„Wir haben eine Stimme, die unsere Eltern nicht hatten“: Was Eko Fresh, Chefket, Ebow und Aydo Abay über Identität und Diskriminierung sagen
Die Debatte um Fußball-Nationalspieler Mesut Özil hatte einmal mehr gezeigt: Viele Menschen in Deutschland scheinen ein Problem mit ihren türkischstämmigen Mitbürgern zu haben – und die haben offenkundig eines mit Diskriminierung. Wir haben mit Ebow, Chefket, Eko Fresh und Aydo Abay – vier Musikern mit türkischen Eltern – über dieses scheinbar endlose Dilemma diskutiert. Ein Text von Laura Aha und Oliver Götz.
Leben sie in Deutschland oder in der Türkei?
Aydo: Halb hier, halb da. Sie sind tolle Menschen und wahrlich nicht dumm, aber sie haben tatsächlich gesagt: „Aber guck dir mal die ganzen Autobahnen an, die jetzt gebaut wurden!“ Und ich so: „Papa!! Das habe ich schon mal irgendwo gehört.“
Ebow: Bei mir ist das Politische, eben weil wir Kurden und Aleviten sind, eine eigene Story. Für diese Gemeinde war es ja noch nie einfach in der Türkei. In meiner Familie geht es zum Beispiel darum, dass meine Cousins nach Deutschland abhauen wollen, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft sehen. Und meine Cousinen in Antalya fragen sich, wie lange sie sich dort wohl noch freizügig anziehen dürfen … Es ist ja voll heiß dort!
Aydo, du kommst als Einziger aus der Runde nicht aus dem Rap und hast vorhin schon angedeutet, dass du in der Rockszene keine rassistischen Probleme erlebt hast. Aber über deinen Namen hat sich schon mal jemand gewundert, oder nicht?
Aydo: Eher in Japan. Nicht hier. Ich kenne keinen Rassismus in meiner Band, unter Musikern, auf Festivals. Das findet nicht statt, oder ich bin zu blöd, um das zu raffen.
Chefket: Klar, in unserer Bubble ist das auch so. Aber dann kommst du wieder wohin, wo dich keiner kennt, wo es nicht um Musik geht, dann wirst du im ICE darauf hingewiesen, dass die 2. Klasse woanders ist.
Ebow: Ich liebe solche Momente aber auch. Ich sitze in der 1. Klasse und weiß genau, alle denken: „Die sitzt falsch!“ Bis ich dem Kontrolleur mein Ticket zeige.
Gibt es eigentlich noch andere türkisch-stämmige Musiker in deutschen Rockbands, Aydo?
Aydo: Ich kenne eigentlich nur mich. Im Rap ist das ja ganz anders. Es ging ja mit einer Gruppe wie Advanced Chemistry überhaupt erst los…
Chefket: Das waren aber keine Türken.
Eko: Aber sie haben sich schon mit unserem Thema auseinandergesetzt. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum – heute sagt man „Migranten“, damals haben wir „Ausländer“ gesagt – sich so für Rap interessiert haben. Man hat sich darin wiedergefunden. Weil die Afroamerikaner damit ja offensichtlich dagegen protestiert haben, in der Gesellschaft unten zu stehen.
Ebow: Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht: Warum mache ich HipHop? Warum haben mir meine Onkel damals Public Enemy erklärt? Ich glaube, obwohl man die Sprache nicht verstanden hat, konnte man damit relaten, wegen diesem Gefühl der Unterdrückung, diesem Zweite-Klasse-Gefühl. Auch wenn ich mir Serien wie „Moesha“ oder „Prince Of Bel Air“ angeschaut habe, konnte ich darin Sachen nachvollziehen aus eigenen Erfahrungen heraus.
Chefket: Es müsste aber auch so was wie die „Bill Cosby Show“, auf Türkisch geben: „Büll Cüsbje“ – mit einer türkischen Akademikerfamilie, so was fehlt.
