Hurricane 2012, der Freitag: The Cure haben Recht – Friday I’m in Love!
The Cure: wissen, wie wichtig Freitage sind. The Stone Roses: im Farbengewitter. The xx: im Kampf mit Deutschland gegen Griechenland.
Bierdosenpaletten, Kopfschmuck, Trichter, pöbelnde bis freudig erregte Gesänge und ganz viel Gepäck. Als man am Donnerstag Abend gen Festivalgelände lief, hatte man keine Chance, langsam in Festivalstimmung zu kommen – sie sprühte aus allen Poren der Nebenmänner. Die einzige Möglichkeit, nicht aufzufallen war allenfalls, wenn man denn nicht in die Gesänge mit einstimmen wollte – und mit dem Massenstrom Richtung Festivaleingang an den Campingplätzen vorbei zu marschieren.
Auf dem Weg zu den Service Points beglückten Madsen bereits die stolzen Festival-Streber, die sich auf jeden Fall schon am Donnerstag einen der begehrten Plätze auf dem Campingplatz nahe des Festivalgeländes gesichert haben. Dort angekommen, war dann auch Schluss mit Festival-Marsch. Ganz nach den Regeln der Festivalstimmung suchten und fanden sich die, die sich finden wollten. Ein Junge, der sicherlich schon öfters Mal am Sangria-Trichter seiner Festivalgruppe genippt hat, legte den Arm um seine Nicht-Freundin und offenbarte ihr: „Irgendwie steh‘ ich auf dich“ – und irgendwie standen alle schon so sehr auf’s Hurricane-Festival.
Und wie es sich für das Hurricane gehört, folgte auf den Warm-up-Donnerstag der Festival-Freitag. Es schien, als hätte sich das Wetter im Zweifel für die Besucher entschieden. Nach einem kurzen Platzregen, der nur die Frühaufsteher und die noch lichte Masse erwischte, bestrahlte die Sonne das sich langsam füllende Gelände von noch-, nicht- und schon-alkoholisierten Besuchern der Flatrate-Generation „Festivalzeit ist Bierdosenzeit“. Oder wie es Jennifer Rostock ausdrücken würde: „Festivalzeit ist Tittenzeit“ – so sieht sie das nämlich. Auch, wenn sie Ihre, nun ja, „Titten“ den bis über beide Ohren strahlenden Fans vorenthielt, um anzügliche und Statements auf der Blue-Stage waren diese „Rostocks“ leider nicht verlegen.
Bombay Bicycle Club hatten aber schon zuvor dafür gesorgt, dass man die Stimmung der Besucher auch ohne Nackt-Parolen, sondern mit einem guten Starter-Gig auf der Green-Stage „anheizen“ und mit dem Song „Shuffle“ entlassen konnte. In die Sonne und in eine Art Sturm, der sich als Sandsturm entpuppte und die Haut mit feinem Dreck bestäubte. Wäre nicht allzu schlimm gewesen (altes Festival-Gebot: Dreckigsein ist wirklich ok, man ist ja schließlich auf einem Festival), wenn die Stimme von Bosse-Sänger Axel Bosse nicht so oft vom Winde verweht gewesen wäre. Casper spielt im Anschluss mit neuem Live-Gitarristen.
Nun ist es ja so, dass man auch, wenn Acts wie die Sportfreunde Stiller, The xx, The Cure und The Stone Roses noch bevorstanden und Vorfreude damit irgendwie auch Programm war, die EM-Partie Deutschland gegen Griechenland auf dem Plan stand – und nicht nur die Sportfreunde Stiller, sondern auch jeder Besucher sich deswegen in einem akuten Dilemma befand.
Und welche Band litt als Parallelact zum Deutschlandspiel am meisten – die Sportfreunde natürlich.
