Kolumne

„Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“ – Tanzt den 8. März!


Der 8. März hat immer mehr an Bedeutung gewonnen, in Berlin sich sogar zum Feiertag aufgeschwungen.

In den letzten Jahren hat der 8. März immer mehr an Bedeutung gewonnen, in Berlin sich sogar zum Feiertag aufgeschwungen. Feministische Forderungen tanzbar machen – das ist (nicht nur) das Ding von AINIE & Finna und von Schwesta Ebra.

Die mit der Popularität des 8. März einhergehende Sorge: Der „feministische Kampftag“ erliegt einem kommerziell- wie verwaschenen Muttertags-Swag. So „Blumen für die Dame des Hauses“-mäßig. Als ob es mit einem Strauß Tulpen und einer Kampagne von Douglas, Bershka oder Gilette getan wäre. Für Aktivist*innen gilt es daher aktuell um so mehr, elementare Forderungen sowie die subversive Relevanz des 8. März hochhalten. Das geschieht zum Beispiel mit zwei Song-Veröffentlichungen, die nun exakt an diesem Datum erscheinen. Schwesta Ebra aus Wien und Finna & AINIE aus Hamburg, beziehungsweise Frankfurt, droppen sehr unterschiedliche Stücke. Beide werfen ein Schlaglicht auf das gesellschaftliche Spannungsfeld der Emanzipation.

Finna & AINIE (Foto: Donna)

Finna & AINIE „Stürmen Herzen“

Finna & AINIE sind sich bei einem Workshop begegnet. Nicht nur ihre musikalischen Visionen und ihr aktivistischer Background verband sie, sondern auch die Tatsache, dass sie beide queere Moms sind. Die gegenseitige Begeisterung haben sie nun in einen gemeinsamen Track fließen lassen: „Stürmen Herzen“.

Hallo Finna, hallo AINIE, schön, dass ihr mir ein paar Fragen beantwortet. Geht auch ganz einfach los, wie habt ihr euch eigentlich zusammengefunden?

Wir haben uns über das Fe*male Producer Collective vor fast genau einem Jahr in Saarbrücken im Studio kennengelernt, aber gefunkt hat es, als wir über unsere Handyhintergrund-Pics gemerkt haben, dass wir beide queere Mums sind… und dann wollten wir uns unbedingt mal zum Abhängen treffen. Und wie das bei so Mucker*innen ist, ging es direkt doch musikalisch zur Sache. Wut auf System, das Patriarchat und gesellschaftliche Normen tat ihr Übriges und zack war die Idee geboren.

Linus Volkmanns Leitfaden: How to support your little Lieblingsbands

Ein feministischer Song zum 8. März, das fiele sicher auch der ein oder anderen Agentur ein, aber bei euch geht’s nicht um Promo sondern die Sache – erzählt doch mal, was dahintersteckt, dass ihr das Stück kostenlos für Demos zur Verfügung stellt und wie das Feedback auf die Idee bisher ist?

Ufff… Ja. Man könnte das locker als kapitalistische Kackscheiße abstempeln. Ding ist nur, dass es den Track nicht nur jetzt für alle Demo-Orgas, Solipartys und Lautis (Lautsprecherwagen auf Demos, Anm.) free zum Download gibt, sondern wir auch danach den Song auf Soundcloud for free droppen werden. Damit der auch weiterhin für Solizwecke oder außerhalb von monetärer Struktur genutzt werden kann. Wir wollen uns nicht am 8. März bereichern, sondern mobilisieren und zum „Feministischen Kampftag“ aufrufen, der klare Kante, gegen rechts, Antisemit*innen, Rassist*innen, Terfs (transfeindlichen Feminismus, Anm.) oder Swerf (Feminismus, der Sexworker*innen exkludiert, Anm.) zeigt und sich intersektional queer sowie antifaschistisch positioniert.

Wir haben nach dem Post auf Instagram einen Haufen Nachrichten bekommen von Demo-Orgas, den Track unbedingt auf dem Lauti spielen wollen bisher 23 Städte, was für uns voll krass ist – und wir spielen jetzt auch selbst in Hamburg und Nienburg an dem Tag auf solchen Wägen.

Musik spielt immer auch eine Rolle beim Thema Empowerment. Was sind denn andere feministische Songs, die euch pushen?

Petrol Girls „Touch Me Again“, Sir Mantis „Der Florist“, Little Simz „Gorilla“, Noga Erez „Chin Chin“, Yseult „Corps“, Peaches „Fuck The Pain Away“, Gossip „Real Power“, Sookee „Zusammenhänge“.

Auch die queere Szene muss sich mit Vereinnahmung auseinandersetzen. Wie kann gewährleistet werden, dass auch jüdische FLINTA keine Ausschlüsse auf der Straße und den Clubs erleben durch diesen antisemitischen Shift, den diverse Gruppe für eine Form von Solidarität mit Palästinenser*innen halten?

