Heulende Wölfe


Das Feuilleton kann aufatmen: Endlich eine Horde Halbstarker, die die Welt aus den Angeln hebt, HipHop neu erfindet, Bla Bla Bla. Halt! Stopp! Odd Future mögen jung sein, unerschrocken, gut, aber eigentlich wollen sie nur spielen. Tyler, The Creator nennt sich der Anführer des Kollektivs – Jeff Weiss hat ihn und seine Rasselbande in Los Angeles besucht.

The revolution will not be televised“ hieß es in grauer, analoger Vergangenheit, doch auf Tumblr, Twitter und YouTube steht sie, die Revolution, längst auf der Tagesordnung, im Live-Feed, um im Bild zu bleiben. Die Revolution, von der hier die Rede sein wird, begann im vorigen Sommer, als ganze Heerscharen wohl informierter Blogger einen Haufen „koksender“, skateboardender und gottloser Rapper zu den Anpeitschern der Revolution krönten. Kampfname: Odd Future Wolf Gang Kill Them All.

Heute haben OFWGKTA die Tribüne einer Turnhalle in West Hollywood in Beschlag genommen. Unten auf dem Basketballfeld versuchen sich sechsjährige Kids am Dribbling, während Eltern ihrem Nachwuchs das Einmaleins des Spiels einzutrichtern versuchen. Keiner bemerkt allerdings, dass eins der Kids ein anderes derart in den Schwitzkasten nimmt, dass es den Ball widerstandslos fallen lässt. Keiner – außer Tyler, the Creator, Gründer von Odd Future, der aus vollem Hals „Das Bürschlein hat’s echt drauf“ schreit und das Geschehen gleichzeitig mit seiner Handy-Kamera festhält. Tylers Reaktion ist symptomatisch für Odd Futures meteoritenhaften Aufstieg zur nächsten großen Rap-Hoffnung – ein post-moderner Urknall aus messerscharfer Beobachtungsgabe und dem neurotischen Bedürfnis, jeden Moment festzuhalten und zu katalogisieren.

Und prompt will jeder ein Scheibchen vom Kuchen abhaben: verzweifelte Labels, hysterische Medienleute und Rudel moshender Teenager, die bei den ausverkauften Shows ununterbrochen „Wolf Gang“ skandieren. Odd Future haben den Ritterschlag von Kanye West und Sean „Diddy“ Combs erhalten, und Ahmir „?uestlove“ Thompson von The Roots gab zu Protokoll: „Sie sind ein unverdaulicher Brocken – und genau das hat im HipHop der vergangenen 20 Jahre gefehlt. In den Texten greifen sie das erste Album der Geto Boys auf, ihre Attitüde, die Musik und ihre Präsentation suggerieren die gleiche unterschwellige Aggression. Sie sind so etwas wie die Bad Brains der Gegenwart, aber ich glaube, dass sie der Mainstream noch enger ans Herz drücken wird.“

Andere Namen werden auch gern in den Ring geworfen – und treiben die Band meist auf die Palme: Wu-Tang Clan, Sex Pistols, Nirvana, Eminem, Insane Clown Posse und die Horrorcore-Rapper aus den Neunzigern. Gerade der letzte Vergleich hat Tyler so angefressen, dass er in „Sandwitches“ – so etwas wie dem inoffiziellen Band-Manifest – die betreffenden Blogger frontal anpinkelt: „And we don’t fucking make horrorcore, you fucking idiots/ Listen deeper than the music before you put it in a box.“

Auch wenn sie gerne mal mit „Incubus“- und „666“-Versatzstücken um sich werfen, sind sie privat nicht anders als andere amerikanische Teenager: Sie sind verrückt nach „Randy’s Donuts“ („die besten Donuts der Welt“), dem nächtlichen TV-Cartoon-Programm „Adult Swim“ und Eminem (was man auch hört) – sie hassen Steve Harvey (einen etablierten Radio-DJ aus L.A.), die Schule, Jerk-Rap und all jene Blogger, die sie nicht unterstützt haben.

