Interview

Tunde Adebimpe im Interview über Grenzüberschreitungen

Tunde Adebimpe über Grenzen, Burnout, emotionale Landkarten, Lampenfieber & die Zukunft von TV On The Radio.


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Tunde Adebimpe ist Sänger, Songwriter, Schauspieler, Comiczeichner und Video-Regisseur. Bekannt wurde er mit seiner Band TV On The Radio, die jüngst ihr Live-Comeback nach mehrjähriger Pause gab. Jetzt hat Adebimpe sein Solodebüt veröffentlicht.

Mit THEE BLACK BOLTZ ist dein erstes Soloalbum erschienen, mehr als 20 Jahre nach dem gerade wiederveröffentlichten Debüt von TV On The Radio. Dass du vorher nicht solo aktiv geworden bist, haben wir deiner Umtriebigkeit in Film und den bildenden Künsten zu verdanken?

Tunde Adebimpe: Ja, das trifft es. 2019 haben wir uns als Band eine Pause verschrieben. Ich hatte damals auch einen Burnout in Sachen Musik. Seit ich meine Karriere als Künstler begann, habe ich gemalt und Comics gezeichnet und im Bereich der Animation gearbeitet – die Musik lief lange Zeit auf einer Linie damit. Aber zuletzt war ich auf der Suche nach einem Neustart, ich wollte spüren, was mich an Musik so fesselte. Dafür musste ich aus der Amnesie raus. Und begann, Demos von mir zu hören, die 15 Jahre alt waren. Ich habe 2019 mit Arbeiten am Soloalbum begonnen und im Frühjahr 2023 war ich fertig mit den Aufnahmen. Das hat seine Zeit gebraucht, weil ich so viele andere Dinge gemacht habe.

Inwieweit haben „andere Dinge“ Einfluss auf deine Musik ausgeübt?

Das ist eine sehr visuelle Sache, ich zeig’s dir hier, ich habe zum ersten Mal eine Art Landkarte für ein Album erstellt. Das war eine emotionale Landkarte meiner selbst, einiges daraus können wir im Album-Booklet sehen. Es sind viele Zeichnungen, und ich habe versucht, mich mit meinem Kopf in diesen Prozess zu bringen. Man kann auch sagen: Es ist wie eine Figur, die meine Gefühle und Gedanken zum Ausdruck bringt. Aber das war keine bewusste Entscheidung, das so zu machen.

Grenzüberschreitungen sind bei dir an der Tagesordnung. Du begibst dich im fliegenden Wechsel von einer Kunstform zur nächsten, bist jüngst in der Serie „Star Wars: Skeleton Crew“ zu sehen gewesen. Wie gelingen diese großen Schritte?

Ich versuche, all die menschlichen Emotionen zu erfassen, die die Welt da draußen aus einem locken kann. Und ich bin sehr froh, verschiedene Orte gefunden zu haben, um damit umzugehen. Als Schauspieler in solch einer Serie oder einem Film kann ich mit Leuten zusammenarbeiten und mich mit ihnen über bestimmte Charaktere und Rollen auseinandersetzen. Es fasziniert mich, wie ein Detektiv auf die Spur einer Person zu gehen. Und zu ergründen: Was hat diese Person mit mir zu tun? Und in der Kunst oder der bildenden Kunst schicke ich vielleicht einen Avatar von mir ins Rennen. Es gibt einen Comic von mir, in dem es um einen Kampf zwischen zwei Charakteren geht, einer ist eher wie ein Pferd, der andere wie ein Vogel. Dieses Buch habe ich 2009 gemacht, als mein Leben komplett auf der Bühne stattfand. Das fühlte sich für mich seltsam an. Wenn du mir das ein paar Jahre vorher prophezeit hättest, ich hätte dir keinen Glauben geschenkt.

Hat sich die Einstellung zum Tourleben seither geändert?

Es hat eine Weile gedauert, bis das fein für mich war. Ich habe kein Lampenfieber mehr. Ich fühlte mich observiert von den Leuten, mit dem Comic konnte ich damals darauf reagieren. Ich konnte die Abende auf der Bühne als Kampf erzählen, zwischen Stolz und Erniedrigung.