Gut, dass du die aktuellen antisemitischen Tendenzen bis offensichtlichen Antisemitismus der queeren und feministischen Bubble ansprichst. Wir beide haben uns offen dazu positioniert – die Statements finden sich bei „Artists against Antisemitism“, deren Engagement gerne mal mit Likes bedenken und ihnen folgen. Wir lehnen jede Art von Antisemitismus auch den unter Vorwänden ab. Es muss möglich sein, sich klar gegen Antisemitismus, Faschismus, Rassismus, Patriarchale Gewalt, Queer und Transfeindlichkeit und Kapitalismus zu positionieren, um überhaupt einen sicheren 8. März für alle gewährleisten zu können! Dazu braucht es klare Formulierungen in der Demo-Aufrufen und eine geschlossen solidarische Haltung von allen.

Feministischer Kampftag ist eh immer, daher die Frage über den Song und den 8. März hinaus: Was plant ihr für 2024 – zusammen und allein?

Wir haben uns beide fest vorgenommen, weniger Promo und mehr Musik zu machen, kann schonmal passieren, dass wir uns ohne Handys ein Haus mieten werden, aufs Land fahren und einfach nur Musik machen – aus Bock! Stay tuned.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Schwesta Ebra „0171719“

Schwesta Ebra aus Wien unterhält eines der phantasievollsten wie offensivsten Social-Media-Imperien auf TikTok und Instagram überhaupt. Immer wieder entlarvt sie dort die männlich dominierten Rap-Mechanismen, beispielsweise indem sie in die Rollen von Macker-Rappern schlüpft und so misogyne Praxis über Humor sichtbar macht. Rollenprosa und Spaß an der Verkleidung – Schwesta Ebra versteht es, Inhalte entertaining zu verpacken, was aber nie auf Kosten der Prägnanz geht. Auch sie veröffentlicht nun zum achten März ein Stück: „0171719“.

Was hat es mit der titelgebenden Nummer „0171719“ auf sich?

Die Nummer ist die Telefonnummer vom 24-Stunden-Frauennotruf in Wien.

In deinem musikalischem Schaffen beziehungsweise dem auf Social Media kann man durchgehend queer-feministisches Engagement bei dir finden. Was war deine Idee, jenes durch den Song jetzt konkret auch an das Datum des 8. März zu knüpfen?

Ich hab am 25. November 2023 ein Video gepostet mit der Hook des Songs und dann noch ein anderes Video mit einem TikTok-Sound, wo quasi steht „Hier die besten Maßnahmen der Politik gegen Gewalt an Frauen“ und dann ins Leere gezeigt. Disclaimer: Ich hatte übrigens die Telefonnummer im Insta-Beitrag falsch eingebaut, weil eine „1“ fehlt – musste darauf hingewiesen werden, haha. Jedenfalls ging das zweite Video so durch die Decke, dass zwei oder drei Tage später die Frauenministerin von Österreich höchstpersönlich ein Reel gemacht hat, wo sie darauf reagiert und erklärt, dass sie ja eh so viel machen und dass ich, statt herumzutanzen lieber meine Reichweite nutzen soll, um zum Beispiel auf wichtige Telefonnummern hinzuweisen. Fand ich super funny in Anbetracht der Tatsache, dass ich wenige Stunden davor ja eben das erste Video mit der Nummer gepostet hab. Dann dachte ich mir, „okay, du Blunzn [österreichischer Slang], jetzt schreib ich diesen Song fertig und veröffentliche ihn, weil eigentlich gar keine so schlechte Idee …“

Schwesta Ebra (Foto: privat)

In deinen Texten und Online-Bits geht es oft um übergriffige Macker. Das neue Stück greift das wieder auf. Mich interessiert daher mal deine Beobachtung über die letzten Jahre: Wird es irgendwie besser durch eine sichtbarere Auseinandersetzung zu Themen wie „Toxische Maskulinität“ oder eher schlimmer durch all die rechten Backlashs, die gerade auf vielen Ebenen Zulauf gewinnen?

Meine subjektive Auffassung sagt mir, es wird schlimmer. Vor allem durch diese Radikalisierungen online durch gefährliche „Influencer“ … Andrew Tate zum Beispiel. Die jungen Erwachsenen gefährliche Glaubenssätze mitgeben wie „Frauen sind selbst schuld, wenn ihnen sexualisierte Gewalt widerfährt“ und ähnliches. Der Ton online ist über die Jahre rauer geworden. Es gibt ja auch Annahmen, dass „junge Frauen“ immer linker und liberaler werden während „junge Männer“ sich zunehmend konservativer und rechter entwickeln. Je mehr Sichtbarkeit desto mehr Hass, also irgendwie auch ein positives Zeichen, weil zumindest merkt man, „Okay, es passiert was und es fällt auf“. Bei mir persönlich sind aber vor allem im Netz die Anfeindungen in den letzten zwei, drei Jahren stark angestiegen. Das reicht von eher „harmloseren“ Beleidigungen oder sich lustig über mich machen, bis hin zu übel rassistischen und auch strafrechtlich verfolgbaren Aussagen.

