Joe Jackson Antistar
Er hat nichts, was ein Popstar (angeblich) haben muß. Dennoch, der Mann mit der musikalischen Alternative ist im Kommen. Nach begeisternden Konzerten , im Februar steht Joe Jackson am 16. April auf der Bühne, wenn die "12. Rocknacht" über die Bildschirme geht. Steve Lake begleitete Joe Jackson auf seinem Weg nach oben.
Einen wie ihn gibts auf jeder Schule. Ein Junge, der einfach merkwürdig ausschaut, dem schon früh die Haare ausfallen, der wegen seiner ständigen Asthma-Anfälle vom Sportunterricht freigestellt wird. Er hat zwei linke Hände, ist hoffnungslos unsicher, introvertiert. Ein Junge, den schon allein die Tatsache, daß so einer wie er überhaupt herumläuft, zur Zielscheibe des Spotts macht – ein Punchingball, an dem sich die Frustrationen der Mitmenschen Luft verschaffen.
Joe Jackson hat die fliegenden Fäuste nicht vergessen – und wie sie ihn mehr und mehr zur Musik trieben…
Die Erniedrigungen und der Spott bleiben; man muß sie sich wieder und wieder von der Seele schaufeln. Em böser Glanz liegt in seinen Augen, als er hier in der Münchner Alabamahalle „On Your Radio“ singt und die Liste all derer durchgeht, die ernst auf ihm herumgetrampelt sind.
„Don t you know you can’t get near me?“ schreit er, „you can only hope to hear me on youi radio.“ Rachsüchtig, triumphierend. Der Song ist vertontes „Ariss my ass, motherfuckers!“ so klingt es, wenn der Wurm zurückschlägt.
Psychoanalyse für den Haus gebrauch? 1980, als ihn der Meiody Maker zu seinem schnellen Erfolg befragte, antwortete Joe lakonisch.“.Ich hoffe, die Schul-Rowdies haben mich‘ gestern Abend im Fernsehen gesehen.“
Nicht unbedingt die Art von Gedanken, die sich unsereiner beim Erwachsenwerden macht.
Die beiden Themen, die sich wie ein roter Faden durch seine Songs ziehen, sind Selbstmitleid und Rache. Er wird das zwar immer wieder bestreiten – „du vergißt den Humor“ meinte er kürzlich zu einem amerikanischen Schreiber – aber schließlich hat er noch jedes Etikett zurückgewiesen, das ihm von irgendeinem Kritiker aufgedrückt wurde.
Er muß schon früh gelernt haben, daß es – wenn ihm das Schicksal schon die Rolle einer Zielscheibe zugedacht hat – besser ist, ein bewegliches Ziel zu sein als ein feststehendes. Zudem hat er (man kann sich seine teuflische Freude dabei geradezu plastisch vorstellen!) sein Verhältnis zu Journalisten in „Sunday Papers“, einem Song von LOOK SHARP, recht deutlich beschrieben. „Well I got nothin against the press“, lügt er höhnisch. „They wouldri! pnnt it ifit wasn’t true. „
Man stelle sich also diesen Joe vor: Ein unbeholfenes Kind, das an einer Schule in Gosport bei Plymouth zu einem unbeholfenen jungen Mann heranwächst, der seine musikalischen Fähigkeiten schult, um Freunde und Einfluß zu gewinnen.
Es klappt nicht, er ist auf dem falschen Weg. Seine Instrumente sind Geige und Klavier – und das im Zeitalter der Marshall-Türme und Stratocaster! Während sich seine Freunde streiten, wer denn nun der Größte ist – Jimi Hendnx oder Jeff Beck, Eric Clapton oder Peter Green – hockt der unglückliche Joe vor Ehrfurcht auf den Knien und hört Beethovens „Neunte“.
Später, nachdem er auf einer Charlie Parker-Platte Bebop entdeckt hat, schwenkt er zum Jazz und tritt in Englands „National Youth Jazz Orchestra“ ein, eme reichlich scheußliche Bigband für Schulkinder.
Aber auch damit ist bei den Kameraden kein Staat zu machen Selbst im weniger Mode bestimmten Jazz ist Joe nicht qe lade im Einklang mi! seiner Zeit.
Um 1971 hört er Steely Dan und ist beeindruckt. Rockmusik, die wie alter Jazz klingt! Toll! Er triff! den Bassisten Graham Maby. einen seiner ersten echten Freunde Gemeinsam versuchen sie, eine Band auf die Beine zu stellen, an der Surrey University neh¿ meri sie ein paar Songs auf. . Die Nummern sind von Joe, d le Richtung ist Jazz-Rock, aber Maby ist der Sänger. Mit dem Gedanken, als Frontmann im Rampenlicht zu stehen, kann sich Joe nach wie vor nicht rechl anfreunden. Er versteckt sich lieber hin ler den Keyboards.