„Ich war in der Highschool eines der smartesten Kids, aber ich hab nicht geschnallt, warum ich etwas lernen soll.“ Ohne einen Hauch von Nostalgie zählt Tyler die verschiedenen Highschools auf, die er in L.A. und Sacramento besucht hat. „Die Leute haben zu Odd Future einen Draht, weil wir Dinge aussprechen, die andere nicht sagen: Mach dich nicht krumm und scheiß darauf, was andere Leute denken.“

Odd Future vermitteln eine Post-Teenage-Lebensangst, die wir vielleicht schon von Holden Caulfield, Kurt Cobain und Eminem kennen, die aber hier eine neue Modernität erfährt. Keiner der Gruppe ist älter als 23, sie lieben die pastelligen Farben aus den Dr.-Seuss-Kinderbüchern und gehen ganz in ihrer Fantasie-Lingo auf, sind Computer-Nerds, haben allesamt Twitter-Accounts, präsentieren sich dort oftmals zugeknöpft, um dann wieder die Hose voll runterzulassen.

„Ich rede nicht viel“, sagt der 20-jährige Tyler über sich, „selbst Leute in meiner Umgebung tappen im Dunkeln.“ Er weigert sich, seinen Nachnamen (Okonma) publik zu machen und erwähnte die Existenz von Odd Future seiner Mutter gegenüber mit keinem Wort (Einer seiner Cousins verriet ihn schließlich). Tyler hat mehrfach behauptet, sein Vater sei tot, erwähnt aber in dem Songtext von „Bastard“, dass er unbedingt dessen E-Mail-Adresse brauche, um „ihm in allen Details unter die Nase zu reiben, wie sehr er ihn hasse“. Alle in seiner Familie sind strenggläubige Christen, aber als man ihn als Kind in konfessionelle Schulen steckte, lief er schon damals gegen religiöse Regularien Sturm. „Ich hasse Religion. Meine Familie betet noch immer für mich, aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal in der Kirche war.“

Es war Dr. Dres Chronic 2001 und das N.E.R.D-Album In Search Of, die bei ihm einen Kick auslösten. Tyler brachte sich bei, wie man Beats produziert, auch wie man Klavier spielt, und verbrachte seine Highschool-Jahre vorwiegend mit Photoshop-Spielereien, Musik und Cartoons. Seine Kreativität tobte er auch auf seinen Hosen und Schuhen aus, die er mit allen nur erdenklichen Materialien behandelte. Bereits im neunten Schuljahr versuchte er sich an einer Mode-Kollektion.

Ausgehend vom Hawthorne Skate Park in Los Angeles scharte Tyler eine Gang um sich, die 40 bis 45 Mitglieder umfasste – Skateboarder, Fotografen, Musiker, alte Freunde. 2005 ursprünglich als eine Zeitschrift konzipiert, entwickelte sich OFWGKTA zu einer Mischung aus Kunst-Kollektiv und unbewaffneter Militia. Auch wenn die Rapper der Band ohne Eminem kaum denkbar wären, haben sie letztlich mit den gängigen Rap-Archetypen wenig gemein.

Als „wandelndes Paradox“, als das er sich selbst bezeichnet, begeistert sich Tyler musikalisch für alles – von Post-Crunk-Rap über sensiblen Indie-Rock (Grizzly Bear, Toro y Moi) bis zu Jazz (Roy Ayers, John Coltrane). Er nennt sich selbst eine „Nutte und einen Vergewaltiger“ und behauptet, sowohl die Mutter Gottes als auch Miley Cyrus missbrauchen zu wollen. Er hat Rückgrat und Überzeugungen, behauptet aber in einem Rap, dass er „eigentlich nur das Koks wegblasen will“ – und schnauft dazu wie ein 80-Jähriger mit Raucherlunge. Er behauptet von sich, nicht echt und authentisch zu sein („Niemand ist authentisch“), doch seine Lyrics entlarven ihn als ehrliche Haut und verletzbare Seele. Auf „Bastard“ mimt er den Sohn des Teufels und reimt über gespenstische Beats, die so klingen, als würden die Neptunes einen Slasher-Film vertonen.

