis in eines der Hotelzimmer zurückverfolgen. Nur schlüssig, dass sich drei Fünftel der Gruppe also an einem kalten Apriltag in einem Seitenflügel des Hauses eingefunden haben, um über ihre Musik zu sprechen. Zunächst einmal der Frontmann. Nicht im Anzug, den er gerne auf der Bühne trägt, sondern im Jeanshemd. Ein guter Typ, der weiß, dass er unter Beobachtung steht. Aber keiner mit sauber einstudiertem Celebrity-Habitus. „Grumpy“, sagt er selbst einmal über sich und lacht ein faltiges Lachen. Seine Haare sind noch nicht grau, aber man sieht: Es dauert nicht mehr lange, bis sie es sein werden. Der schmächtige Gitarrist Bryce Dessner sitzt daneben und sagt wenig. Er hört viel zu, rückt mit kurzen, aber präzisen Sätzen ab und an die Dinge zurecht, die Berninger im Unklaren lässt. Und dann ist da noch der Schlagzeuger Bryan Devendorf. Ein baumlanger Typ, der mit seinen langen Haaren und seiner getönten Brille so aussieht, als führte er etwas im Schilde. Würde der nach dem Interview mit auf die Warschauer Straße kommen und einem aus dem Kofferraum ein paar Lederjacken verkaufen wollen – astreine Qualität aus Italien, vom Laster gefallen -, man würde sich kaum wundern. Macht er natürlich nicht, dafür aber die besten Witze innerhalb der Band.

Einen Tag später werden The National im Innenhof des Hotels ein Konzert geben, auf dem sie fast die gesamte neue Platte spielen -eine Kunde, die via Stereogum, Pitchforkmedia und Co in die ganze Welt getragen wird. Zunächst aber sitzen sie nun in diesem Zimmer, das sich Whiskey Room nennt, und es geht um eine ganze Menge. Denn die Band hat über die letzten Jahre eine durchaus interessante Laufb ahn verfolgt. Zwei Platten erschienen Anfang des Jahrtausends quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Album Nummer drei namens ALLIGATOR fand 2005 schließlich einige Beachtung, BOXER (2007) platzierte sich in allen einschlägigen Bestenlisten. 2010 erschien HIGH VIOLET und erreichte aus dem Stand die Top 3 der US-Albumcharts. Die sechste Platte könnte jetzt den Durchbruch bedeuten, und rein prophylaktisch hat die Band via CD-Beipackzettel schon einmal verlauten lassen, sie habe sich nie besser gefühlt.

Als Motor dieser Platte nennt ihr unter anderem die Schlaflosigkeit eures Gitarristen Aaron Dessner. Der, so heißt es, hätte nach der Geburt seines Kindes deutlich fokussierter gearbeitet als zuvor. Wie darf man sich das vorstellen?

MATT BERNINGER: Es ist gar nicht mal die Schlaflosigkeit, um die es geht. Es ist einfach so: Wenn du Kinder hast, wird deine Zeit schlichtweg aufgefressen. Sie stehen viel früher auf als du, aber sie halten dich den ganzen Tag auf Trab. Du musst also lernen, diese klitzekleinen Zeitfenster, die du hast, zu nutzen. Aaron hatte ein Baby. Babys schlafen nicht durch. Und deshalb arbeitete er drei Monate lang viel nachts und war dabei sehr produktiv. Gleichzeitig war er aber erschöpft. Das Studio ist bei ihm auf dem Grundstück. Er konnte also, wenn er Zeit hatte, rüberwechseln – wusste aber nicht wie lange.

Ihr lebt alle in Brooklyn. Seid ihr Nachbarn?

MATT: Zumindest leben wir in der Nähe voneinander. Aber um genau zu sein, wohnte ich während des Großteils der Aufnahmen in seinem Haus. Wir kommunizierten trotzdem vor allem per E-Mail. Er schickte mir wirklich ständig Zeug rüber. Musik, die ziemlich schwer war, ziemlich emotional. Es war einfacher als früher, sich da reinzuarbeiten. Und es machte im Übrigen auch Spaß.

Ist das eure übliche Arbeitsweise?

MATT: Würde ich schon sagen. Wir schreiben eigentlich nie Songs zusammen. Jeder schreibt auf seinem Laptop, in seiner Comfort Zone. Diese Nachbarschaft ist nichts, was sich auf unsere Arbeit auswirkt.

BRYCE DESSNER: Das ist sehr vereinfacht ausgedrückt. Mein Bruder und ich haben durchaus versucht, zusammenzuarbeiten. Songs zu schreiben. Und auch die Vorproduktion gingen wir alle gemeinsam an.