Deswegen gaben die Herren auch immer die aktuellen Spielstände durch, wie übrigens auch Romy, Oliver und Jamie von The xx. Deren Auftritt litt allerdings fast noch stärker unter dem EM-Viertelfinale. Zwar war der Sound super, der Bass dröhnte durch Mark und Bein und Romys und Jamies wunderbar harmonierende Stimmen brachte die Menge vor der Green Stage in umnebelt-melancholische Stimmung. Doch der größte Applaus fiel, als – mitten im Song – das 1:0 für Deutschland an den Bildschirmtafeln links und rechts der Bühne angezeigt wurde. Aber, machen The xx denn überhaupt „Applaus-Musik“? „We are not used to play in daylight“, sagte Co-Sänger Oliver Sim gleich zu Beginn, fast entschuldigend. Das geht in Ordnung. Bei geschlossenen Augen ist die Dunkelheit ja da. Und so lauschte man den erhabenen Tönen des Trios, deren neue, noch unbekannte Stücke den xx-Kosmos, der nur aus traurigen Elegien zu bestehen scheint, mühelos erweiterten. Das Warten auf das bevorstehende, zweite Album wird sich gelohnt haben, so viel steht fest.
Wir bleiben bei den Auftritten der souveränen Stimmungsschwanker. The Cure und die Stone Roses schlossen an den großen Bühnen den Abend ab. Robert Smith, schon alt und grau unter all dem Make-Up, schaffte es nach wie vor die Festival-Meute zum Tanzen zu bringen, und spätestens bei „Friday I’m In Love“ liebte jede einzelne Person diesen Freitagabend. Die Band spielte eine gelungene Mischung aus Hit-Singles wie „Just Like Heaven“ und „Boys Don’t Cry“, Götterdämmerungs-Stücken („One Hundred Years“), Partnerhymnen („Trust“). Auch im Set: Fan-Favoriten, die schon sehr lange nicht mehr live („The Same Deep Water As You“) oder gar seit einer Ewigkeit nicht mehr dargeboten wurden („Bananafishbones“ – auf dieser Tour zum ersten Mal seit 1984). Auch Reeves Gabrels, dessen Engagement als zweiter Live-Gitarrist bei The Cure auch von Zweifeln der Fans begleitet war (er spielte zuvor lange für Bowie und fiel da vor allem durch unangenehme Hardrock-Soli auf) ging in Ordnung. Ein Beleg dafür, dass sich die Musik Robert Smiths nicht so leicht von Neuzugängen vereinnahmen lässt. Allerdings spielten The Cure ein – gegenüber ihren regulären Konzerten – verkürztes Set, was sicherlich auch damit zusammen hing, dass eben noch eine andere große Band heute ihren Auftritt haben würde.
Denn kaum waren die letzten Töne des Freitagsheadliners verklungen, ging es hurtig weiter zur Blue Stage: The Stone Roses gucken! Ian Brown, aggressiv mit seinem stabförmigen Tambourine rasselnd, leierte die Hits der Band aus Manchester in seiner monoton schnarrenden Stimme hinunter. Ja, er war noch nie der weltbeste Sänger, aber zusammen mit den flirrenden Gitarren und Basslinien vermengte sich der Sound der Roses zu einem nostalgisch-spaßigen Gesamtbild. Auf die Bühne wurden psychedelisch-kaleidoskopartige Bilder der Band projiziert und verstärkten diesen Eindruck. Und, ganz wichtig: im Gegensatz zum Amsterdam-Konzert verließ Reni nicht beleidigt die Bühne. Dennoch bleibt festzuhalten: Zwei ältere Alben, das Debüt von 1989 und „Second Coming“ von 1994, sind schön wieder live zu hören – aber irgendwie wird es jetzt doch Zeit, dass die Stone Roses neue Songs vorstellen. Oder gleich ihre dritte Platte aufnehmen. Warm gespielt haben sie sich ja jetzt.
Den Boden des Festivalgeländes zierten weiterhin Bierdosen, Tetrapacks mit Gaffertape und ganz, ganz viele Kippen. Festival eben. Hurricane. Und am Samstag erwacht Scheeßel mit dem weltgrößten Kater. So wie es sich gehört.
Morgen geht es weiter.