„Wir wollen nicht um jeden Preis schockieren“, sagt Domo Genesis, der bandeigene Marihuana-Connaisseur, der unlängst sein mit Beifall bedachtes Solo-Album Rolling Papers veröffentlichte. „Aber es gibt nun mal Themen, die uns Spaß machen und über die wir gerne rappen. Wir sind, wer wir sind.“

Es waren vor allem zwei Videos, die 2010 im Netz kursierten und dafür sorgten, dass OFWGKTA nicht nur in den Skateboard-Läden auf L.A.s Fairfax Avenue gefeiert wurden. Tyler führte bei „French“ und „Earl“ (einem Rap des damals 16-jährigen Earl Sweatshirt) selbst Regie und lieferte darin das Abbild einer Generation, die mit „Jackass“ groß geworden ist: Aggro und Skateboarding, Kotze und Knarren. Sogar ein Ronald-McDonald’s-Plastik-Dummy muss dran glauben und sich sexuell ausbeuten lassen. Bei YouTube bekamen die Videos mit ihrer Schock-Ästhetik bislang mehr als zwei und drei Millionen Klicks.

Doch kaum begann der Netz-Funke zu zünden, war Earl nicht mehr aufzufinden – und niemand ließ sich darüber aus, ob er nun im Erziehungsheim oder in einem Internat gelandet war. Oder ob seine Eltern ihn einfach nur weggesperrt hatten.

Unter diesen Umständen scheint es bizarr, den harten Kern von Odd Future – Tyler, Domo Genesis, Hodgy Beats, Syd the Kid, ihr jüngerer Bruder Taco, Mike G, Left Brain und Jasper the Dolphin – in der Turnhalle eines Gymnasiums anzutreffen, wo sie sechsjährigen Knirpsen beim Basketball zuschauen. Aber hier sind sie, hängen auf der Tribüne ab und blöken wie Statler und Waldorf unflätige Bemerkungen nach unten.

Plötzlich aber wird Tyler selbst zur Zielscheibe des Spottes. „Ich wette, dass du einen Slam Dunk nicht draufhast“, stänkert Mike G.

„Wollen wir wetten?“, krächzt Tyler.

„Nie und nimmer“, feixt Domo, der gerade eine SMS eintippt.

Wie „Transformer“ schießt Tyler mit seinen 1,86 Metern vom Sitz hoch, springt nach unten, greift sich einen Ball, macht ein paar weite Schritte und haut den Ball sicher in den Korb. Mit einem breiten Grinsen kommt er auf die Tribüne zurück. Niemand sagt ein Wort.

„Hast du je Basketball gespielt?“, frage ich ihn.

„Um Gottes willen. Sport ist bescheuert“, sagt er und fummelt an seinem grünen Käppi. „Ich wollte es den Miesmachern nur zeigen.“

Das US-Fernsehen wurde im Februar auf OFWGKTA aufmerksam. In der „Late Night with Jimmy Fallon“ schockten sie das nichts ahnende Wal-Mart-Amerika mit einem vierminütigen Albtraum: Zombies, Gartenzwerge und Gangstermasken waren Requisiten eines nächtlichen Helter Skelters, dessen kinetische Energie gereicht hätte, um einen ganzen Erlebnispark mit Strom zu versorgen. Am Ende des Auftritts springt Talkshow-Gast Mos Def elektrisiert vom Besucher-Sofa und schreit seine Begeisterung unkontrolliert in die Kameras.

Auch wenn die Offline-Bevölkerung erst zu diesem Zeitpunkt von dem Phänomen Notiz nahm, so hatte das Musik-Establishment bereits die „666“ im Adressbuch ihrer Blackberrys abgespeichert. Zu Beginn dieses Jahres wurden Odd Future von „Adult Swim“ für eine Pilot-Sendung auf dem Cartoon-Sender verpflichtet. XL Records, die hippe Plattenfirma hinter Acts wie Vampire Weekend und The XX, veröffentlicht noch im Mai das Album Goblin, Tylers offizielles Solodebüt. Das Video für die Single-Auskopplung „Yonkers“ – in dem Tyler eine Küchenschabe schluckt, sich übergibt und am Ende zum Strick greift – ist inzwischen bereits neun Millionen Mal angeklickt worden.

Das umstrittene Video warf ein bezeichnendes Licht auf die Diskussion, die den Aufstieg von Odd Future begleitet hat. Während die meisten ihrer prominenten HipHop-Kollegen von den Majors dazu angehalten werden, mehr oder minder große Zugeständnisse an den Mainstream-Geschmack zu machen, denken Odd Future nicht im Traum daran, ihre Musik auf das Niveau keimfreien Pops reduzieren zu lassen. „Die Leute machen heute nicht mehr die Musik, die sie eigentlich machen wollen“, sagt Tyler. „Im Radio hört man nur noch Techno-Rap, und alles wird gewaltsam auf Pop getrimmt, um ein paar Platten mehr zu verkaufen.“ Die Band hat sich inzwischen vom Basketballfeld zum nahegelegenen Spielplatz begeben, um die Spielgeräte einem rigorosen Härtetest zu unterziehen.

