Johnny Marr über Bands
Warum veröffentlichst du 30 Jahre nach dem Debüt der Smiths und allerlei Bandalben erst jetzt ein Solo-Album?
Solo-Alben sind häufig ein Vorwand für Bandmusiker, um völlig andere Musik zu machen als sonst. Meins klingt wie ein Stapel New-Wave-Singles. Kurze Popsongs: Das war es, was ich eigentlich immer wollte. Und es stellte sich für mich heraus, dass ich gar keine feste Gruppe brauchte, um das umzusetzen. Ich nahm die Platte mit einer lockeren Band auf, die allein meinen Vorstellungen entsprach. Daher ist dieses Album tatsächlich ausschließlich meins.
Bisher hast du dich jeder Band untergeordnet wie ein ordentliches Mitglied. Ist die Gemeinschaft wichtig für dich?
Klar. Gruppen sind was Fantastisches! Wie Gangs werden sie von Egos, Chemie und Politik beherrscht, das finde ich faszinierend. Ich fühlte mich schon immer zu eigenwilligen, extremen Charakteren wie Morrissey hingezogen und diese sich aus irgendwelchen Gründen auch zu mir. Anscheinend fördern wir gegenseitig etwas Großes in uns zutage. Sobald so etwas geschieht, widme ich mich einer Band hingebungsvoll und hundertprozentig. Wenn die Flamme aufh ört zu brennen, ziehe ich weiter und entzünde die nächste. Ich bin ein Band-Animal. Dabei war mir von Anfang an klar, dass ich nicht für immer in derselben festen Band spielen werde. Mir ging es nie um Sicherheit. Das hat sich in meine DNA eingeschrieben. Ich fuhr meilenweit zu Proben, versteckte mich auf Zugtoiletten, wenn der Schaffner kam, stand im Regen an Haltestellen und hielt meinen Gitarrenkoffer trocken. Hatte ich den Bus verpasst, musste ich durch gefährliche Gegenden laufen und wurde verprügelt. Alles nur, um in Bands zu spielen. Ich fand das immer romantischer als das gewöhnliche Leben in der Vorstadt. Offenbar kann ich aber auch ganz gut allein sein.
Man sagt, in jeder erfolgreichen Band gäbe es gewisse Stereotype: das Genie, den Strengen, den Naiven, den Kaputten.
Alle Klischees entsprechen vollständig der Wahrheit. Die Chemie muss stimmen: Jeder weiß, dass es einen Pragmatiker geben muss. Eine Band, die nur aus unkoordinierten Heinis besteht, wird erst gar nicht den Weg aus der Haustür finden. Noch größer als meine Ambitionen war bei mir anfangs der verzweifelte Wunsch, meine Lebensumstände zu verändern. Jede Band braucht solche getriebenen Visionäre. Daneben benötigt man aber auch ausgeglichene Charaktere, die das Ganze erden. Wie bei den Smiths: Alle reden immer nur von Morrissey. Die enge Beziehung zu meinem Schulfreund, dem Bassisten Andy Rourke, wird häufig übersehen, hat aber für das chemische Gleichgewicht innerhalb der Band gesorgt. Erst durch seinen Drogenkonsum geriet alles durcheinander, und dann funktionierte auch die Band nicht mehr. Es geht um die Balance der Individuen. Sehr spannend.
Warum lösen sich Bands irgendwann wieder auf?
R. E. M. zum Beispiel sind sehr intelligente Menschen, für die es wichtig ist, dass das, was sie tun, eine Relevanz hat. Nicht die Sorte Mensch, die sich damit zufrieden gäbe, nostalgisch zu werden. Sobald die das Gefühl haben, keine neuen Wege mehr gehen zu können, weil das Publikum die alten Songs bevorzugt, stellen sie sich infrage. Oder Radiohead: Die stellen sich immer die Frage, ob sie noch neugierig sind. Ihre Konzerte demonstrieren, dass sich eine Band nicht zwangsläufig wiederholen muss. Sie entwerfen seit jeher die Landkarte, nach der sich ihr Publikum zu richten hat. Nur weil sie unablässig alles Verfestigte aufb rechen und sich dabei neu entdecken, können sie immer noch zusammen sein.
Und warum gründen sich überhaupt Bands?
Zunächst mal macht es irrsinnig viel Spaß. Wenn man jung ist und Rockmusik genug liebt, um ein Instrument zu erlernen und Lärm zu machen, gibt es nichts Besseres, als Gleichgesinnte zu finden, die sich einem anschließen. Es ist eine geteilte Liebe, ein gemeinsames Hobby, und das ist etwas, das als Maler oder Bildhauer nicht geht. Es ist eine gemeinschaftliche Art, Kunst zu machen.
Musiker sind von Natur aus geselliger?
Ganz genau. Eine Band ermöglicht es jedem Musiker, aus sich rauszugehen und sich selbst darzustellen. Er hat seine Freunde dabei, die ihn beschützen. In einer vierköpfigen Band braucht man nur ein Viertel des Mutes, um aufzutreten.
Wie unterschiedlich funktionierten die Bands, deren Mitglied du warst? Welche Rolle spielte das jeweilige Umfeld, der Ort oder das Label?
Die Weise, wie wir arbeiten und unsere Vorstellungen, wie wir uns präsentieren, sind vom jeweiligen Kontext unabhängig. In der Bandpolitik werden sich meine Bands immer gleichen: möglichst fern vom Mainstream – aber sobald sich eine Möglichkeit bietet, den Mainstream mit einem Hit zu infiltrieren, dann versuchen wir das auch. Was alle Bands, in denen ich bisher war, genießen, ist das Ideal, kommerzielle Songs interessant zu machen und interessante Ideen in kommerzielle Songs zu übersetzen. All diese Bands machen alternative Musik, halten sich aber nicht für zu cool, um ihr Ghetto zu verlassen.
Würdest du deinen Kindern raten, eine Band zu gründen?
Sie spielen beide längst in Bands. Nile hatte Kid 4077, er ist auch als Solist unterwegs, unter dem Namen Man Made. Meine Jungs schlafen in Tourbussen, spielen in Vorprogrammen, sie führen ein tolles Leben. Auch sie werden ihre Rückschläge erleiden. Aber sie machen es, weil sie Musik lieben, nicht weil sie mir nacheifern wollen und denken, das sei der einfachste Weg. Sie hatten ihr ganzes Leben mit interessanten Menschen zu tun, das möchten sie fortsetzen. Musiker sind Menschen, die teilen können, anders als, sagen wir, Schauspieler. Musiker lieben es, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten, über andere Bands. Schauspieler verhalten sich distanzierter zueinander, schrecklich wettbewerbsorientiert.
Albumkritik ME 3/13
John Martin Maher kommt 1965 zur Welt und wächst in einem Vorort von Manchester auf. Trotz bester Chancen auf eine Karriere als Profifußballer gibt er der Musik den Vorzug. 1982 gründet er als Johnny Marr die Smiths, die trotz ihres kurzen Bestehens eine der erfolg- und einflussreichsten Bands werden. 1987 läutet er mit seinem Ausstieg ihr Ende ein, es folgen Prozesse und Schlammschlachten. Marr wird Mitglied bei The The, Modest Mouse und The Cribs. Die Liste seiner Zusammenarbeiten liest sich heute wie eine Enzyklopädie der jüngeren Popkultur.