Jahrelang lief gar nichts mehr bei der einst so gefeierten Groove-Maschine aus Großbritannien. Jetzt steigen die Stereo MC’s wieder in den Ring.


Übung hat auch auch die Stereo MC’s zu Meistern gemacht. Die 1985 in London gegründete Band brauchte erst mal einige Jahre, um auf Touren zu kommen. Dann erschien 1990 ihr zweites Album („Supernatural“), und plötzlich gelang den Stereo MC’s alles. Als Live-Band etwa galten sie nicht nur als Sensation, sie waren auch eine. Trotz ihrer Herkunft konnten sie sich als eine der wenigen britischen Bands in die Herzen auch der amerikanischen HipHop-Fans spielen. Mit dem auf „Supernatural“ folgenden Album („Connected“/1992) begeisterten die Stereo MC’s schließlich nicht nur ihre eigenen Anhänger, sondern Musikfans aus den verschiedensten Lagern – Rocker und Raver eingeschlossen. Ähnlich wie die erste Scheibe von Massive Attack oder die zweite von The Prodigy ist „Connected“ nach wie vor ein Paradebeispiel für genreübergreifend wirkende Dance-Sounds. Die Stereo MC’s machten Musik, die sich aus der Kraft des Underground speiste und dennoch über Pop-Appeal verfügte. Bis dahin alles bestens also.

1993 folgte die Weltreise im Vorprogramm der „Zooropa“-Tour von 112, an die sich DJ/Keyboarder Nick Hallam heute nur noch zum Teil gerne erinnert: „Wir waren sowieso schon ständig auf der Rolle und kamen nie zur Ruhe. Plötzlich spielten wir in den größten Arenen der Welt. Das war wie ein Rausch.“ Aber nur eine Zeit lang. Nach Abschluss der Tournee war es vorbei mit der Euphorie, der Körper rebellierte. Hallam rückblickend: „Wir hauen jene Kraft, die normalerweise für zehn Jahre langt, in ein paar Monaten aufgewandt und waren am Ende total ausgelaugt. Es war uns gar nicht mehr bewusst, wie das wahre Leben funktioniert. Beziehungen hatten sich gelöst, die Gesundheit hatte gelitten, und zu allem Überfluss spürten wir nicht mehr den geringsten musikalischen Impuls in uns. Die Löcher im sozialen Umfeld waren groß. Allein um sie zu flicken, musste eine Pause her. Als sie vorbei war, entschieden sich Hallam, Rapper Rob Birch, Schlagzeuger Owen If und Sängerin Cath Coffey, nicht gleich wieder mit Volldampf die nächste Tortur anzugehen, sondern weiter in Ruhe im stillen Kämmerlein zu arbeiten. Immer wieder kamen sie dabei ins Grübeln. „Man muss sich bloß vergegenwärtigen, um welche Summen es geht, wenn man als Band einen gewissen Erfolg hat! Ich höre mich jetzt wahrscheinlich wie ein verhätschelter Junge an, aber ich bin fast aus den Pantinen gekippt, als wir erfuhren, dass es da mit sechsstelligen Beträgen gerade mal losgeht. Der helle Wahnsinn ist das“, erinnert sich Hallam.

Da es nach dem Sabbatjahr mit den Stereo MC’s nicht weiterging, begann es in der Gerüchteküche der Popszene immer heftiger zu rumoren. Von schweren Drogenproblemen war ebenso die Rede wie von schlichter Faulheit oder einem überzogenen Hang zum Feiern. „Also ehrlich“, wehrt sich der Stereo MC’s-Keyboarder, „diese Geschichten über uns und alle möglichen Partys sind nicht wahr. Wir gehen da nur im Ausnahmefall hin. Es liegt nicht in unserer Natur, nur zu feiern. In Wirklichkeit waren wir immer mit Musik beschäftigt. Faul waren wir jedenfalls nie.“ Wohl wahr. Immerhin baute die Band ihr eigenes Studio, gründete einen Musikverlag, veröffentlichte auf ihrem Label Response Musik Aufnahmen des Hamburger Duos Don Air und belebte die eigene Karriere mit Remixen und dem Song „Flash“ für die Kinoversion des TV-Klassikers „Mit Schirm, Charme und Melone“. Nebenbei produzierten die Stereo MC’s etwa 70 neue Songs. „Was uns fehlte“, erinnert sich Rob Birch, „war der entscheidende Schritt nach vorn – der Schwung von früher, die rollenden Bässe, die dreckigen Beats, einfach das Kribbeln.“