MATT: Aber wir hingen nicht gemeinsam herum. Wir hängen überhaupt nicht mehr herum. Wir haben Kinder.

Hatte Aarons abweichendes Verhalten Einfluss auf dich als Texter?

MATT: Vielleicht. Ich habe die Texte wirklich erst ganz am Ende geschrieben. Da fiel mir erst auf, dass es einige Themen gibt, die wiederkehren. Zum Beispiel der Tod (lacht). Kommt in „Humiliation“,“Heavenfaced“ und „Don’t Swallow The Cap“ vor. Aber ich singe auf lustige Art über ihn. Er ist hier nichts Schlimmes, eher ein Phasenwechsel. Wie Erwachsenwerden. Oder Vater werden.

Zwei Mal namedroppst du Los Angeles. Eine deiner Traumstädte?

MATT: Es ist einfach die Heimat meiner Frau. Nachdem wir die letzten Konzerte der „High Violet“-Tour gespielt hatten, fuhren wir für einige Monate dorthin. Das war einfach sehr praktisch, ihre Eltern konnten sich um das Kind kümmern. Ich habe schon früher gerne über Los Angeles gesungen. Die Stadt hat einen morbiden Charme, den man erst nach einer Weile erkennt. Der Unterbau von Los Angeles ist interessanter als der von New York. New York hat Geld. New York ist sauber. In Los Angeles gibt es mehr Vergangenheit, mehr Geschichten. Ein eigenartiger Mix verschiedener Szenen, man darf das nicht auf dieses Hollywood-Schauspieler-Ding reduzieren. Es ist eher wie Berlin als New York, alleine weil die Mieten niedrig sind und es so viele Kreative anzieht.

Ist Los Angeles das wahre Amerika? Oder Ohio, wo ihr ursprünglich herkommt?

BRYCE: Nun, beides. 90 Prozent der Städte in Amerika sind eher wie Cincinnati als wie Los Angeles oder New York, das nun mal das Einfallstor für Europa ist.

Erzählt das Album eine Geschichte? Ich musste an eine Party denken. An eine Dinner-Party, die am Ende in Richtung Drama ausläuft. Vor allem am Ende macht das die Platte sehr stringent.

MATT: (lacht) Oh, du magst also die ersten Songs nicht! Nein, im Ernst: Ich verstehe gut, was du meinst. Aber ich glaube nicht, dass das Absicht ist. Es ist tatsächlich so, dass die Platte einen roten Faden hat. Sie ist narrativ, erzählt eine Geschichte. Aber das liegt vor allem daran, dass wir bei der Zusammenstellung der Songs Glück hatten. Es ist nicht so, dass ich ein bewusstes Rückgrat geschaffen und mich auf bestimmte Themen konzentriert habe.

Wie wichtig sind Einflüsse von außerhalb der Popmusik? Klaust du manchmal Zeilen, die dir gefallen?

MATT: Ich nenne es „freie Assoziation“. Wer sucht, wird eine Zeile aus „Blue Velvet“ finden. Das passte einfach gut. In „Hard To Find“ habe ich mich bei „Kiss Off“ von den Violent Femmes bedient. Das ist einfach so passiert und fühlte sich einfach richtig an. Das ist für unsere Band aber nichts Neues. In einem der „Alligator“-Songs („The Geese Of Beverly Road“, d. Red.) kam „Heirs of the Glimmering World“ vor, das ist ein Buch von Cynthia Ozick.

BRYAN DEVENDORF: Es ist ein Titel. Man kann einen Buchtitel nicht schützen. Wir haben also völlig legal gehandelt (lacht).

Vier, fünf Jahre, so sagt Berninger, habe man nach HIGH VIOLET eigentlich pausieren wollen. Den eigenen Interessen nachgehen. Sich um die Familien kümmern. Diesen so streng durchchoreografierten Verwertungsmechanismus – Platte, Tour, kurze Pause, noch mal Tour – durchbrechen. Doch Dessner legte ja sofort wieder los. Als Ausgleich nahm man sich dann eben bei den Aufnahmen Zeit. Ein paar – nicht unbedingt überraschende – Gäste wurden dazugeholt, etwa Sufjan Stevens, Sharon Van Etten und Richard Parry von Arcade Fire. Man feilte an den Melodien. An den Texten. Und ganz offenbar auch am Selbstbewusstsein. Berninger hat sich während der letzten Antworten erhoben. Ein Wasser geholt, ist im Raum umhergelaufen. Jetzt sitzt er wieder, aber in veränderter Haltung. Leicht nach vorne gebeugt. Wenn er spricht, hebt er die Hand. Das transportiert Anspannung, vielleicht sogar Angriffslust. Vielleicht möchte er aber auch nur seinen Kollegen sagen: „Ich hab das hier im Griff. Das läuft.“ Das ist durchaus eine Meldung, denn in der Vergangenheit kokketierte die Band immer auch mit den unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Band und den damit verbundenen Konflikten. Es gäbe, so las man, zwei Camps. Eines, das an Melodien interessiert sei. Und eines, das diese Melodien nur dann akzeptierte, wenn sie bisweilen einstürzten. Berninger, so hieß es, sei stets der Anführer des ersten gewesen.

