Karthago-Gitarrist Joey Albrecht berichtet vom Summer Concert ’74 in Hilversum :


Die Überraschung war perfekt! Kurz bevor das langangekündigte Festival mit den Allman- und den Doobie Brothers in der Nähe von London über die Bühne ging, stellte sich heraus, dass die gleiche Veranstaltung auch in Holland stattfinden sollte. Zum ‚SUMMERCONCERT 74‘ zogen ca. 25.000 Holländer mit Luftmatrazen und Rotweinflaschen bewaffnet in den Sportpark in Hilversum, um innerhalb von 12 Stunden die ALLMANS, die DOOBIES sowie das neue MAHAVISHNU ORCHESTRA, TIM BUCKLEY, EARTH & FIRE und ALQUIN zu erleben. VAN MORRISON, der ebenfalls angekündigt war, konnte nicht auftreten, weil die Umbaupausen länger als geplant dauerten. In Hilversum gab die Allman Brothers Band ihr erstes Konzert ausserhalb Amerikas. Grund genug für die Jungs der Berliner Rock-Gruppe KARTHAGO einen kleinen Abstecher in das Land der Tulpen zu unternehmen. Während das ME-Redaktions-Team sich hinter der Bühne auf Interview-Jagd begab, mischte sich JOEY ALBRECHT, der Sänger/Gitarrist der Karthager, unter die Besuchermassen und schrieb EXKLUSIV für MUSIK EXPRESS seine Eindrücke nieder:

Festival – Vibrations

Für mich persönlich war es das erste Mal, dass ich als Zuschauer auf so einem grossen Festival‘ war. Als Musiker fand ich es sehr interessant, dass ich mal nicht auf der Bühne stand, sondern dass ich selbst im Pu-Dlikum sass, den Musikern zuhören konnte und unheimlich gut die ‚vibrations‘ mitbekam. Es ist eine sehr dufte Erfahrung als ‚Aktiver‘, weil man das Geschehen auf der Bühne plötzlich aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet. Du siehst, wie die Gruppen ankommen, und Du siehst die Ursachen dafür, wenn bestimmte Gruppen nicht ankommen.

Du rennst rum oder liegst in der Sonne, siehst hier Bräute und da Bräute, funky chicks, fährst voll ab und überall ist Bewegung. Du wirst unheimlich abgelenkt, und bist gar nicht darauf aus Musik zu hören. Deshalb müssen Gruppen, die in einer solchen Situation erfolgreich sein wollen, totalen Rock machen, der die Leute sofort fesselt. Die Festival-Freaks wollen im Grunde den totalen ‚push‘, die wollen abfahren, die wollen Stimmung haben, denn das ist schliesslich der 1 Grund, der so viele Leute zusammenbringt.

Mahavishnu für Fe- stivals nicht geeignet

Nach den einheimischen An- i heizern Alquin und Earth & Fire wurde die Bühne klar gemacht für John McLaughlin’s neuformiertes Mahavishnu Orchestra, dem jetzt auch der Ex-Frank Zappa-Geiger Jean Luc-Ponty angehört. Ich habe viele schlechte Kritiken über McLaughlin gelesen, in denen es hiess, dass das neue Mahavishnu-Ding nur ein schwacher Abklatsch der ursprünglichen Formation sein soll. Persönlich fand ich jedoch, dass mir McLaughlin’s Sound in Hilversum sehr gut in die Ohren ging, obwohl seine Musik für ein Festival nicht gerade geeignet ist, weil sie ziemlich ruhig ist. Was ich bei allen Gruppen dieses Tages (Allmans und Doobies natürlich ausgenommen) nicht gut fand, war, dass sie zu wenig mit dem Publikum gearbeitet haben. Tim Buckley, der Typ von der amerikanischen Westküste, hätte sich.die Leute im Publikum viel intensiver vorknöpfen müssen, zumal er in Europa noch immer nicht allzu bekannt ist. Ich habe einfach selbst die Erfahrung beim Spielen gemacht, dass Du, wenn Du die heute direkt ansprichst, unheimlich schnell ’nen Draht zum Publikum kriegen kannst. Das hat irgendwie gefehlt. Ich glaube gar nicht, dass das Publikum so schlaff war, es will einfach nur richtig angemacht werden. Die Umbaupausen hätten wie immer natürlich wesentlich kürzer sein können, aber ich fand es gut, dass zwischen den Gigs die Musik nicht so dröhnte und die 25.000 Besucher auf dem grünen Rasen ein bisschen relaxen konnten. Mich törnt es immer unheimlich ab, wenn nach jedem einzelnen Auftritt die Pausen-Discothek voll losdröhnt und man sich überhaupt nicht mehr unterhalten kann. Erst als die Doobie Brothers und danach die Allmans die Bühne in Beschlag nahmen, wurde auch die Aufmerksamkeit der Leute im Publikum, die mehr als 100 Meter von der Bühne entfernt sassen, auf die Bühne gelenkt. Das sitzt im Unterbewusstsein der Zuschauer, da gucken sie, da sind sie sofort da. Du sitzt vollgedröhnt in der Masse, da muss einfach was Aussergewöhnliches passieren, damit die Leute aus sich herauskommen.