Aber ihre Bemühungen führen zu nichts – und Joe zieht sich zu seiner geliebten klassischen Mu sik zurück, er besucht einen dreijährigen Kompositions-Kurs an der Londoner Royal Academy Of Music Inder Zwischenzeit heiratet Maby und wird Gärtner.
Zurück in Portsmoulh, wurschtelt sich Joe durch die verschiedensten Musik-Jobs, ziellos. Er ist Cocktail-Pianist, Keyboarder und Chorsänger in verschiedenen Bands, die nur Fremdmaterial nachspielen, Mitglied eines Kabaretts namens „Coffee & Cream“ und sogar musikalischer Leiter im Portsmouth-Playboy-Club, dessen halbseidenes Flair Mit A & M Records geht es bergauf, und es ist genug Geld da, um edem Musiker einen wöchentlichen Vorschuß von 200 Mark zu zahlen. Der langqediente und treue Graham Maby kann seine Baumscheren für immer an den Nagel hänqen Auch Gitarrist Gary Sanford und Drummer Dave-Houghtön, zwei weitere Springer vom südenghschen Giq-Karussel, verfolgen mit Erstaunen und Freude, wie „1s She Really Going Out With Hirn“ die Charts hoch klettert Rückblickend ist es einfach, die Musikkritiker für die Kurzsichtigkeit zu tadeln, mit der sie LOOK SHARP in den verschiedensten Schubladen ablegten, als „Punk-Rock‘-Scheibe oder als „New-Wave“Album, sogar als „Powerpop“ – kann sich noch irgendjemand an Powerpop erinnern?
Jacksons musikalische Palette war schon damals wesentlich breiter; sie umfaßte 60er Jahre Pop („Happy Loving Couples“), Funk („The Instant Mash). Rhythm ’n Blues, Reggae. ein paar jazzige Instrumental Sachen. Aber in der Folge des Punk war es irgendwie nicht angesagt, ein richtiger Musiker zu sein genau wie es nicht angesagt war, eine Ausbildung zu haben oder er nie ganz ablegt Schließlich erklimmt ei die erste Sprosse der Erfolgs-Leiter Eine Pub-Rock-Band namens „Arms & Legs“. Maby ist wieder dabei, er pendelt zwischen Gigs und den Rosenbeeten seiner Kunden. Joe singt, er wird sicherer. Es kommt sogar ein Einjahres-Vertrag mit MAM zustande, aber … ach, Scheiße . . alles löst sich auf in Kurzzeit-Hindernissen und Frustrationen. Geh drei Felder zurück 1977 1 Die englische Popmusik ist in Aufruhr. Die Sex Pistols fluchen im Fernsehen und kotzen in Flughäfen. Priester beten vor den Konzerthallen der „Anarchy In The UK“-Tour Die geistig Minderbemittelten, die Hirnamputierten, die Pervertierten und die einfach nur Unzufriedenen kriechen aus ihren Verstecken ans Tageslicht. Der Aufmarsch der Outsider, der echten und falschen Rebellen. Bitterkeit und Frustration sind „in“. Plötzlich paß! Joe Jackson in die Landschaft‘ Er saust an sein Piano ..
eine andere Vergangenheit als die eines Straßenbengels Jeder Popstar war eifrigst bemüht, sich einen Arbeiterklassen-Akzent am besten Cockney – zuzulegen.
Und Jackson, nicht unclever im Interesse des eigenen Überlebens, spielte in seinen frühen Interviews perfekt den auf den Mund gefallenen Popstar, verschwieg seine Ausbildung an der Royal Academy und weigerte sich standhaft, vor einem anderen Hintergrund als dem Großstadt^Straßendschungel fotografiert zu werden.“.Scheiß-Bäume und so’n Zeug, ich kann sie nicht leiden“ raunzte er die Fotografin Kate Simon an. die die erste Jackson-Band im New Yorker Central Park ablichten wollte.
Paradoxerweise war es ausgerechnet New York, die paranoideste aller Städte, die Jackson half, sich von der Zwangsjacke seiner eigenen Probleme zu befreien. Eine Stadt, die von Musik überfließt, war die perfekte Umgebung für seinen Versuch, der Vielfältigkeit seiner musikalischen Vergangenheit einen Sinn zu geben; und mit jedem Album spannte er den Bogen seines Schreibens weiter, entfernte er sich weiter vom Mainstream, ein tastender Schritt nach dem anderen.