Angesichts ihrer explosionsartig wachsenden Popularität ist es natürlich nicht auszuschließen, dass Odd Future schon bald ebenfalls im Mainstream landen werden. Auch wenn sie lauthals über Kooperationen außerhalb ihres Dunstkreises schimpfen, hat Tyler unlängst mit den Neptunes aufgenommen. Frank Ocean, der erst im Dezember zur Crew stieß, ist bei Def Jam unter Vertrag und plant gemeinsame Aufnahmen mit Diddy. Der Crooner aus New Orleans bringt eine gewienerte R&B-Komponente mit ins Spiel, die selbst bei Odd-Future-Gegnern für Begeisterung sorgt.

Eine der bislang wenigen US-Radiostationen, die Odd Future auf ihre Playlist genommen haben, ist „Hot 97“ in New York, wo vor allem DJ Peter Rosenberg Tyler, Ocean und Earl regelmäßig auflegt. „Goblin wird gut laufen“, sagt er, „aber vor allem Frank Ocean hat einen immensen Mainstream-Appeal. Es geht gar nicht darum, dass sie sich jetzt stilistisch verbiegen, aber sie müssen eine Nummer finden, die zu ihnen und ihren Überzeugungen passt – und gleichzeitig vielleicht etwas verdaulicher ist als ihre frühen Sachen. Sie sind schon nah dran.“

Seit dem Herbst wird die Gruppe von Christian Clancy und David Airaudi gemanagt, zwei ehemaligen Interscope-Mitarbeitern. Airaudi gründete unlängst eine Firma namens „Three Quarter“, die sich nicht zuletzt auf die Vermarktung der „intellectual property“ ihrer Musiker konzentriert. Im Falle von Odd Future gehe es darum, ein Business-Modell zu entwickeln, das auf die Kreativität der Band zugeschnitten sei – und dazu könnten Mode-Kollektionen und Skateboards ebenso zählen wie Multimedia-Projekte. „Die kreative Kontrolle und Freiheit sind unabdingbar – die Musik kommt immer zuerst. Aber heute ist eine Plattenfirma nicht mehr unbedingt der wichtigste Partner. In Zukunft werden diejenigen Künstler die erfolgreichen sein, die sich die Kontrolle über das, geistige Eigentum‘ ihres gesamten Lebensstils bewahrt haben.“

Wie Tyler mit XL, hat Mellowhype (Left Brain und Hodgy Beats) einen kurz laufenden Deal mit Fat Possum, dem Rock- und Blues-Label aus Mississippi, geschlossen. Die Verträge reflektieren eher die „Do-It-Yourself“-Attitüde von Punk und Indie-Rock denn die Gepflogenheiten erfolgreicher HipHopper, die sich fast ausnahmslos an große Labels gebunden haben. „Als ich ein Kid war, träumte ich immer von einem Vertrag mit Interscope“, sagt Tyler und schwingt auf der Schaukel. „Das war nun mal das Label von Dr. Dre und 50 Cent. Ich wollte auch eine Yacht, ich wollte auch einen Grammy. Aber ich würde nie einen Deal unterschreiben, der mir nicht die hundertprozentige Kontrolle gibt. Man gibt viel aus der Hand, wenn man bei einem Major unterschreibt. Ich möchte lieber arm wie eine Kirchenmaus sein, als über die gleichen Beats und Akkordfolgen rappen zu müssen wie alle anderen auch.“

Er springt von der Schaukel ab und will sich verabschieden. Aus dem Hintergrund stürmen ein paar jugendliche Odd-Future-Fans heran und geben ihm einen freundschaftlichen Stoß. Er nimmt’s mit Humor und schreit ihnen nach: „Hey, Seepferdchen kann man nicht reiten!“