The National waren nie eine Band, die klassische Rocksongs schreiben wollte. Kann man das so sagen?

BRYCE: Wir wussten in der Vergangenheit immer eher, was wir nicht machen wollten, und versuchten uns also an einer Gratwanderung. Es schien wichtig, dass in den Songs bei aller Größe auch unvorhersehbare Wendungen steckten. Das wiederum sorgte für eine manchmal sehr unangenehme Grundspannung.

BRYAN: Dad-Rock ist das Wort. Wir wollten nie Dad-Rock machen.

Dennoch: TROUBLE WILL FIND ME ist eine Rock-Platte geworden, die ohne jede Präfixe auskommt.

MATT: Diesmal hat sich Aaron mehr als früher an klassischem Songwriting versucht. Wenn du dir „Pink Rabbits“ anhörst, wird dir das auffallen. Sowohl Harmonie als auch Melodie als auch Aufb au basieren auf klassischem amerikanischen Songwriting.

Den Eindruck hat man auch bei anderen Stücken. Ich musste bei „I Should Live In Salt“ an Gordon Lightfoot denken.

MATT: Ich habe eher Roy Orbison gehört und versucht, ähnlich wie er meine Tonlage zu ändern, andere Stimmregionen als auf den letzten Platten auszuloten. Ich denke, es ist eines der zeitlosesten Lieder, die wir jemals geschrieben haben. Ob das jetzt jemand Dad-Rock oder so nennt, ist mir ziemlich egal. Früher bezeichneten Leute unsere Musik als „Mumblecore“ oder „Chantrock“. Insofern sind wir da schon einiges gewohnt. Ich mache mir einfach keine Gedanken darüber.

Das klingt nach Koketterie. Aber im Falle von The National hat es Hand und Fuß. Als die Band recht frisch von Cincinnati, Ohio nach New York gezogen war und 2001 ihr Debütalbum veröffentlichte, nahm davon kaum jemand Notiz. Die Leute interessierten sich für die Strokes, für Lederjacken, enge Jeans, gute Drogen und ein bisschen Riot. Man sei, so sagt Berninger, nach einer Geburt als Hobby-Band stets im Schatten gewesen. Man habe das, sieht man von den ersten zwei Jahren ab, aber keinesfalls gewollt. Man hätte damals gerne den Erfolg von Julian Casablancas und Co gehabt.

Stattdessen sammelte man die Fans wie andere Leute Facebook-Freunde. Einen nach dem anderen. Die Idee, das Debütalbum bei einem Label wie Sub Pop oder Matador einzureichen, kam Berninger und seinen Freunden gar nicht. Man wurde zunächst eine gute Liveband, sagt Berninger. Vielleicht kann man sogar noch weiter gehen: In erwähntem Schatten entwuchsen The National der Mittelmäßigkeit, wurden gute Songwriter. Man hatte schließlich Zeit, sich außerhalb öffentlicher Wahrnehmung zu entwickeln. Den Hype gab es nicht, stattdessen nachhaltiges Wachsen. Irgendwann waren die Konzerthallen voll, spielte die Band vor ein-, zwei-, zuletzt dreitausend Leuten. Es waren Fans, die blieben. Die die Band kultisch verehrten. Als The National vor etwa drei Jahren ihre einzigen beiden Deutschland- Konzerte der „High Violet“-Tour in Berlin spielen, steht halb Europa auf der Matte. Finnen, Portugiesen, Griechen, alle sorgen sie dafür, dass sowohl das eigentliche Konzert als auch der Zusatzauftritt innerhalb kürzester Zeit ausverkauft sind. Und auch der Geheimgig im Hotel Michelberger wird im Internet aufgeregt rezipiert. Bedeutet: Den Fans gefällt’s ohnehin. Was darüber hinaus passiert – nun, es ist Berninger nicht egal. Er erzählt von der Tour mit R. E. M. und davon, wie begeistert er damals von deren Gefüge gewesen sei. Sie hätten ihm gezeigt, wie wichtig Freundschaft in einer Band sei. Wichtiger als alles andere. Auch wichtiger als der Erfolg, der sich zart andeutet: Beim Konzert von Mumford &Sons einige Tage vorher läuft „Bloodbuzz Ohio“ in der Umbaupause. Viele singen mit.