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Nach der Pause stehen TV On The Radio als Band wieder auf der Bühne. Fühlst du dich als Künstler jetzt endlich wieder komplett, weil du auch in dem Fach wieder aktiv bist, in dem du so bekannt geworden bist?

Ja, und ich war mir gar nicht im Klaren darüber, wir waren uns gar nicht im Klaren darüber, wie sehr wir einander vermisst hatten in der Zeit vorher. Es war gut, eine Pause eingelegt zu haben, weil die Dinge, die wir liebten, keine Herausforderung und keine Inspiration mehr für uns darstellten. Die Pause war wichtig für uns, jetzt merken wir wieder, was wir gemeinsam auf der Bühne haben. Wo sonst geht so etwas: Du kannst vors Publikum treten und eine­ Stunde lang schreien. Und die Leute lieben es, und keiner sagt dir, du sollst jetzt die­ Klappe halten.

Welche Rolle spielte dein familiärer Hintergrund dabei, dich auf das Spiel in den verschiedenen Sparten vorzubereiten?

Meine Eltern kommen aus Nigeria, sie sind dann in den 1970ern in die Vereinigten Staaten gegangen, auf der Suche nach Arbeit. Mein Vater war Sozialarbeiter und Psychologe, er war aber auch künstlerisch aktiv, er zeichnete sehr gut und spielte Piano. Und sein Musikgeschmack reichte von King Sunny Adé bis Fela Kuti und von den Beatles zu Nina Simone, es gab immer so viel Musik im Haus. Er nahm uns Kinder auch mit in Museen und brachte uns das Zeichnen bei. Ich hatte für viele Dinge kein Talent, aber fürs Zeichnen schon. In Nigeria sagt man, wenn du dein von Gott gegebenes Potenzial ausschöpfen möchtest, musst du schon Arzt oder Anwalt werden. Ich wollte aber Cartoonist oder Comic-Künstler werden, ich liebte Leute wie Daniel Clowes und Chris Ware. Meine Eltern meinten nur: „Wenn schon Künstler, dann bitte Architekt.“ Für mich hörte sich das zu sehr nach Mathe an, ich wollte das nicht. Sie befürchteten, dass ich als Zeichner ohne Job bleibe, vertrauten mir aber, dass ich irgendwie meinen Weg finden werde. Sie haben mich also unterstützt, obwohl sie mich lieber als fest angestellten Arzt gesehen hätten, der seine vier Schwestern und damit die ganze Familie durchbringt. Später war ich dann schon so etwas wie ein perfekter Sohn geworden.

Ein hyperaktiver Künstler, der entgegen den ersten Eindrücken viele Talente zeigen durfte. Gibt es in deinem Alltag Phasen mit Freizeit? Damit würdest du eine weitere Grenze überschreiten.

Alles fühlt sich für mich wie Freizeit an. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich meine Freizeit immer mit einem Resultat beenden kann. Ich genieße das, was ich tue, auch, wenn es mich vor schwierige Aufgaben stellt. Das, was ich tue, ist, was ich immer tun wollte. Das ist wie Vater eines Kindes zu sein. Insgesamt liebe ich es, Betrieb zu machen, mit Leuten zu arbeiten und einfach mal zu schauen, wohin wir es bringen, wenn wir träumen.

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Mehr zu Tunde Adebimpe

2004 erschien das Debütalbum von TV On The Radio, einer Brooklyner Band auf der Schwelle zwischen Art Rock und elektrifiziertem Postpunk. Mit ihnen veröffentlichte Tunde Adebimpe als Sänger, Soundtüftler und Songwriter fünf Alben. Darüber hinaus kann man ihn als Schauspieler aus diversen Blockbustern kennen („Spiderman“, „Rachels Hochzeit“ etc.), jüngst war er in der Disney Serie „Star Wars – Skeleton Crew“ zu sehen, außerdem tritt er auch als Regisseur in Erscheinung.