Im Affenhaus


Funky neues Album, funky alte Band und etwas Hilfe von Dr. Dre und Duran Duran: Wo die Dandy Warhols hintreten, ist danach kein Gras mehr übrig. Mumpitz?

Zunächst: Schocker! Was ist mit deinen Haaren passiert? „Oh, well…“ Eine Hand spielt beiläufig in dem Schopf zwischen zwei rasierten Kopfseiten, eine Schulter zuckt. „Als Joe Strummer starb, hab ich wieder mehr über Punk nachgedacht und festgestellt, doss ich noch nie einen Iro hatte. Und den Haarschnitt, den ich davor lange hatte, haben heute so Model-Typen. Und wer in einer coolen Band sein will, legt sich meine alte Frisur zu und bindet sich eine Krawatte um. Ich…“ Ein Seufzen. „Ich kann mich mit so was nicht gemein machen. Also habe ich mich in meinem verzweifelten Bemühen, meinem traurigen, verzweifelten Bemühen, anders zu sein, für den klassischen Gaga-Schnitt entschieden: einen Iro. Haha.“ Stellst du ihn auch manchmal auf? „Nein.“ Schnauf. „Solchen Mumpitz mache ich nicht.“

Gestatten: Courtney Taylor-Taylor, Rockstar. Der Mann, der vor ein paar Jahren seinen Nachnamen doppelte, ohne das je erklären zu müssen, der antike Ausdrücke wie „Mumpitz“ im aktiven Wortschatz führt (im 0-Ton benutzt er das noch delikatere „shenanigans“) und sie mit exquisiter Indigniertheit herausschnaubt. Der so elegant und brüllkomisch mit divenhafter Arroganz und weltmännischem Ennui kokettiert, dass man sich zurücklehnen und ihn einfach monologisieren lassen möchte (der Typ muss zum Film! Aber dazu später), Courtney Taylor-Taylor, hochgezogene Augenbrauen, nonchalantes Grienen, Halstuch, verwaschenes Longsleeve, zermürbte Jeans: der Kopf der Dandy Warhols aus Portland, Oregon, an diesem Dienstagnachmittag zweifellos die coolste Lebensform in ganz Köln, scharfzüngig, stylish, extravagant. Und bekifft wie ein Tier.

Mit Drummer Brent DeBoer – strahlendes Lächeln, Beinahe-Afro, die meiste Zeit haltlos am Kichern über die Einlassungen seines Chefs – sitzt er an einem mit Gras voll gebröselten Tisch in einem kahlen Konferenzraum im EMI-Gebäude (die andere Hälfte der Band, Zia McCabe und Peter Holström, machen nebenan Telefoninterviews). Im Grunde ein unmögliches Ambiente für eine Warhols-Hofhaltung. Doch wie steht es beim Paten aller Dandys, Oscar Wilde: „Wir liegen alle in der Gosse, doch einige von uns blicken auf zu den Sternen.“ Etwas Licht ins allzu weltliche Dunkel bringen momentan zwei Fläschchen Jägermeister, die eine Interviewerin vorhin als Geschenke mitgebracht hat und an deren Inhalt – kultiviert in Gläser gegossen – sich die beiden Warhols nippend laben. „Gottverdammt!“, entfährt es Taylor-Taylor wohlig, während sich DeBoer an der Stereoanlage zu schaffen macht. Maschinenbeatig bollert „The Dope“ vom neuen,vierten Dandys-Album Welcome To The Monkey House los. „Mach lauter!“ Hüstel. Also. Wo wir schon dabei sind: Das neue Album mit seiner elektronischen Funkyness setzt einen ziemlichen Kontrast zu den Velvets- und Westcoast-infizierten Vorgängern Come Down und Thirteen Tales From Urban Bohemia.

„Wir wollten weg von den Gitarren“, erklärt DeBoer. „Ursprünglich wollten wir eine Dr-Dre-Plotte machen.“ Ein paar Gitarren sind ja noch da. „Ja“, brummt Taylor-Taylor, „aber in einer Phase worauf der ganzen Platte keine einzige drauf. Wir hatten auf jeden verdammten Song ungefähr 150 Instrumente draufgepackt. Ein Jahr und drei Monate Arbeit, 150 Spuren auf jedem einzelnen Song! Es war idiotisch. Irgendwann flippte ich aus, und wir schmissen alles um. Und dann ging’s so: Erstmal ein Beat. Und der Gesang. Und dann Bassparts dazu – keine Basstines, sondem zerhackte Parts, Riffs. Raum zwischen den Sounds lassen! Wir haben viel gelernt von Dre. Von Dre, dessen Platten sie nur hörten, aber auch von Massive Attacker Robert Del Naja, mit dem die Warhols im Sommer 2001 leibhaftig zusammenarbeiteten. Die Früchte dieser Sessions liegen auf Eis, aber auch bei Monkey House saß Prominenz an den Reglern: Der Song „Hit Rock Bottom“ wurde von Tony Visconti produziert, dem legendären Partner von Marc Bolan und David Bowie (Letzterer übrigens erklärter Dandys-Fan; er lud sie im Frühjahr 2002 zum von ihm kuratierten Meltdown Festival in London und heizte mit ihnen durch „White Light White Heat“ von The Velvet Underground). Für den Rest des Albums zeichnet (neben Taylor-Taylor) ein weniger nahe liegender Kandidat als Produzent verantwortlich: Nick Rhodes, Gründungsmitglied von Duran Duran. Die Geschichte dieser Zusammenarbeit begann damit, dass Rhodes und Duran-Sänger Simon LeBon in ihren „Top Ten 2001“-Listen auf der Duran-Website Thirteen Tales… aufführten. „Unser Webmaster Gothmon fand dos so toll, er kriegte sich gar nicht mehr ein mit Duron Duran“, erzählt Taylor-Taylor. „Eines Tages kam er mit alten Videos von ihnen an. Und wir sahen ‚Planet Earth‘ und waren platt, wie unfassbargut sie waren. Also haben wir Rhodes angerufen.“ Bei den Sessions in London war dann mitunter auch LeBon zugegen (nicht zuletzt, weil Duran Duran nebenan in Originalbesetzung(!) an einem eigenen Album arbeiteten) und sang ein paar Background-Vocals ein. Der letzte Schliff am Album erfolgte zu Hause in Portland im bandeigenen „Odditorium“, einem zur Factory-esquen Ton-/Film-Studio/Abhäng-Villa umgebauten ehemaligen Lagerhaus.