Die Höhle der Wolf Gang befindet sich im Hinterhaus eines älteren Gebäudes im spanischen Kolonialstil. Wie ihre Musik, so herrscht auch in ihrem Studio organisiertes Chaos: ein Coltrane-Poster, ein Fernseher, der aussieht, als wäre er nie benutzt worden, Bücher, DVDs, CDs. Eine Wand ist grün gestrichen, die andere weiß, eine weitere rosarot. Überall stehen Gitarren und Drumsets, dazwischen leere Ice-Tea-Dosen. Ein zwei Monate altes Kätzchen namens Keysha springt aus seinem provisorischen Quartier und verdrückt sich. Der Aufnahmeraum selbst ist aufgeräumt und spartanisch: Außer einem Mikro, zwei kleinen Lautsprechern und einem PC steht in der Mitte des Raums nur ein … Bett. Der einzige Hinweis darauf, dass es mit der Band steil nach oben geht, befindet sich im Garten: ein Trampolin, das Tyler eine Woche zuvor zum Geburtstag bekommen hat.

Das Haus gehört den Eltern der 18-jährigen Syd, die das Studio jahrelang befreundeten Schülern ihrer Highschool zur Verfügung stellte, die dort Musikaufnahmen für den Privatgebrauch machten. Die Kunde machte die Runde, und eines Tages im Jahre 2008 standen 13 Odd Futuristen vor ihrem Fenster. „Ich war gerade auf dem Sprung und sagte ihnen, sie könnten gern warten“, sagt Syd, die alle Aufnahmen mischt und auch Mike G’s kommendes Album Gold produziert. „Hodgy, Left Brain, Tyler und ihre Freunde hatten tatsächlich auf mich gewartet – und noch in der Nacht nahmen wir sieben Songs auf. Es hörte überhaupt nicht mehr auf.“

Die beschauliche Lokalität erwies sich als hilfreich, um den Gärungsprozess in der Band zu beschleunigen. Zuvor hatten sie bereits im Studio von Left Brains Cousin J-Hawk aufgenommen, das sinnigerweise sonst von den Jerk-Rappern benutzt wurde, die sie aus ganzem Herzen hassten. „Ursprünglich bestand die Band nur aus Left Brain und Tyler“, sagt Hodgy, der in Pasadena aufwuchs. „Ich wollte unbedingt in die Band, weil ich sie einfach verstand. Wir hatten so viele Gemeinsamkeiten, dass es schon an ein Wunder grenzte. Wir haben ständig gearbeitet – wenn wir nicht in der Schule waren, machten wir Musik.“ Domo Genesis, einer von Tylers Klassenkameraden, kam Ende 2008 dazu, kurz darauf folgte Left Brains Freund Mike G (ein Neffe von Warren G) – einer der letzten Neuzugänge war Earl Sweatshirt (bürgerlich: Thebe Kgositsile), der angeblich Tylers Halbbruder ist (was dieser aber bestreitet). Unter dem Namen Sly rappte der 15-Jährige in einer Gruppe namens The Backpackerz, fühlte sich aber im verrückten Kosmos seines neuen Clans erheblich wohler.

„Earl“, so Syd, „war bei Odd Future erst ein Skateboarder, bevor er mit dem Rappen anfing. Tyler war der Einzige, der wusste, dass er’s draufhatte, aber Earl war anfangs zu nervös, um es uns zu beweisen. Bei der ersten Aufnahme schloss er die Tür ab und schickte uns nach draußen.“

Inzwischen ist Earl 17 und anscheinend noch immer auf dem Internat – die genaueren Umstände seines Verschwindens bleiben ein großes Geheimnis. Der Junge mit dem Babyface, der davon berichtete, auf „six different liquors with a Prince wig on“ gewesen zu sein, existiert momentan nur in den „Free Earl“-Gesängen und den handgemachten „Free Earl“-T-Shirts, die bei jedem Auftritt verteilt werden.

Da es keine Möglichkeit gibt, mit ihm Kontakt aufzunehmen, ist seine alte Website (http://slytendencies.blogspot.com) das letzte Lebenszeichen, das Zeugnis von seiner surrealen Originalität gibt. Und von nicht minder hoch gesteckten Zielen: „Ich habe viele Träume, die mir hoffentlich noch viele Türen öffnen werden. Ich möchte aus diesem Haus raus, aus diesen verdammten vier Wänden, ich möchte in der Rap-Szene Zeichen setzen. Und ich werd das auch schaffen, weil mir das Charisma sogar aus dem Arschloch kommt. Und wenn dir das nicht passt – dann verpiss dich!“

Albumkritik S. 93