Interview

Kadavar im Interview: „Es muss schon Arbeit sein“

Christoph „Lupus“ Lindemann über das ewige Faszinosum „Sound“ & wie er sich im Lauf der Zeit verändert.


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I JUST WANT TO BE A SOUND postuliert das neue Album der Berliner Gitarren-Institution. Im Interview spricht Kadavar-Sänger und Gitarrist Christoph „Lupus“ Lindemann über Sound und Veränderungen.

Geht ihr mit einem­ Konzept an eine neue Platte ran, oder entsteht Musik im Proberaum?

Christoph „Lupus“ Lindemann: Es gibt konkrete Songideen, die wir mitbringen, es gibt Riffs und Abläufe, die schon da sind. Die Songs sind also weitgehend fertig. Das Album, das wir 2021 gemeinsam mit Elder gemacht haben, ist die Ausnahme. Wir wollten uns gemeinsam die Zeit im Studio vertreiben, und haben erst danach entschieden, eine Platte zu machen. Aber dieses Proberaum-Jammen, das will ansonsten eigentlich keiner in der Band. Wir können das auch nicht wirklich gut. Tief reingehen und nach jedem Schlag und jedem Detail gucken – das ist eher unser Ding. In die Materie einsteigen und ausfeilen.

Das Stoner-Rock-Klischee will, dass Leute sich treffen, kiffen,­ saufen, und dann kommt die Musik ganz organisch, wie von selbst.

Ich wollte nie in diesen Topf geworfen werden. Gerade unser Debüt ist für mich ein Gegenentwurf zu Stoner Rock, auch musikalisch. Minutenlang dasselbe wiederholen, das ist langweilig. Nach viermal Wiederholung muss ein Cut gemacht werden, damit die Leute gar nicht erst faul werden. Ich will nicht, dass man zu meiner Musik einfach nur stumpf dastehen, sein Bier trinken und mit dem Kopf mitwippen kann. Es muss schon Arbeit sein.

Euer Sound gilt als sehr retro. Was kann ein alter Verstärker aus den Siebzigern, was neues Equipment nicht kann?

Ich weiß gar nicht, ob neues Equipment das nicht kann. Wir haben zu einer Zeit angefangen, Equipment zu sammeln, als es Online-Plattformen wie Reverb noch nicht gab. Die Rundfunkanstalten und TV-Sender haben damals viel von dem ganzen Kram rausgeschmissen. Die Leute wussten noch nicht, was die Sachen wert waren, und man konnte in Berlin­ relativ günstig einkaufen.

Aber euer Sound klingt sehr spezifisch – alt und neu zugleich.

Man jagt die Sachen über die Bandmaschine oder durch die Vorverstärker, und auf einmal klingt es gut, irgendwie cremiger. Aber es ging nie darum, so original zu sein wie irgendwas von früher.

Ein Wort wie Authentizität ist euch nicht­ wichtig?

Jedenfalls nicht so bedeutsam, wie das oft dargestellt wird. Für uns ist wichtig, dass der Song gut klingt. Und dass wir wissen, wie wir dahin kommen. Ob auf digitalem oder analogem Weg, hat nie eine Rolle gespielt. Mir ist es zu langweilig, einfach nur Altes zu wiederholen. Aber ich habe kein Problem damit, mir einfach von überall was zu nehmen, wenn ich es cool finde – und dann etwas Eigenes daraus zu bauen. Da möchte ich mich auch nicht limitieren. Ob das alt oder neu klingt, ist mir ehrlich gesagt total egal. Aber klar, wir haben diese Retrogeschichte gleich mit unserer ersten Platte auf die Spitze getrieben, und es war schwierig, da wieder rauszukommen.

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Mit der Pandemie gab es dann einen Bruch in eurer Musik, den man auf THE ISOLATION TAPES sehr schön hören kann.

Das ist, glaube ich, das erste Album, auf dem leise Töne auftauchen. Bis dahin musste es immer groß und mächtig klingen. Als wir mit den ISOLATION TAPES aus dem Studio rauskamen, waren fast gar keine Gitarren mehr übrig, nur noch Synthesizer und Orgeln und so was. Das hat mir gut gefallen, weil auf einmal eine Dynamik in unseren Songs war, die wir vorher nicht hatten. Man muss, wenn man harte Riffs hat, immer wieder mal ein ruhiges spielen. Sonst bleiben die Riffs nicht hart. Wenn man nur harte Songs spielt, ist das einfach irgendwann ein Rauschen.

Das neue Album I JUST WANT TO BE A SOUND klingt nicht mehr wie eine Ausdifferenzierung, sondern sehr anders. Meine erste Assoziation war MGMT, außerdem gibt es so Eighties-Synthiepop-Teile. Das ist schon eine Antithese zu dem, was ihr bis jetzt gemacht habt. Trotzdem klingt es wie Kadavar. Wie konnte das passieren?

Wir wollten uns mit dem Album ausprobieren, auch mit unserem neuen Gitarristen und Keyboarder. Und wir wussten, dass wir an Grenzen gehen und vielleicht auch drüber hinaus. Das sind aber immer noch Kadavar-Songs, nur jetzt eben in einer anderen Art und Weise aufgenommen und arrangiert. Mit Max Rieger haben wir jemanden dazu geholt, der kein Metal-Produzent ist, sondern aus der Indie-Ecke kommt. Inspiration war zum Beispiel eine Band wie Idles, die ihren Sound für sich neu definiert und ein Punk- wie ein HipHop-Album gemischt haben.

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Max Rieger hat eine­ wiedererkennbare Art, die verschiedenen­ Spuren zu schichten. War der Einfluss des Produzenten denn für euch größer als sonst?

Na ja, wir haben sonst immer alles selbst aufgenommen. Also ja. Niemand hat vorher unsere Platten gehört, bevor sie rausgekommen sind, bis auf unsere Freunde und Familien. Dieses Mal haben wir jemanden früh eingebunden und auch beim Songwriting ein bisschen auf ihn gehört. Das war wichtig für uns, dass mit Jascha und Max zwei Leute frischen Wind reingebracht haben. Es ist gut, einen Menschen zu haben, der sagt: „Ey, probiert das doch mal, das könnte auch ganz cool sein.“

Das Titelstück „I Just Want To Be A Sound“ klingt ein wenig wie ein Versprechen oder auch eine Utopie – man wird selbst zum Sound und löst sich auf in der Musik: „I come in as wave and I leave a lot of noise behind“. Was verbindest du damit?

Der Satz kommt eigentlich von Bassist Simon, der nicht in den sozialen Medien­ unterwegs ist. Ihm ist es unheimlich wichtig, im Hier und Jetzt zu leben: Er ist da, und wenn er wieder weg ist, ist der Raum eben wieder leer, und er ist verschwunden.­ Dieses Spontane, Lebendige ist an vielen Orten seit der Pandemie verloren gegangen, und dem trauere ich schon nach. Das alles findet sich in dem Song wieder. Und ich finde, das ist ein guter Opener, ein Angebot auch für Fans, die sagen: „Oh, das klingt jetzt aber nicht nach Kadavar.“ Die sollen einfach zuhören, und vielleicht finden die unsere neuen Songs am Ende dann doch ganz gut.

Interview von: Benjamin Moldenhauer