Hast du immer noch Angst, dass sich die Leute nicht für diese Platte interessieren werden?

MATT: Früher war die Angst unser ständiger Begleiter. Die Angst, schlechte Stücke zu schreiben. Die Angst, als Band vergessen zu werden. Die Angst, irrelevant oder gar langweilig oder doof zu klingen – all diese Befürchtungen waren immer da. Ich glaube, sie haben sich ein Stück weit aufgelöst.

BRYCE: Ich denke, es ist etwas komplizierter als das. Wir haben uns damit arrangiert. Man muss einfach seine Sichtweise ändern, denn eigentlich ist es ganz einfach: Es ist in Ordnung, ängstlich zu sein. Es ist in Ordnung, nervös zu sein. Es ist in Ordnung, nicht zur Ruhe kommen zu können. Bei uns verteilt sich die Angst innerhalb der Band. Matt ist der Frontmann. Er ist der Typ, der auf der Bühne dem Publikum unsere Songs verkauft. Er ist vordergründig der positive Kerl. Er muss das sein. Mein Bruder dagegen ist der Grübler. Der, der immer erschöpft ist, für den die Arbeit mit der Band eine sehr schwere Arbeit ist.

Spricht man darüber mit anderen Künstlern? Sagt man etwa: „Hey, Win Butler! Wie geht’s dir? Du, ich habe die Befürchtung, dass unser neues Album echt mies ist!

BRYAN: Vielleicht nicht zu Win Butler. Der hat nicht unbedingt Selbstzweifel. Er kam zu uns ins Studio, hörte in einen Song rein und sagte: Für euch klingt das ganz gut, Jungs. Macht den Teil da noch ein bisschen stärker.

Einen Abend später stehen The National schließlich auf einer Bühne im Hof des Hotels. Es ist voll, die üblichen Medienvertreter, Booker und Musikindustrie-People haben sich versammelt, aber auch einige Ticket-Gewinner. Die Temperaturen pendeln um den Gefrierpunkt, neben Bier wird auch Glühwein ausgeschenkt. Die Band stand seit vier Monaten nicht mehr auf der Bühne, und das merkt man. Berninger ist nervös, er hat seine Texte ausgedruckt und auf einem Notenständer hinter sich stehen, der ständig umfällt. Einmal nimmt er eines der Blätter und versucht, es an einem der beiden Heizstrahler zu entzünden, die zumindest für die Band ein bisschen Open-Air-Feeling simulieren sollen. Dabei ist der Heizlüfter gar nicht mehr an. Er versucht mit solchen Scherzen seine Unsicherheit zu überspielen, aber so ganz klappt das nicht, und erst am Ende, als The-National-Hits wie „Bloodbuzz Ohio“ und „Fake Empire“ auf der Setlist stehen, taut er auf. Wobei: Er ist ganz schön betrunken. Aber das ist natürlich völlig in Ordnung, im Rock’n’Roll darf man das ja wohl. Es ist schön zu sehen, dass The National glücklich zu sein scheinen.

Albumkritik S. 88

THE NATIONAL LIVE

The National spielen diesen Sommer unter anderem auf dem vom Musikexpress präsentierten Doppelfestival Hurricane/Southside. Die Band freut sich. Denn: „Gerade am Anfang einer Tour ist es wichtig, kleine Konzerte zu spielen. Weil man dort die Songs üben kann. Man erkennt, wie sie beim Publikum ankommen“, sagt Matt Berninger. Open Airs hätten allerdings durchaus ihren Reiz. „Wenn der Vibe, die Energie von so vielen Leuten auf die Bühne schwappt, dann ist das ein wunderbares Gefühl.“ Eines verrät er: „Die Augen sieht man. Auch bei Festivals. Du siehst immer die Augen. Deswegen mache ich meine zu. So blende ich die Realität aus, die vielen Tausend Leute. Es würde mich einfach ablenken.“

Hurricane & Southside: 21.06-23.06., Neuhausen ob Eck/Eichenring, Scheeßel; weitere Tourdaten: 4.11., Berlin, Max-Schmeling-Halle; 5.11., Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle