Julien Baker & Torres im Interview: „Es macht Spaß, einander weiter kennenzulernen“
Ein Gespräch über den inneren wie äußeren Konflikt und die Chance in der (gemeinsamen) Musik.

Ein Country-Album als Zeichen des Mitgefühls in besonders beschissenen Zeiten – genau das wollen Torres und Julien Baker mit ihrem Debüt SEND A PRAYER MY WAY als Serviervorschlag an alle da draußen, die es gebrauchen können, liefern. Dem Konservativen, das dem Genre anhängt, möchten die Südstaaten-Künstlerinnen mit ihrem Blick, ihren queeren Liebes- und Empathie-Hymnen eine neue Seite geben. Doch so komplett-umarmend und leicht wie es auf Albumlänge klingt, so schwer fällt es beiden im Alltag, nicht dauer-ängstlich und offen für den Austausch mit Pro-Trump-Wähler:innen zu sein. Ein Gespräch über den inneren wie äußeren Konflikt und die Chance in der Musik.
Eine halbe Stunde Interviewzeit mit Julien Baker ist generell zu wenig Zeit. Einfach weil sie sich Zeit nehmen will, um sich „richtig zu artikulieren“, wie sie betont. Umso schwieriger ist es, wenn dazu noch Mackenzie Scott, alias Torres, kommt, die ebenfalls nicht an vorschnellen Formulierungen interessiert ist. Die zwei schaffen aber dennoch schnell eine wohlig-gemütliche Atmosphäre im Zoom-Call, bei dem alle Beteiligten an unterschiedlichen Orten sitzen. Denn sie wissen einander charmant die Bälle zuzuschanzen, aufeinander ruhig einzugehen und sich immer wieder mit Zwischenrufen wie „Ja, JB!“ und „Genau, Bruder!“ zu bestätigen.
Wie leicht fällt es euch, im Hier und Jetzt zu leben?
Julien Baker: Mein erster Gedanke war, dass es schon irgendwie geht. Ich kann schließlich meine täglichen Einkäufe erledigen, mein Auto betanken und ein Dach habe ich auch über dem Kopf. Für den Moment kann ich also existieren. Aber wenn es darum geht, den uns von allen Seiten umgebenden Terror zu tolerieren – Trump-Wiederwahl, Brände in Los Angeles, die globale geopolitische Lage – dann ist das Leben im Hier und Jetzt schwer. Also so richtig. Ich fühle mich, als wäre Alarmstufe Rot, ohne dass bisher etwas greifbar Schlimmes für mich passiert ist. Aber wie geht es dir, Mac?
Torres: Es vereinnahmt mich alles komplett. Ich kann echt nicht so tun, als würde es mir mental gut gehen. Gleichzeitig sehe ich natürlich meine Privilegien. Wie du es sagst, JB – auch ich habe ein Dach über dem Kopf, eine Familie, die mich liebt, und alles, was ich sonst noch so brauche. Selbst beide meine Elternteile leben noch. Ich habe einen gesunden Stiefsohn … Ihr merkt schon, ich habe eine Menge, wofür ich dankbar sein kann. Und trotzdem bin ich total ängstlich wegen all der Dinge, die außerhalb meiner Kontrolle sind. Sie erschüttern mich, werfen mich aus der Balance und lassen die Furcht zu einem unterschwelligen Dauerzustand werden.
Baker: Ja! Furcht! Das ist es. Ich fühle mich, als wäre ich in einem Spukhaus. Ich weiß sicher, dass da Bedrohungen auf mich zukommen werden – ich weiß nur noch nicht welche, wann und aus welcher Richtung. Ich sehe aber durch die News, dass sie sich entwickeln. Und ich sitze da wie so ein leichtes Ziel. Geduckt.
Könnt ihr euch denn dann gut aufs Musikmachen konzentrieren?
Torres: Musik ist wirklich die einzige Sache, in der ich mich richtig verlieren kann, wenn ich sonst hyperfokussiert auf das bin, was da gerade in der Welt passiert. Nur mithilfe von Musik kann ich daraus überhaupt etwas machen, was ich greifen kann. Wenn ich zum Musikmachen in der Lage bin, kann ich mir sagen: „Wenigstens habe ich noch das.“
Baker: Da stimme ich dir komplett zu. Ich leide sehr unter meinen Selbstzweifeln, bei jeder einzelnen Kleinigkeit, die ich mache. Aber das ist die Sache, die mich glücklich und ruhig macht. Ich freue mich so auf die Konzerte, weil ich damit etwas ausrichten kann. Also auch im größeren Stil. Ich kann zwar als Julien Baker Organisationen unterstützen, die Leute supporten, die vom Staat bedroht oder ihrer Grundrechte beraubt werden. Nur habe ich wenig Vertrauen in die legislative Komponente der Beteiligung bei der Hilfe. Nicht weil ich zynisch bin, ich bin viel eher realistisch und weiß, dass es sich um ein systemisches Problem handelt, über das ich keine Kontrolle habe. Eine Sache, bei der ich mir dagegen sicher bin, dass sie effektiv und nützlich ist, ist es, Menschen zusammenzubringen. Um einander zu erleben. Und um einander zu sagen: „Du bist hier, ich bin hier, wir sind hier und wir haben ähnliche Probleme, ähnliche Werte und wir glauben alle, dass das da draußen gerade verrückt ist.“ Sich die Zeit füreinander an einem Tag zu nehmen, um für andere Personen da zu sein, sich dafür zu verpflichten, dass man auf unterstützende Weise füreinander da ist. Das macht für mich was aus. Wenn ich mich also richtig desillusioniert fühle und anfange zu glauben, dass das Marschieren mit einem Plakat in der Hand nicht den Unterschied macht, oder auch das Verschicken eines Briefes an meinen Kongressabgeordneten nichts verändern wird, dann tröstet mich der Gedanke an Konzerte und an Clubs. Denn das sind greifbare, ja heilige Orte, wo unsere Community von queeren, anti-nationalistischen Menschen zusammenkommen kann. Das pusht mich.
Konzerte sind auch für mich Safe Spaces. Und ich schätze es, wenn sich Artists für den Erhalt dieser einsetzen. Du hast das gewissermaßen auch gemacht, Torres, als du in deiner Instagram-Story klar gesagt hast, dass du keine Republikaner:innen auf deinen Shows haben möchtest. Was war der Beweggrund?
Torres: Ich fühle mich nicht mehr sicher. Viele würden jetzt wohl über mich sagen, dass das sehr drakonisch von mir ist, was ich jetzt sage, aber ich tue es trotzdem: Jede Person, die sich mit dieser US-Regierung verbündet hat, ist komplett menschenfeindlich. Sie sind alle Monster. Ich sage das aus tiefstem Herzen, auch wenn fast meine ganze Familie und viele, die mir nahestehen, diese Regierung gewählt haben. Ich sage das also nicht als jemand, der nicht das Innere davon gesehen oder keine Verbindung zu diesen Leuten hat. Es ist auch echt hart für mich, aber letztlich ist es einfach: Wenn du der Meinung bist, dass Frauen sterben sollten oder dass Schwangere keine Autonomie über ihren eigenen Körper haben sollten, dann bist du grausam. Wenn du glaubst, dass braune, Schwarze, indigene, nicht-weiße Menschen nicht in Amerika und Queere, Trans-Menschen und Homosexuelle nicht existieren oder keine Rechte haben sollten, dann bist du auch grausam. Komme bloß nicht zu meinen Konzerten. Außer du möchtest dich ändern.
Baker: Dude, ich bin so konfliktscheu, ich sage immer, dass wir die Mauern einreißen und bereit sein müssen, miteinander zu kommunizieren. Aber ich erkenne immer mehr die Notwendigkeit von anderen Wegen an. Ok, vielleicht nicht unbedingt Gewalt. Aber ja, ich sehe, dass ich wohl mit Republikaner:innen ideologisch gesehen im Konflikt bin und etwas tun muss. Weil es nicht nur um dich oder mich geht, sondern auch um die queeren Kids, die bei unserem Gig sind. Und dann bin eben ich doch auch da, wo du bist, Mac. Wenn eine Person nicht bereit ist, sich zu öffnen und auch mal die eigenen Ideen infrage zu stellen und einfach nur zum Trollen auf Konzerten vorbeischaut, dann will ich sie nicht da haben. Aber Mac, hattest du schon viele dieser Troll-Momente gehabt, sodass du eine Show unterbrechen musstest?
Torres: Nein, nein, Gott sei Dank nicht. Oder besser gesagt: Noch nicht …
Baker: Du und ich werden uns noch mit Leuten auf Shows prügeln, oder?
Torres: So was von, Bruder! (lacht)
Denkt ihr, es ist möglich, Menschen Empathie beizubringen?
Baker: Ich habe in dem Podcast „Hidden Brain“ ein Interview mit einem Psychologen gehört, in dem es hieß, dass Empathie wie alles andere auch eine erlernbare Fähigkeit ist. Zum Beispiel wie einen Sinn dafür zu entwickeln, was es für Unterschiede bei Wein und Käse gibt. So was lässt sich auch nicht beim ersten Schmecken feststellen, aber es ist möglich, eine Sensibilität dafür zu kultivieren. Es ist kein Üben wie das Dribbeln eines Basketballs, sondern viel eher eine spirituelle Praxis, die es zu pflegen gilt. Aber das muss gewollt sein und ich frage mich oft, was Leute für eine innere Wunde oder übergroße Angst mit sich tragen, dass sie nicht bereit sind, sich empathisch verhalten zu wollen und ein Mitgefühl zumindest zum Teil ausprobieren möchten? Wovor beschützt das? Ich glaube, Medien sind ein Teil des Problems, weil wir so ständig visuell mit Gräueltaten konfrontiert werden. Ich habe gerade erst gelesen, dass es zum Vietnamkrieg zum ersten Mal eine Berichterstattung in Form von Filmen, Videos und Ähnlichem gab, die den tatsächlichen Schrecken dessen, was in diesen Gemeinschaften geschah, die als Kollateralschäden runtergespielt wurden, greifbar machten. Es war auch das erste Mal der Fall, dass Informationen auf diese Weise kontrolliert wurden – oder nicht einmal kontrolliert, sondern vor allem die gezeigten Gräueltaten als Art Waffe genutzt wurden. Auch die Art, wie Fotos von Toten jetzt überall auf X gezeigt werden, fühlt sich grausam an. Unsere Körper reagieren auf diesen Horror, auf dieses Fleischliche, was uns roh präsentiert wird – und gleichzeitig wird das zur jeweiligen politischen Agenda passend als Möglichkeit der Manipulation verwendet. Das macht was mit mir. Aber was denkst du, Mac, können wir Empathie lehren?
Torres: Es ist so, so süß von dir, dass du irgendwie die Frage bejaht hast.
Baker: Warum, glaubst du nicht daran?
Torres: Bisher eher nicht. Aber was du gesagt hast, macht mir Hoffnung, dass das vielleicht stimmt. Ich gebe dir recht, dass so viel am Mangel von Empathie durch die Angst vorm Unbekannten verursacht wird und der Moment, in dem etwas selbst erlebt wird, auch eine Verbindung und somit auch ein Mitfühlen ermöglichen kann. Trotzdem tue ich mich schwer damit und es bleibt ein Fragezeichen, weil ich Menschen kenne, bei denen sich ihre Empathiefähigkeit nicht erweitert hat, obwohl sie jeden Grund oder jede Gelegenheit dafür hatten.
Welche Fähigkeiten konntet ihr zuletzt durch das Zusammenarbeiten miteinander erlernen?
Torres: Ich weiß, dass ich gerade erst geredet habe, aber kann ich trotzdem nochmal, JB?
Baker: (lacht) Wie du fragst … Klar, dir sei hiermit die Erlaubnis erteilt!
Torres: Ich wollte nämlich unbedingt anfangen, damit ich direkt sagen kann, dass es eine Menge gibt, was ich lernen konnte und ich weiß, dass da noch mehr kommen wird, je mehr Zeit wir miteinander verbringen werden. Aber jetzt gucke ich mir schon die Art ab, wie du Dinge immer wieder ein bisschen anders machst. Du spielst beispielsweise nie zweimal den gleichen Gitarrenpart. Und das liegt daran, dass du so viel Talent hast, dass du in dem Moment, in dem du etwas wie zuvor angehen könntest, schon weiterdenken und es ausschmücken, optimieren, dem Augenblick anpassen kannst. Das zeigt deinen Spaß beim Albumaufnehmen und beim Live-Spielen und das steckt an. Es ist erfrischend für mich, sodass ich auch so arbeiten will. Ich war vorher noch nie in so einer Situation und trotzdem fühle ich mich nicht unsicher, wenn du auf der Bühne mit anderen Noten um die Ecke kommst. Du machst ein Sicherheitsnetz möglich und dadurch wollen die Leute um dich herum auch mehr ausprobieren. Du gibst ihnen den Raum dafür und bringst für alle den Spaß mit. Ich weiß, Musikmachen sollte immer Spaß machen, aber aus irgendwelchen Gründen ist es dann doch nicht immer so Freude bringend.
