Im Vinyl-Saloon


Wer sich in einen Plattenladen mit echten Platten wagt, braucht manchmal Nerven aus Stahl, musste Harriet Köhler feststellen.

Manchmal nehme ich mir ganz, ganz, ganz fest vor, meinen Mann irgendwann einmal in die Dessousabteilung von Galeria Kaufhof zu schicken, um einen ganz bestimmten BH für mich zu kaufen. Den schwarzen Passionata, du weißt schon, Schatz, aber ohne Spitze, ja? Dann male ich mir aus, wie er sich unter den Blicken der Damen duckend durch die Gänge schleicht, mit rotem Kopf und heißen Ohren. Wie er eine der Verkäuferinnen mit Teint aus dem Sonnenstudio fragen muss. Wie die Kassiererin mit gellender Watt-kosten-die-Kondome-Stimme verkündet, dass der BH vom Umtausch ausgeschlossen ist.

Nicht, dass ich ausgesprochen rachsüchtig wäre.

Aber die Sache ist die – manchmal muss ich für ihn Platten abholen. Also Schallplatten. Aus Vinyl. Ich meine, als ich das letzte Mal einen Plattenladen betreten habe, war ich 16 und habe gedacht, ich könnte mithalten mit den Jungs. Ich habe mir einfach ein paar Platten rausgesucht, mir einen freien Platz zum Reinhören gesucht, die Kopfhörer aufgesetzt und wie die anderen rhythmisch in meinen „Superstars“ gewippt. Easy.

Aber, wie gesagt, damals trug ich „Superstars“. Heute tripple ich in Stiefeletten mit Thermofutter in Richtung Plattenladen, in der linken Hand eine Gesundheit-aus-Ihrer-Apotheke-Tüte, in der rechten den Zettel, auf dem Interpret, Titel und Label notiert sind. Wahrscheinlich wirke ich wie eine von denen, die normalerweise mit Einkaufswagen auf Tour durchs Viertel gehen, denn um sicher zu gehen, dass ich den Titel gleich stotterfrei aufsagen kann, murmle ich ihn leise vor mich hin. Dann stecke ich den Zettel in die Tasche und öffne die Tür des Ladens.

Ich mache einen Schritt und bleibe stehen. Alle Köpfe im Raum drehen sich mir zu, der Verkäufer hinter dem Tresen erstarrt mit der Hand am Plattenteller. Die Musik bricht ab. Menschen mit Kopfhörern blicken mich an. Düster. Abschätzig. Wie wenn der Bösewicht in einem Western den Saloon betritt.

Ich nehme Haltung an, wanke so cool wie möglich zum Tresen und sage mit Camel-ohne-Filter-Stimme: „Das ist kein Jim Beam.“

Der Typ hinterm Tresen sagt „Hä?“ und starrt mir einfach nur ins Gesicht. Die Jungs an den Reinhörstationen glotzen angewidert.

Ich lache nervös und versuche, so zu tun, als sei mein Witz sehr wohl gelungen und er hätte es nicht gemerkt. Dann sage ich: „Tja! Also, ich wollte bloß fragen, ob ihr diese Platte habt, diese, ääääh, na, die dings …“ Mist, jetzt hab ich den Titel natürlich doch vergessen. Ich fange an, in meiner Handtasche zu kramen, bin aber so hektisch, dass dabei Tampons und schmutzige Kaugummipapiere durch die Gegend fliegen. Toll, jetzt krieg ich auch noch rote Flecken im Gesicht. Endlich finde ich den Zettel und halte ihn dem Typen zum Lesen hin. Der macht ein genervtes Gesicht, kratzt sich durch die Hosentasche und schlurft ins Hinterzimmer. „Mecki, ham wir die Smallville 12 noch da?“, höre ich. Und dann, leiser: „Keine Ahnung, so ’ne Braut.“ Kurz darauf taucht ein anderer Typ in der Tür auf und glotzt entgeistert. Ängstlich schiele ich nach den Probehörern, die sich natürlich genau in dem Augenblick wegdrehen. Ich blicke zu Boden, ich blicke an die Decke, ich tripple in meinen Stiefeletten, ich wünschte, dieser blöde Typ käme endlich mit der Platte zurück. Aber vermutlich wartet er im Lager ab, ob ich die Platte auch wirklich will. Das ist nämlich der größte Unterschied zwischen Dessous-Verkäuferinnen und Plattenladentypen: Erstere würden dir sogar ihre eigene Wäsche verkaufen. Letztere wollen erstmal wissen, ob du es ernst meinst mit der Musik.

Als der Typ endlich wiederkommt und verkündet, dass er mir die Platte leider bestellen müsse, will ich eigentlich keifen: „Bin dir wohl nicht cool genug dafür!“, aber stattdessen lächle ich und sage: „Gut, dann bestell sie mir doch einfach.“

Der Typ nickt und tut nicht mal so, als würde er sich irgendwas notieren. Ich meine, sorry? Es ist ja nicht so, dass ich erwarte, dass er mir ein Himbeereis spendiert. Aber er fragt nicht mal nach meinem Namen!

„Tja, also, ich geh dann mal“, sage ich.

Der Typ antwortet nur: „Tschö!“

Ich tripple aus dem Laden, und dann passiert es. Ich komme am Schaufenster eines Antiquitätenladens vorbei, in dem ein Spiegel steht, und sehe, dass mein Mund voller Ketchup ist. Ich wünschte wirklich, wirklich, wirklich, meinem Mann würde so etwas mal passieren.

Harriet Köhler

Die Schriftstellerin Harriet Köhler hat gerade ihren Roman „Und dann diese Stille“ bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht. Bekannt wurde sie mit ihrem Debüt-Werk „Ostersonntag“.

In der nächsten Ausgabe schreibt an dieser Stelle: Ariadne von Schirach