Katharsis, Berlin und Sudan: Hier sind die Alben der Woche
Die Alben der Woche vom 26. November bis 2. Dezember. Mit Sinkane, Paul Kalkbrenner und Scott Walker.
Album der Woche: Paul Kalkbrenner – Guten Tag
Die Musik Paul Kalkbrenners nicht mehr zu mögen, weil der Berliner Produzent und DJ quasi aus Zufall (Film und Soundtrack Berlin Calling) zum Superstar und Alleinunterhalter der Dorfjugend geworden ist, sein „Sky And Sand“ sich seit hundert und ein paar zerquetschten Wochen in den Single-Charts aufhält, ist eine nette Marotte der popkulturellen Bescheidwisser, aber auch ein bisschen albern. Das Bemerkenswerte ist, dass Kalkbrenner mit relativ okayem Techno zum Massenphänomen geworden ist – er ist ja kein Skrillex, David Guetta oder Tiesto. Auf seinem sechsten Album Guten Tag wird aber das evident, was sich schon auf dem Vorgänger „Icke wieder“ angedeutet hat: Weil Kalkbrenner sich keine Mühe mehr geben muss für den Erfolg, arbeitet er nach dem Minimalprinzip: melodienselige, impressionistische Ambientflächen, dezente Abstraktionen, dazu bei Bedarf eine fette Kickdrum – fertig ist der Kalkbrenner-Track.
Albert Koch
Blur – Parklive (Limited Edition)
The Bryan Ferry Orchestra – The Jazz Age
Caligola – Back To Earth – Resurrection (New Edition)
Conrad Schnitzler / Andreas Reihse – Con-Struct
Deadmau5 At Play Vol. 4 Diverse – Motion Sickness
Foreign Beggars – The Uprising
Kesha – Warrior
Nektar – Spoonful Of Time
Die Orsons – Das Chaos und die Ordnung
Pink – The Truth About Love (Fan Edition)
Sinkane – Mars
Bisher kannte man Ahmed Gallab als Tourdrummer von unter anderem Yeasayer, Of Montreal und Caribou – also gar nicht. Mit seinem Debütalbum Mars betritt er nun den vorderen Teil der Bühne und bringt eine ereignisreiche persönliche Vorgeschichte mit. Seine frühe Kindheit verbrachte Gallab im Sudan, bevor seine Eltern mit ihm nach Ohio auswanderten und er schließlich seine derzeitige Wahlheimat in Brooklyn (natürlich) fand. Mars ist der Versuch, dieses Überangebot an persönlicher Erfahrung in einem Pop-Album unterzubringen. Das könnte der Grund sein, weshalb auf dieser Platte so etwas wie ein roter Faden nicht zu erkennen ist – selbst die einfallsreich-soulig komponierte Rhythmussection und die Vorliebe für das gute alte Wah-Wah-Pedal werden im vorletzten Song „Mars“ unsanft ausgebremst.
Andreas Meixensperger
Talabot, John – Fin
Twilight Sad, The No One Can Ever Know – The Remixes
U.S. Girls GEM
Walker, Scott Bish Bosch (inkl. Buch)
Scott Walker wird mit dem Alter wieder schneller. Jeweils elf Jahre lagen zwischen Climate Of Hunter (1984), Tilt (1995) und The Drift (2006), jetzt erscheint der Nachfolger Bish Bosch bereits nach sechs Jahren. Seit der gebürtige Amerikaner sich Ende der Sechziger aus dem Teenie-Pop-Traum Walker Brothers in das Leben eines romantischen Songwolfs verabschiedet hatte, der den existenziellen Fragen des Daseins nachspürte, tickt seine Uhr jenseits des gewöhnlichen Pop-Betriebs. Die raren musikalischen Rufzeichen aus Walkers Elfenbeinturm gerieten zu „Kunstsensationen“, die der Wichtigsprechung durch die Feuilletons harrten – ein „göttliches Genie“ (Untertitel einer Walker-Compilation) auf dem Weg zum enigmatischen Visionär, der sich von Songstrukturen entfernt hatte, um in einer radikalen Neuordnung von Klängen Katharsis zu finden.
Frank Sawatzki
Young, Neil & Crazy Horse – Psychedelic Pill Vinyl
Man muss ja vorsichtig sein, vom „besten Neil-Young-Album seit …“ zu reden. Vorschnelle Beurteiler wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder sehr schnell von der Realität eines Besseren belehrt. Auch Psychedelic Pill ist nicht frei von den üblichen, aber berechtigten Kritikpunkten am Spätwerk Neil Youngs: Selbstzitate und -plagiate in Lyric- und Songwriting. Psychedelic Pill aber ist ein kluges Album, weil es Text und Songwriting den zweiten und dritten Rang zuweist und sich auf die Stärken des Quartetts Neil Young, Frank „Poncho“ Sompedro, Billy Talbot und Ralph Molina verlässt. Das Album ist das Pendant zu den wunderbaren Liveperformances von Neil Young & Crazy Horse. Wo Songs wie „Down By The River“, „Cortez The Killer“, „Like A Hurricane“ und – wenn das Publikum großes Glück hat – „Cowgirl In The Sand“ lediglich als Ausgangsbasis benutzt werden für ausufernde, mal verhalten grimmige, mal giftig feuerspeiende Gitarrenimprovisationen auf dem swingenden Rhythmusfundament von Crazy Horse.
Albert Koch