Als 1980 BEAT CRAZY erschien, erklärte ein Rolling-Stone-Krittket. daß er sich nicht entscheiden könne, ob man Jackson als den weißen Gil Scott-Heron oder als die männliche Jom Mitchell betrachten solle Diese Vergleiche sind immer noch dämlich genug, aber immerhin eine Verbesserung gegenüber dem Etikett „Costello-Imitator“. das ihm früher anhaftete. Aufs Innencover dieser Platte schrieb Joe. „Dieses Album ist der verzweifelte Versuch, dem Rock ’n‘ Roll irgendeinen Sinn zu geben Tief m unseren Heizen wußten wir, daß ei /Aim Scheuem verurteilt war Bleibt die Fiage Wiirum haben wir es versucht-‚“
Mi! JUMPIN 1 JJVE löste er die Fesseln, die ihn an die Rockmusik banden. Für ihn eine dramatische Geste und kommerziell ein Wagnis, ist dieses Album mit Nummern, die seinerzeit der späte Swing-Saxophonist/Sänger Louis Jordan einspielte, eindeutig und vielleicht unvermeidhcherweise der schwächste Punkt in Jacksons Discographie.
Wie ein Schauspieler, der eine Rolle einstudiert, lernte Joe für die Promotion-Tour der Platte tatsächlich Saxophon-Spielen. Eine ansprechende Leistung, sicher, aber für jeden, der die Musik von Louis Jordan. King Pleasure und Charlie Parker kennt, kann JUMPIN´ JIVE nur wie gutgemeinter Kitsch klingen. Vielleicht war das Album eine Art Brückenschlag für Jacksons Anhänger, indem es ihnen das Tor zu Bebop und Bigband-Jazz öffnet, obwohl ich das eher bezweifle. Seine wirkliche Bedeutung liegt dann, daß der nicht unwesentliche kommerzielle Erfolg von JUMPIN´ JIVE Jackson einen Blanko-Scheck ausstellte, seine Musik in jede nur denkbare Richtung zu entwikkeln.
Seine musikalische Befreiung ging Hand in Hand mit einer zunehmenden Offenherzigkeit in den Texten, die eine unaufdringliche Art von sozialem Engagement widerspiegeln. Auf LOOK SHARP waren Frauen bloß eine weitere Quelle des Schmerzes für den ausgiebig leidenden Jackson, wie die Ex-Freundin, für die er in „Is She Really Going Out With Hirn“ blutet. „Pretty Girls“ vom selben Album ist lediglich sexistische Standard-Rock-Kost:
„Don – talk to me about Womens Liberation/They alieady got me where lt huits.“
Für das zweite Album konnte er (bereits) einen Song wie „It’s Different For Girls“ schreiben, der die traditionellen Geschlechter-Rollen ironisch umdreht: Der Name New Sensitive Man (neuer empfindsamer Mann)trifft auf die Frau, die nur bumsen will. Und mit BEAT CRAZY wurde diese Tendenz in seiner Scheibe zu einer aktiven Kampagne; er bezog einen Standpunkt gegen das Macho-Popstar- Gehabe Das Durchziehen dieser liberalen Linie führte manchmal auch zu unbeholfenen Songs. Jackson ist kein Dichter (einer der Gründe, warum die Vergleiche mit Scott-Heron und Joni Mitchell völlig daneben gehen) und kann schon mal steckenbleiben, bei dem Versuch, seinen Standpunkt klarzumachen. Wie in „One To One“ zum Beispiel: “ You’re beautiful when you getmad/Oiis thata sexist observation. „
Das ist die Sorte Songtext, die sich hartnäckig sträubt, gesungen zu werden. Sowas bleibt quer in der Kehle stecken.
Nichtsdestotro z ist er stolz auf seine Schritte in diese Richtung. Außerdem sind sie in kommerzieller Hinsicht durchaus vernünftig. Warum soll man nicht auch Frauen Platten verkaufen?
„Mir ist aufgefallen, daß wir bei unseren Konzerten viel mehr weibliches Publikum haben als die meisten (anderen) Rock ’n‘ Roll-Bands“, erklärte Joe kürzlich. „Das hat was damit zu tun, daß wir ihre In telligenz mch t beleidigen.“
Es war unvermeidlich, daß mit der Zeit auch Frauen in der Jackson-Band ihren Platz haben würden. Zur aktuellen Besetzung gehören neben Bassist Maby, Drummer Larry Tolfree und Keyboarder/Geiger Ed Roynesdal (auch) Sue Hadjopoulos (Vibraphon, Timbales, Congas, Bongos) und Joy Askew (Gesang, Tasten).
“ Wir haben eine ganze Menge Perkussionisten vorspielen lassen“, erzählt Joe, „und es ergab sich, daß Sue Hadjopoulos die Richtige war, ohne Berücksichtigung der Tatsache, daß sie eine Frau ist. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, daß es weibliche Musiker geben könnte, die in die Band passen.