Linus' Popkolumne: Kachel’n‘Katastrophen – Tücken von Online-Interviews

Österreich steht bei den nächsten Wahlen vor einem weiteren Rechtsruck, wie erlebst du das, was sind konkrete Befürchtungen?

Also nach diesem Anfang des Jahres öffentlich gewordenen „Geheim“-Treffen musste ich schon ziemlich schlucken. Dass die Rechten Menschen wie mich und meine Family hier raus haben wollen, ist absolut nichts neues. Die Akzeptanz oder besser die Haltung der Gesellschaft dazu macht mir eher zu schaffen. Wir sind nicht empört genug über das Ganze. Jetzt waren oder sind teilweise noch Demos und so weiter – was wirklich super ist – aber ich frage mich einfach, was kommt als nächstes? Wenn Zeitzeug*innen aus dem zweiten Weltkrieg sagen, dass es damals auch so angefangen hat, rinnt mir ein kalter Schauer über den Rücken.

Auch hier noch mal die Frage zur queeren Szene und der aktuellen Vereinnahmungsversuchen von Protesten. Wie kann gewährleistet werden, dass manche FLINTA nicht Opfer von politisch motivierten Ausschlüssen werden? Was ja gerade auch durch den antisemitischen Shift, der mit den Folgen des 7. Oktobers einhergeht, zu beobachten ist.    

Gefährdete Minderheiten zu schützen und ihnen zuzuhören und vor allem ihre Struggles ernst zu nehmen, sollte unser aller Priorität sein. Gewalttaten und Ausschluss unter dem Deckmantel von irgendwelchen vermeintlichen Überzeugungen können dadurch nicht gerechtfertigt werden. Auch innerhalb der queeren Community können wir Diskriminierung wahrnehmen – gerade da sollten wir eigentlich alle an einem Strang ziehen.

Wie geht es 2024 musikalisch bei dir weiter? Eher songweise oder doch bald das große Schwesta-Ebra-Doppelalbum?

Ein Album ist aktuell tatsächlich noch in weiterer Ferne. Das liegt zum einen daran, dass ich nach wie vor komplett Independent und DIY unterwegs bin – und den damit einhergehenden, fehlenden Ressourcen. Ich mache aktuell sehr viel neben der Musik. Content produzieren nimmt extrem viel Arbeit ein, wobei ich das ja auch brauche, um die Musik nach draußen zu bringen. Dann habe ich noch etliche Nebenjobs und seit paar Monaten eine eigene Kolumne bei moment.at. Ich merke jetzt gerade, ich sollte vielleicht mal einen Gang runter schalten. Wobei ich mir aber auch vorstellen kann, dass Alben in Zukunft weniger relevant sein werden – von daher hab ich noch keine Eile eines raus zu hauen.

Okay, okay, wir werden warten!

Schwesta Ebra (Foto: Zoe Opratko)

Den Song „0171719“ von Schwesta Ebra findet ihr ab dem 8. März auf allen Streamingplattformen. Noch zwei relevante, ganz neue Songs mit Frauenkampftag-Background mehr? Na, her damit.

Auch GINA ÉTÉ veröffentlicht diese Woche ein Stück – und zwar „Love To Work“. Es ist ein Lied über all die Arbeit, die in der Vergangenheit von Frauen oder FLINTA* geleistet wurde und die von der Gesellschaft nicht ausreichend anerkannt, gewürdigt oder entlohnt wird.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Der Song „Raus an dich“ von Deine Cousine adressiert einen anderen Aspekt. Die Tatsache, dass es einen Grund hat, das sich so viele Frauen nicht sicher, nicht wohl fühlen können im öffentlichen wie privaten Raum. Der Grund heißt Männer. Das Ergebnis ist bittersüßer Dance-Pop, der die Übergriffskultur beim Namen nennt: „Das hier geht raus an alle Brüder, an alle Mütter, alle Söhne, alle Väter / Passt bitte auf, was ihr euch gegenseitig beibringt / Und werdet laut, wenn irgendwo jemand zu weit geht“. Das Stück findet sich als Doppelvideo auf YouTube ergänzt um den Song „Girls Just Wanna Have Fun“. Flashbacks auf Cyndi Lauper beabsichtigt – das Lied von Deine Cousine geht trotzdem eigene Wege.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

PS: Den 8. März, also den internationalen Frauenkampftag, soll natürlich jede:r nach eigenen Vorstellungen begehen. Wer in Berlin lebt, sei aber in jedem Fall auf diese Demo hier verwiesen. Gepusht von einem Zusammenschluss, der kein Interesse daran hat, dass weibliche und queere Solidarität von anderen Kräften / Interessen instrumentalisiert wird. Gegen selektiven Feminismus. 15 Uhr, 08.03.2024 Helsingforser Platz, Berlin-Friedrichshain. Peace out!

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

Zoe Opratko
ME