Das Album Thirteen Tales From Urban Bohemia stieß 2000 auf erfreute Reaktionen in den Rezensionsspalten, der breite Durchbruch kam aber erst, als die Mobilfunker Vodafone ein Jahr später die Single „Bohemian Like You“ unter einen verhältnismäßig charmanten Werbespot legten. Plötzlich hatten die Dandy Warhols einen Radiohit, trugen Platinalben nach Hause-und hatten auch bald die ersten „Ausverkauf!“-Anwürfe vor der Tür. Über die Courtney Taylor-Taylor damals wie heute nur belustigt schnauft. „Nein, klar, wir ziehen es vor, arm zu bleiben. Und wir wollen, dass nur wirklich total hippe Musiknazifaschisten unsere Musik hören“ DeBoer grinst: „Ich sag dir was: Wenn ich ‚Lucy In The Sky With Diamonds‘ in einem Werbespot hören würde, ich würde die Beatles nicht mehr mögen. Diese Bastarde!“ Taylor-Taylor ist aufgestanden. „Ich würde mir NIE WIEDER die Beatles anhören“, kräht er und marschiert zur Tür hinaus. „Ist doch Blödsinn.“ DeBoer beugt sich vor. „Entweder ein Song ist gut oder nicht. Das ist wie mit den Leuten, die Dylan ausgebuht haben, als er mit der Rockband ankam. Dieselben versnobbten Erbsenzähler. Entspannt euch. Diese Clowns in ihren Rottkragen haben damals ein gutes Konzert verpasst. Und der Vodafone-Spot war toll. Es ist schön zu sehen, wenn deine Musik gut eingesetzt wird.“

Wie etwa auch in etwa 15 Filmen in den letzten Jahren, die Dandys-Songs im Soundtrack führten. „ZUM Beispiel.Igby!“ Taylor-Taylor ist wieder da. „Bohemian Like You“ in .Igby! Yeah! Ich habe es noch nie so gut klingen hören in meinem ganzen LEBEN! Hm m. Sollen wir eigentlich noch Doobies rollen?“ Sie sollen offensichtlich.

Taylor-Taylor hat seit längerem selbst filmemacherische Ambitionen. Sein Kurzfilm-Debüt (unter anderem mit Stone Temple Pilot Scott Weiland und T-T selbst) lief beim letztjährigen Sundance Festival und zeigt Leute, die sich in den letzten zehn Minuten vor dem Weltuntergang über das Leben unterhalten. “ Vielleicht nehmen wir den Film als DVD-Track auf das Album“, sinniert Taylor-Taylor. „The Last Ten Minutes“? Ein irritierter Blick. „So heißt er nicht. Ich weiß nicht, wer das eigentlich in die Welt gesetzt hat. Irgendeine dumme Person. Nein, er heißt natürlich. The End Of The OldnAs We Knew It“ „The Last Ten Minutes“ICH? Also ob ich SO WAS durchgehen ließe?“ DeBoer biegt sich kichernd über seinem Grashäufchen. Verzeihung, die Information entnahm ME einem Artikel, der auf der Dandys-Homepage verlinkt ist. „Ja. Schrecklich.“ Taylor-Taylor blickt dramatisch von seiner Baustelle auf. „Leute aus meinem eigenen Lager! Siehst du? Siehst du, wie es ist? Gottverdammt! Lügen und Täuschung! Lügen und noch mehr Lügen! Fiese, kleine, widerliche Leute!“

Ob denn wohl noch mehr von diesem Jägermeister zu kriegen sei, fragt Taylor-Taylor den Pressebetreuer, der mit dem nächsten Interviewer in der Tür steht. Nein, die Fläschchen habe wohl das Mädchen vorhin mitgebracht, antwortet er schwach, besorgt um seinen aus dem Leim gegangenen Zeitplan. „Richtig“, bestätigt Taylor-Taylor und macht eine Kunstpause. .ABER: Sie wird sie ja wohl nicht selber gemacht haben?'“ Brent DeBoer und der nerdbebrillte Management-Mensch der Dandys brechen wiehernd zusammen, dann friemeln sie weiter an den Videogeräten in der Ecke herum, um den Clip zur Single „We Used To Be Friends“ auf den Monitor zu zaubern. Scannen durch die Kanäle, verstöpseln Kabel, nichts geht, sogar Taylor-Taylor selbst kriecht hinter die Geräte. Dann lässt er sich auf seinen Stuhl sinken und verdreht die Augen. „Oh bitte, hört auf jetzt. Das ist ja ein ganz und gar lächerlicher Mumpitz. Ich schäme mich.“ Ein Irokesenschopf wird theatralisch zurückgeworfen, eine Hand drückt einen toten Doobie aus, eine Tür fällt zu. Was ist denn mit deinen Haaren passiert?

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