„Ich muss wirklich verrückt gewesen sein!“


Mit Suede erlebte der Sänger Brett Anderson in den Neunzigern fast alle Höhen und Tiefen, die einer Band möglich sind. Heute hat er Frieden mit seiner Vergangenheit geschlossen.

Suede waren eine der einflussreichsten britischen Bands der Neunziger – doch seit Morrisseys Interpretation von „My Insatiable One“ wurde keines Ihrer Stücke von jemand Namhaftem gecovert. Auf ihrem aktuellen Album Snapshots spielt Kim Wilde den Suede-Klassiker „Beautiful Ones“ neu ein. Konnten Sie das nicht verhindern?

Nein, solange die Lyrics unangetastet bleiben, kannst du nichts gegen eine Coverversion machen. Die Musik, die Melodie, die Akkordabfolgen – alles kann verändert werden. Aber wenn auch nur ein Wort ausgetauscht werden soll, dann musst du den Urheber um Erlaubnis fragen. Da Frau Wilde meinen Text 1:1 nachgesungen hat, konnte ich nichts dagegen unternehmen – hätte ich aber auch nicht wollen. Es ist immer ein Kompliment, gecovert zu werden. Ich werde jetzt natürlich nichts über den künstlerischen Mehrwert dieser Version sagen. Aber schmeichelhaft ist so was immer.

Als Sie Suede 2003 auflösten, sagten Sie, Sie hätten Ihre „Dämonen“ verloren und müssten Sie wiederfinden. Sind diese „Dämonen“ seit der Reunion Ihrer Band wieder da?

Ich glaube, ja. Zumindest bin ich so glücklich wie vielleicht noch nie zuvor und ich spüre diese Energie wieder in mir, die absolut notwendig für mein Songwriting ist. Und ich mag meine Stimme momentan sehr gern, ich kann sie heute besser steuern als früher. Wenn ich mir heute die Suede-Sachen aus den frühen Neunzigern anhöre, denke ich mir schon: „Mein Gott, das würde ich heute echt anders singen!“ Aber andererseits liegt in all unserer Unerfahrenheit von damals auch nach wie vor ein großer Reiz: dieses Ungestüme, dieses Unfertige. Ich würde nichts davon ändern wollen. Vielleicht gefällt mir heute ein Song wie „Stay Together“ nicht mehr so gut, dafür erkenne ich erst heute, wie großartig unsere B-Seite „To The Birds“ von 1992 war. Das gleicht sich alles aus. Ich bin im Reinen mit meiner Gegenwart und meiner Vergangenheit.

Als Sie Anfang der Neunziger mit Suede anfingen, gelobten Sie, nie Kompromisse einzugehen. Ist Ihnen das gelungen?

Ironischerweise verhält es sich so, dass du mehr mit Kompromissen konfrontiert wirst, je erfolgreicher du wirst. Der Erfolg korrumpiert dich, redet dir ein, dass du dein Level halten willst. Dass deine nächste Single genauso radiotauglich und erfolgreich wie die davor sein muss. Diese Mechanik lässt niemanden unberührt. Aber ich denke schon, dass ich immer sehr stur war und kaum Kompromisse eingegangen bin – wobei das oft auch dumm war.

Zum Beispiel, als Sie 1994 gegen den Willen Ihrer Plattenfirma „We Are The Pigs“ statt dem glatteren „New Generation“ als Leadsingle Ihres Albums Dog Man Star veröffentlichten und die Single dann floppte?

Ich hätte heute in jedem Fall mehr Geld, wenn ich damals nicht so fest an meiner künstlerischen Vision festgehalten hätte. Rückblickend weiß ich nicht, ob das nicht einfach nur dämlich von mir war. Aber das war auch einfach die Zeit: 1994 hatte ich vor lauter Erfolg und Drogen sicherlich zeitweise den Verstand verloren.

Wenn Sie gestatten – diese Vermutung hatte ich neulich auch: Ich fand in einem englischen Secondhand-Plattenladen eine alte Schallfolie, die dem britischen „NME“ damals anlässlich der Veröffentlichung von Dog Man Star beilag. Auf dieser Flexidisc behaupten Sie allen Ernstes, dass das neue Album optimistisch und simpel gestrickt sei.

(lacht) Das habe ich gesagt? Mein Gott, ich muss wirklich verrückt gewesen sein! Dog Man Star ist vermutlich das düsterste, melancholischste und komplexeste Album, das ich je gehört habe – das ist ja wie The Wall. Das war aber auch eine schwere Phase für uns: Unser Gitarrist und Co-Songwriter Bernard Butler hatte gerade nach einer langen Zeit voller Streits und Verletzungen die Band verlassen und wir hatten da dieses schwere, verzweifelte Album zu promoten. Wir mussten uns eine Maske aufsetzen und eine heile Welt vorspielen, die längst zerstört war. Bitte legen Sie mich auf nichts fest, was ich in dieser Zeit von mir gegeben habe! Stephan Rehm