Eko: Mir fällt da „Türkisch für Anfänger“ ein …
Chefket: Das war richtig schlecht! Da hat auch kein Türke mitgespielt, außer dem Familienvater.
Was fandet ihr daran so schlecht?
Chefket: Es hat halt vorne und hinten nichts gestimmt. Ich fand das gar nicht lustig.
Ebow: Das ist genau das, was ich vorhin meinte: Für wen ist dieser Humor gemacht?
Chefket: Kulturell angeeignet. „Jetzt machen wir ein türkisches Thema und kriegen dafür den Grimme-Preis!“
Wie siehst du, Eko, in diesem Zusammenhang die Comedy-Serie „Blockbustaz“ über das Leben in einer Kölner Hochhaussiedlung, in der du eine Hauptrolle gespielt hast?
Eko: Bei „Blockbustaz“ wird die Herkunft der Leute gar nicht thematisiert. Mein bester Kumpel da ist Deutscher, „Biodeutscher“, wie du sagst: Ferris MC. In Großstädten ist die Herkunft einfach kein so großes Thema.
Habt ihr euch eigentlich jemals gefragt, wie euer Weg ausgesehen hätte, wenn ihr in der Türkei groß geworden wäret?
Chefket: Ich würde genauso aussehen, aber hätte möglicherweise einen anderen Charakter. Das hängt damit zusammen: Wie stark bin ich kulturell geprägt und was ist genetisch veranlagt? Was bedeutet „Identität“ eigentlich? Irgendwann stellt man fest, dass das ein Gefängnis ist. Man darf sich davon nicht einsperren lassen. Es muss doch nicht alles zusammenpassen. Der Hermann kann jederzeit nach Jamaika auswandern, sich Dreadlocks wachsen lassen und Rastaman werden. Jeder kann entscheiden, was er sein will. Für mich wäre das einfach zu wenig, nur das zu sein, wo ich hineingeboren wurde.
Eko: Wären wir in der Türkei groß geworden, wären wir wahrscheinlich was ganz anderes geworden, hätten nicht die Möglichkeit gehabt, Karriere zu machen …
Ebow: Wahrscheinlich würden wir Rockmusik machen.
Aydo: Was willst du denn damit sagen? (lacht)
Ebow: Meine türkischen Cousins hören fast alle Rock.
Bei dir, Ebow, kommt neben der Bemühung, sich für ein differenziertes Bild von Menschen „mit Migrationshintergrund“ einzusetzen, auch noch dein Kampf dazu, die gängigen Vorstellungen von muslimischen Frauen zu sprengen. Du bist eine der wenigen Frauen mit deinem Background im Rap. Wie schwierig ist es für dich, den Typ Frau zu verkörpern, den du repräsentieren willst?
Ebow: Es ist ja egal, um welche Diskriminierung es geht, ob Sexismus oder Rassismus – das sind immer die gleichen Machtstrukturen: privilegierte Gruppen unterdrücken andere. Und natürlich, ich könnte auch diesen Typ „Frau mit türkischem Background“ abgeben, den die Medien mit fetzigen Schlagzeilen feiern würden; Migranten-Klischees erfüllen und damit Erfolg haben. Aber mir geht es darum, zu verkörpern, was ich wirklich bin – Identität ist etwas Komplexes. Ich stehe für meine Ästhetik, für meine Texte und den Stil, in dem ich rappe. Wenn Leute mir sagen: „Du bist nicht deutsch!“, ist mir das fucking egal. Wer bist du denn, mir das zu sagen? Und die Frau, die ich verkörpere, steckt auch nicht in solchen Strukturen, die einem sagen: Du musst dich übersexualisieren, mit solchen Klischees arbeiten. Keiner sagt mir so was. Ich entscheide das alles selbst.
Als du selbst mit HipHop sozialisiert wurdest, waren weibliche Vorbilder noch eher rar, oder?
Ebow: Ich bin ja auch mit Eko und so groß geworden. Aber es gab schon weibliche Vorbilder: Schwester S zum Beispiel. Ich habe aber vor allem amerikanischen Rap gehört: Missy Elliott, Foxy Brown, MC Lyte …
Chefket: Und jetzt bist du selber ein Vorbild. Das ist doch das Coole, jetzt wachsen die Kids mit unserer Mucke auf und sehen jemanden, der so aussieht wie sie selbst. Wir haben eine Stimme, die unsere Eltern nicht hatten.
Aydo, nimmst du diese Vorbildfunktion auch für deine Arbeit in Anspruch? Sie ist ja nicht explizit politisch …
Aydo: Stimmt, ich bin kein Mann der Worte, ich suche mir kein Thema und diskutiere das in einem Song aus. Aber ich kann sehr gut mit Bildern arbeiten. Und ich finde schon, dass vieles von dem, was ich singe, sehr politisch ist. Ich mache das nur textlich viel weiter auf. Das habe ich auch aus der türkischen Musik übernommen: Diese sehr blumige Sprache, von Musikern der 60er und 70er, von Cem …
Chefket: … Karaca?
Aydo: Ja, genau, und Erkin Koray. Die sagen einen Satz und du hast gleich ein Bild im Kopf. Das hat mich geprägt.
Ebow: Es ist schon politisch, dass wir überhaupt auf Bühnen stehen. Wenn du dort oben stehst, hast du diese Macht. Ich bin da nur mit Frauen, mit meiner Crew. Das ist schon ein Statement für sich.
Wie wirkt sich das auf dein Publikum aus?
Ebow: Natürlich profitiere ich insgesamt von diesem Hype: „Wir sind alle feministisch!“ Aber es hat auch unabhängig davon eine positive Auswirkung, gerade auf Jüngere. Manchmal kommen auf Festivals so kleine Mädels vor die Bühne und sind total geflasht, dass dort oben nur Frauen stehen. Das macht mich superhappy. Denn sie verstehen die Message.
Im Rahmen von Samy Deluxe‘ „MTV Unplugged“ war jetzt eine Neubearbeitung des Brothers-Keepers-Songs „Adriano (Letzte Warnung)“ von 2001 zu hören. Wie im Original ist die Botschaft vor allem eine Drohgebärde: „Wir reichen Fäuste und keine Hände“. Wird damit nicht auch dieses dumpfe Klischee vom „wütenden Ausländer“ bedient, so wie einem Feminismus-Gegner noch immer mit den „hysterischen Frauen“ kommen?
Ebow: Immer wird von Minderheiten oder Leuten, die diskriminiert werden, erwartet, dass sie die emotionale Arbeit leisten. Sie sollen sagen: „Wir schaffen das gemeinsam“, sollen die Arme öffnen, Mitgefühl zeigen. Dem muss man sich einfach entgegensetzen.
Eko: Ich konnte außerdem diese Wut der afrodeutschen Rapper schon damals gut nachvollziehen: Da wurde jemand von Nazis umgebracht! In der Berichterstattung wurde das Stück damals auch nicht als Aufruf zur Gewalt verstanden. Heute fallen solche Texte vielleicht anders auf. Durch das Internet muss man generell viel mehr aufpassen, was man sagt.
Einerseits hat sich Bewusstsein für die Wirkung von Sprache sensibilisiert, gleichzeitig verroht sie wie in der Debatte um Flüchtende …
Eko: Stimmt, es ist Wahnsinn, wie salonfähig rechtes Gedankengut geworden ist. In der Kunst ist das Internet jedoch wie ein Filter: Du kannst nicht einfach menschenverachtende Texte veröffentlichen – sonst bekommst du Probleme mit deinem Vertrieb, deinem Label oder deinem Werbepartner. Es ist Rap, es ist „Crime“, aber ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad musst du dich trotzdem an bestimmte Regeln halten. Es wäre halt nur gut, wenn das für Politiker auch gälte.
Trotzdem stammt ein großer Teil des erfolgreichen HipHop von Typen mit Migrationshintergrund, die sich als besonders krasse „Gangster“ verkaufen. Ist das nicht kontraproduktiv, wenn es um das Bild von Migranten in der Gesellschaft geht?
Eko: Auch hier gilt, dass man auf das Negative einfach viel mehr schaut. Kontroverse Schlagzeilen sorgen für die höchsten Auflagen, so funktioniert das auch mit den Aussagen dieser Rapper. Ich selbst habe mich mit dem Älterwerden gefragt, wofür ich stehen möchte. Deshalb habe ich aufgehört, so destruktive Texte zu schreiben. Aber du siehst ja anhand meines neuen Songs „Aber“, dass du trotzdem hohe Klickrates erreichen kannst. Man darf auf gar keinen Fall seine Message opfern, um erfolgreicher zu sein! Ich war früher ja selbst auf einem Gangsterrap-Label, ich war bei jedem Hype im deutschen HipHop dabei. Aber es gibt andere, die das von Anfang an gut machen – so wie Ebow. Sie hatte von Anfang an eine Message.
Dafür hat dein Song „Aber“ jetzt aber einen geradezu pädagogischen Ansatz. Vermutlich läuft er schon im Schulunterricht …
Ebow: Es ist schwierig, über etwas zu schreiben, was eigentlich jeder weiß, aber irgendwie nicht artikulieren kann. „Aber“ hat das geschafft. Ab und zu kommen solche Tracks raus, die lassen sich nicht kleinhalten, weil sie zu wichtig sind. Es ist nur schade, dass viele andere viel schlechtere Sachen genauso viel Aufmerksamkeit bekommen, nur weil sie so entertaining sind.
Aydo, hast du dich durch die gesellschaftliche Entwicklung auch herausgefordert gefühlt, dich politisch zu äußern?
Aydo: Ich suche mir dafür meine Nischen, wie meinen Auftritt im „ZDF Fernsehgarten“ (im Sommer 2016 mit seinem Projekt Aydo – Anm. d. Aut.). Dort habe ich ein „Fuck Nazis“-T-Shirt angezogen, obwohl ich zuvor unterschreiben musste, dass ich kein politisches Statement setzen werden. Jetzt machen wir in der „Lindenstraße“ mit, da trage ich dieses T-Shirt (mit der Aufschrift: „Hi. Don’t be racist. Thank you.“ – Anm. d. Aut.). Das sind so Kleinigkeiten, die ich streuen kann.
Eko: Du kannst auch in Unterhaltungssendungen Zeichen setzen, vielleicht ist es dort sogar wichtiger. Leute, die das Feuilleton lesen, haben ihre Meinung zu solchen Dingen vermutlich eh schon ausgebildet.
Aydo: Ich bin in den 90ern groß geworden, und da wurde gekämpft, dass Leute sein dürfen, wie sie sind, lieben dürfen, wen sie wollen. Jetzt leben wir in einer Zeit, in der das alles wieder infrage gestellt wird. Deshalb muss man sich dagegen erheben – egal, welcher Herkunft, welchen Genders oder welcher sexuellen Orientierung.
Und welche Schlüsse zieht man jetzt aus unserer Diskussion und auch aus der „Identitäts“-Debatte rund um Mesut Özil, der wir unsere Runde hier ja wohl zu verdanken haben?
Eko: Ich glaube, dass Özil mit seinen Statements vielen aus der Seele gesprochen hat. Die negative Seite ist: Gerade er als Vorbild für Jugendliche hat vielen von ihnen vielleicht auch den Mut genommen, es selbst schaffen zu können. Die ganze Diskussion hat gezeigt: Es gibt nicht die eine Antwort. Man kann nicht sagen, ab wann gehörst du dazu oder warum gehörst du noch nicht dazu. Und wer entscheidet das überhaupt? Meine Message bleibt auf jeden Fall: Lebe deinen „German Dream“! Ich versuche immer, das Positive zu sehen.
Dieser Text ist zuerst im gedruckten Musikexpress 10/2018 erschienen.