Herr Kasher, darf es ein bisschen mehr sein?


Vom Rockpoeten zum komplexen Künstler: Tim Kasher steht mit einem Bein im Pop, mit dem anderen in der Klassik.

Als Broadwaykomponist George Gershwin 1924 seine „Rhapsody In Blue“ aufführte, kümmerte es keinen Menschen, ob das nun Jazz oder Klassik war. Sie wurde von den größten Dirigenten inszeniert und von vielen Pop- und Jazzkünstlern gecovert. Heute gelingt nur noch wenigen Musikern der schmalzfreie Spagat zwischen Pop und Klassik. Zu Jim O’Rourke und Sufjan Stevens gesellt sich jetzt Songwriter Tim Kasher. Auf seinem Debütalbum The Game Of Monogamy kleidet er alternative Folksongs stimmig in ein klassisches Gewand. „Das war ein ganz organischer Prozess“, erklärt Kasher. „Mir schwebte eine traditionelle Partitur auf der Grundlage von Popmusik vor.“

Als ob das so einfach wäre. Aber Kasher ist kein Newcomer. Er fungiert als Frontmann von Cursive und The Good Life, war bei Rilo Kiley dabei und an Alben von Bright Eyes beteiligt. Seit 15 Jahren ist er im Studio zuhause. „All diese Produktionen haben Zeit gekostet, die mir nicht für mein Soloalbum zur Verfügung stand. Ich brauchte aber auch die Übung, um das Handwerk und den Mut für so ein großes Projekt aufzubringen.“

In der Tat ist es für einen Sänger in der Grauzone zwischen Alternative Rock und Folk ein gewaltiger Schritt zu einem derart komplexen Werk. „Sowas entsteht ja nicht in einem Ruck. Aus einem Grundthema leiten sich verschiedene Einzelideen ab, die ich ausprobiere, bis sich eine Richtung ergibt. Dann kann ich allen Elementen gezielt eine logische Einheit geben.“

Sein Ruf als unbeschwerter Rockpoet könnte durch sein ehrgeiziges Debüt leiden. In den USA spürt Kasher bereits Gegenwind von einigen Fans, die ihm die Wendung nicht abkaufen wollen. „Mir ist schon bewusst, dass sich diese Musik der Idee eines landläufigen Indie-Rock-Albums weit entzieht. Ohne sie zu kopieren, bin ich Musikern wie Elvis Costello oder David Bowie gefolgt. Ich habe es mir selbst nicht leicht gemacht, warum sollte es also für den Hörer leicht sein?“ Wenn er über seine Musik redet, klingt Kasher lange nicht so selbstbewusst wie in seinen Songs. Fast scheint er zu fürchten, einen Schritt zu weit gegangen zu sein. Doch sein Album braucht einfach nur ein wenig Zeit.