Ich hätte allerdings nicht jede beschissene Keyboardenn genommen, bloß weil sie eine Frau ist. Joy kam in letzter Minute und rettete den Tag. Mir gefiel nicht nur, wie sie spielte, sondern auch ihr Gesang. Sie hat eine großartige Stimme – und ich denke, daß sie für die Band em Gewinn ist, den ich in Zukunft noch weiter ausschöpfen will.“
Die Jackson-Band scheint sich schnell zu einem gegenseitigen Bewunderungs-Verein zu entwickeln. Joy Askew findet Joes Einstellung „erfrischend un-sexistisch… Hier ist man Musiker unter Musikern,und das ist toll. „
Und Sue Hadjopoulos fügt hinzu: „Ich halte die Industrie für sehr sexistisch. Wenn es da mehr Männer wie Joe gäbe, hätten wir keine Probleme.“
Mit NIGHT AND DAY, seiner letzten Platte, hofft Joe Jackson die Popmusik zu retten, indem er die Uhr in ein früheres Zeitalter zurückdreht.
„Wer braucht Rock’n’Roll? Meiner Meinung nach haben wir den melodischen und harmonisehen Reichtum der Klassiker von Gershwin, Cole Porter usw. verloren. Diese Klassiker haben Melodien, die schweben! Nimm „MyFunny Valentine“, eine Melodie, die ewig weitergeht, auf wirklich logische Art.
Und was haben wir heute? „Abacadabra, I wanna reach out and grab ya…“
Ständig bemüht, auf keinen Fall mit anderer Rockmusik in Verbindung gebracht zu werden, entschied Joe, weder auf NIGHT AND DAY noch in der neuen Besetzung einen Gitarristen einzusetzen.
„Rock langweilt mich dermaßen – er ist genauso stagniert und voller Klischees wie alles andere auch. Rock ändert sich nie. Rock macht dich dumm. Musik von Faulpelzen für Faulpelze. Wir wissen alle, was Rockstars tun: Sie tragen enge Lederhosen, in die sie vorn eine Socke reingestopft haben, und sie schmeißen Fernseher aus dem Fenster vom Hohday Inn. Einfach schrecklich langweilig. „
Soweit Joe Jacksons derzeitige Polemik, wie sie mit kleineren Veränderungen auf jeder Station der Tour von New York bis Paris wiederholt wird.
Prima. Wir beerdigen die Rockmusik und tanzen auf ihrem Grab. Eine Rückkehr zur guten alten Melodie, zu Nummern, die man summen oder pfeifen kann, klingt allerdings nicht gerade nach Fortschritt. Eher wie ‚das Gemeckere der Konservativen von vor 25 Jahren, die in Panik gerieten, als Presley begann, Pat Boone aus dem Radioprogramm zu drängen.
Nun gibt es aber über NIGHT AND DAY noch mehr zu sagen: Der diskrete Einfluß von Salsa-Rhythmen ist es, der den größten Unterschied des Albums zu seinen Vorgängern ausmacht. Jackson gibt seine wachsende Bewunderung für die Musik von Eddie Palmieri („Er ist einer der größten Pianisten unserer Zeit“) und von Perkussionist Ray Baretto offen zu. Dann wiederum schwärmt er – wie alle anderen in der Hoffnung, der breiten Masse einen Schritt voraus zu sein – vom nig rianischen Ju-Ju-Musiker King Sunny Ade, Dieses Jahr gehört Afrika.
Aber als David Gans vom „Musician“ Jackson kürzlich – sehr treffend, würde ich sagen – als „a Student of style“ beschrieb – da explodierte der Sänger.
„Ich bin kein Stil-Forscher! Stil ist bullshit, absolut überbewertet. Gehalt ist wichtiger als Stil. Ich habe nie einen Stil gehabt und habe immer noch keinen. „
Darüber kann man streiten. Schließlich: Auch das sorgfältigst arrangierte Anti-Image (Musik, Kleidung) ist und bleibt ein Image.
Jackson trägt seine Masken und verkleidet sich gut. Jegliche Star-Ausstrahlung wird er entschieden abstreiten, stattdessen kehrt er ständig seine Persönlichkeit als ewig Benachteiligter hervor.
Bei seinem Münchner Konzert stellte Joe ein Stück von seinem nächsten Album, „Mike’s Murder“ (ein Film-Soundtrack), vor. Es war vorwiegend instrumental, klang sehr nach Metropole New York und brachte Joes großen Saxophon-Auftritt. Er sah sehr ernst und bemüht aus, dort oben im Rampenlicht, als er nach den Noten suchte.
Am Schluß der Nummer meinte ein A & R-Mann im Publikum:
„Er ist der beste Amateur-Saxophonist, den ich gehört habe.“
Joe Jackson, der Gegen-Schüler aus Gosport, der nirgendwo dazugehörte, hätte sich gefreut, das zu hören.