Nach Veröffentlichung eines DJ-Mix-Albums für das Label Studio K7 in Berlin fanden die Stereo MC’s im letzten Jahr endlich den Kippschalter und spielten, wie Birch erzählt, das neue Album „Deep Down & Dirty“ in neun Monaten ein. Es ist eine Platte, die vor allem durch ihre raue Schlichtheit besticht. „Das DJ-Album war wirklich eine Hilfe. Es handelte sich zwar nur um eine Zusammenstellung einiger unserer Lieblingsstücke, doch wir spürten unser Selbstbewusstsein einfach schon dadurch steigen, dass wir wieder eine Platte fertig gestellt hatten. Danach fielen weitere Dominosteine. Wir rückten näher zusammen, jammten oft im Studio und überlegten nicht mehr so viel. Was hatten wir nicht alles machen wollen! Sogar neue Bandmitglieder probierten wir aus. Doch am Ende stellte sich heraus, dass es am besten ist, wenn Nick Hallam und ich alleine die kreativen Impulse geben.“

Die wieder gefundene Lockerheit ist an allen Ecken und Enden wahrnehmbar. „Can’t stop the traffic in my mind“ – so heißt nicht nur eine der einprägsamen Zeilen auf „Deep Down & Dirty“. Der Inhalt dieser Worte hat sich bewahrheitet. Der Geist der Stereo MC’s ist in Bewegung und verlangt nach Arbeit. Birch würde jetzt womöglich zum Workaholic werden, wenn er die Möglichkeit hätte. Zum Glück hat er sie aber nicht: „Es kommt fast ungelegen, jetzt wieder auf Tournee zu gehen. Im Studio haben sich schon wieder erste Takes für das nächste Album angesammelt. Wir haben jetzt, glaube ich, so etwas wie einen Flow.“ Es läuft also wieder bei den Stereo MC’s. Nur: Welche Lehren haben die beiden Chefkreativen der Band aus den Irrungen und Wirrungen der Vergangenheit gezogen? Nick Hallam: „Wir hatten früher einfach kein Rückgrat. Plattenfirma und Management wollten unseren Erfolg scheinbar bis in alle Ewigkeit melken, und wir trauten uns nicht zu sagen: Verpisst euch! Das ist jetzt anders. Wenn sich das Musikmachen zu einer geschäftlichen Tretmühle entwickelt, springen wir ab.“ Und Hallams Partner Birch ergänzt: „Früher hatte ich große Angst, der Erfolg könnte mich verändern. Er schien ein heißes Eisen zu sein, an dem man sich die Finger verbrennen kann. Inzwischen aber weiß ich, wie ich Zweifel ausräume. Ich muss mich nur daran erinnern, warum ich mich den ganzen Anstrengungen aussetze: aus Liebe zur Musik.“

Wie stark diese Liebe ist, zeigt sich bei den Interviews. Nach Begrüßung der Journalisten spielt Birch auf einem tragbaren Mono-Plattenspieler erst mal neue Aufnahmen vor, die er kurz zuvor im Laden erstanden hat – und schon gerät sein hagerer Körper wie auf Knopfdruck in Bewegung. Daran sieht man: Musik heilt eben doch alle Wunden. Die Stereo MC’s haben sich auf diese einfache Erkenntnis besonnen und nun wieder den Anschluss gefunden. Um es in Abwandlung eines Depeche-Mode-Albumtitels zu sagen: Connection time again.

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