Baker: Ich weiß, was du meinst, mit dem manchmal auch spaßbefreiten Arbeiten. Ich habe das auch oft, weil ich dann denke, ich will das bestmögliche Ergebnis erreichen. Es ist dann fast wie ein Sport und man wird verbissen. Gerade das Aufnehmen eines Albums ist wie ein Puzzle. Und ich versuche dagegenzuarbeiten, in dem ich bewusst sicherstelle, dass ich aufmerksam im Moment lebe und mit dem mitgehe, was gerade in der Luft liegt. Ich will auf Situationen eingehen können, speziell auf der Bühne. Aber wir sind beide konzentrierte Arbeiterinnen, was das manchmal schwer macht. Aber Dude, ich habe so viel von dir gelernt. Ich will nicht, dass du denkst, ich würde dir nur in den Arsch kriechen. Ich respektiere dich wirklich dafür, wie sehr du von einer Idee überzeugt sein und dann dem entschlossen nachgehen kannst.
Ein Euphemismus für Sturheit?
Baker: Das könnten viele so verstehen, aber nein. Mac geht einer Sache nur so lange nach, weil sie es so gut wie möglich machen möchte. Von ihr habe ich mich pushen lassen und bin selbst ein bisschen konfliktfreudiger geworden. Weil ich gemerkt habe, zu was es führen kann.
Torres: Was wäre, wenn ich jetzt in diesem Gespräch anfangen würde zu weinen?
Baker: Aber warum das denn?
Torres: Na weil es so süß ist, was du sagst.
Baker: Aaah! Aber es ist so. Du bist so bei dir – das wollte ich auch sein. Ich war auch vorher nicht so, dass ich es allen recht machen wollte, aber ich versuchte schon, mehr Situationen zu kontrollieren, indem ich mich den Bedürfnissen anderer Leute anpasste. Seit ich dich kenne, Mac, habe ich mich dahingehend verändert. Und ich habe mir ein wenig mehr die Art von dir angeeignet, wie du mit deinen Fans umgehst, wie du mit dem Publikum umgehst, wie du mit den Leuten umgehst, mit denen du Musik machst. Denn es hat mir wirklich gut getan, mit jemandem zusammen zu sein, der sich nicht klein macht und anderen aus dem Weg geht. Du bist eine, die sagt: „Das ist es, was ich will. Und ich schäme mich nicht dafür, dass ich es will.“
Was hat das für SEND A PRAYER MY WAY bedeutet?
Baker: Das, was ich gerade über Mac gesagt habe – ihre Vorgehensweise –, das hat auch unsere Platte besser gemacht. Es war bedeutsam für mich, mit ihr in einem Raum zu sein und sie dabei zu beobachten, wie sie für sich selbst eintritt, ohne dabei das inhärent Konfrontative zu kaschieren. Wir haben schon einen ähnlichen Background, wenn wir darauf schauen, wie wir beide aufgewachsen sind, aber am Ende haben wir sehr unterschiedlich auf das Außen reagiert. Es macht Spaß, jetzt einander noch weiter kennenzulernen.
Mehr zum dynamischen Duo
Seit 2016 hat Julien Baker drei Soloalben herausgebracht, Mackenzie Scott bringt es als Torres auf sechs Studioplatten seit 2013. Die US-Singer/Songwriterinnen verbindet, dass beide mit viel Poesie und Offenlegen des Inneren in ihren Liedern ihre Erfahrungen in der Kirche als auch das Leben in Amerika als queere Person im Kleinen wie Großen thematisiert haben. 2016 kamen Baker und Scott bei einer gemeinsamen Show auf die Idee, auch ihre geteilte Liebe für Country-Musik auf einer Platte zu verewigen. So wurde nach und nach das zwölf Stücke umfassende SEND A PRAYER MY WAY entwickelt. Ein Werk als Erinnerung daran, dass kein Mensch ganz für sich allein sein sollte. Ein Statement fürs Miteinander und für Musik als Trost in ausweglos wirkenden Zeiten. Für Julien Baker ist es bereits die zweite Zusammenarbeit mit einer anderen Solokünstlerin – mit Phoebe Bridgers und Lucy Dacus veröffentlichte sie als boygenius 2023 eine LP und zwei EPs (2018 und 2023).