Fury in the Slaughterhouse


Mit dem grossen Erfolg hat die viel gerühmte Harmonie der sechs Furies die ersten Risse bekommen. Das hat dem neuen Album gut getan. Meint jedenfalls ME/Sounds-Autor Uwe Pütz.

Und plöp! Mit einem präzisen Stoß versenkt Rainer die rote Sieben im hinteren Loch. Dann konzentriert sich der Fury-Drummer auf die schwarze Acht, während Kai und Thorsten etwas unbeteiligt am Billardtisch stehen. Kai mit einer ‚New Jersey-Devils‘-Mütze, Thorsten im ‚Toronto Maple Leafs‘-Eishockey-Shirt, superlässig, supersportiv. Nur von Spiellaune ist nichts zu spüren.

Die Stimmung in den Peppermint-Studios in Hannover ist gereizt. Die Furies stehen zusammen, obwohl sie sich nach sechswöchiger Produktion gerne aus dem Weg gehen würden. „Eine Sechs-Mann-Band ist Drama“, meint Gitarrist Thorsten und wird im gleichen Augenblick von Bruder Kai bestätigt. Der macht völlig unvermittelt einen Abgang: „Wenn du die ganze Zeit nur laberst, was soll ich denn dann hier“, motzt der Sänger. „Siehst du“, meint Thorsten, „so schön ist das bei uns.“

Von wegen Fury, Freude, Eierkuchen. Die Band-Harmonie zeigt im achten Jahr erkennbare Risse. Sicher, über das neue Album sind sich die Hannoveraner einig. Es ist natürlich das beste. „Endlich haben wir es geschafft.

das Live-Feeling auf Platte zu bringen.“ Doch die Entscheidungsprozesse sind schwieriger geworden. Welche Single koppelt man aus? Kann man den Fans eine schwülstige Streicher-Ballade zumuten?

Die typischen Fragen einer Band, die mit ihrem letzten Album die kommerzielle Weihe erfahren hat: Gold für 250.000 verkaufte ‚Mono‘-CDs. Was ihnen auf der einen Seite schmeichelt („Natürlich wollen wir so viele Platten verkaufen wie möglich!“), auf der anderen Seite den kommerziellen Druck erhöht („Es wird in der Firma immer nur über Marketing geredet.“).

An den Wänden des Aufenthaltsraumes hängt schon ein Plakat der neuen Fury-Tour. In diesem Jahr geht’s wieder nach Amiland, ganz auf den Spuren der Scorpions. „Die spielen manchmal auch nur vor 1000 Leuten“, sagt Sänger Kai, der sich zu Thorsten auf’s Sofa gesetzt hat, die Baseballkappe noch immer tief ins Gesicht gezogen. Im vergangenen Jahr tourte die Band über vier Wochen lang durch die Staaten, zuerst als Support von Rock-Schwergewicht Meat Loaf. „Das paßte wie die Faust auf’s Auge“, erzählt Kai, „deshalb hatten wir am Anfang auch ganz schön Muffe, vor 30.000 Leuten zu spielen. Aber die Amis waren offener, als wir erwartet hatten.“

Meat Loaf zeigte sich schon nach dem ersten Gig von den Live-Qualitäten der Sechs begeistert und spendierte den Krauts eine Gage von 1.500 Dollar pro Auftritt. Schade nur: Die Liaison hielt nicht länger als zehn Tage, weil Meat Loafs Zugkraft gerade mal für den mittleren Westen reichte. Im Süden und Osten der USA, in Florida und Boston, mußten Gigs aus Mangel an Interesse gecancelt werden. Damit waren auch die Furies draußen. „Glücklicherweise fanden wir einen Manager, der uns eine Clubtour organisierte, dann haben wir uns allein durchgeschlagen.“

Chicago, Minneapolis, Cincinnati, die Dreckstour durch kleine Klubs und billige Spelunken, Auftritte zwischen Strip-Shows und Grungerock-Kapellen, Gigs vor argwöhnisch dreinschauenden Cowboys. Augen zu und durch, 45 Minuten spielen und tschüß! „Immerhin sind uns irgendwann die ersten amerikanischen Fans nachgereist“, ergänzt Kai, der wegen einer Nervenentzündung am Arm („vom Onanieren“) Bekanntschaft mit einem US-Krankenhaus machte. Und dort Zeuge eines Mordes wurde. „Vom Fenster aus sah ich, wie jemand einen Mann vor einem Supermarkt abknallte.“

Plöp… Noch immer steht Rainer mit dem Queue in der Hand am Billardtisch und läßt die Kugel rollen. Kai steht auf. „Dann laß uns mal ins Studio rübergehen.“ Endlich: Zur ersten Hörprobe des neuen Albums – „sind aber alles nur Rough-Mixes“, schärft er mir ein, lädt das Digitalband und schaut noch mal fragend zu uns herüber: Seid ihr nun bereit?

Damit hat wohl niemand gerechnet. Man muß wirklich zweimal hinhören, um Fury In The Slaughterhouse wiederzuerkennen. Der bedrohliche Gitarrensound, unterlegt von trockenen Techno-Rhythmen, schiebt sich breitwandig durch die Lautsprecher. ‚Kiss The Judas‘ ist ein Hammer, und verglichen mit den Folk-animierten Songs auf ‚Mono‘ eine dramatische Steigerung. Der Sound ist rauher, die Riffs giftiger. Das ist State-Of-The-Art-Rock für das Jahr 1995.

Im krassen Gegensatz dazu eine Ballade, umrahmt von dicken Streicherwäldern. Hmmm? Ziemlich süß das Ganze. Aber typisch für dieses Album, findet Thorsten. „Im Grunde sind es nur die Stimmen, die alles zusammenhalten, so unterschiedlich sind die Songs diesmal.“

„Wenn wir überhaupt eine Message haben, dann ist es das Wir-Gefühl“, sagt Thorsten später. „Das ganze Gerede von der Slacker-Generation und der Hoffnungslosigkeit, das stimmt doch nicht: Die Leute suchen was im Leben. Sie rufen uns an und wollen eine Party organisieren oder fragen, ob wir sie beim Auftritt unterstützen.“

Im Grenzbereich zwischen wohligem Gemeinschaftsgefühl und sozialkritischer Rebellenpose, zwischen Feuerzeug-Balladen und provokantem Realismus haben sich die Niedersachsen in acht Jahren zum Erfolg gerockt. Ihr PopFolkRock-Konzept bietet sperrige Seiten und hat dank Techno- und HipHop-Anleihen sein Mainstream-Potential noch vergrößert. Daß es dafür kein Lob in Underground-Kreisen gibt, ist Thorsten egal. „Wenn ich denen sage, daß ich auf Blumfeld stehe, würden sie mir das sowieso nicht abkaufen.“

Trotz des Erfolges sind die Furies fest auf dem Boden geblieben. Statt sich – wie viele Bands nach einem Gold-Album – einen ‚big-name-producer‘ ins Studio zu holen, hielten sie Stammproduzent Jens Krause die Treue. Und geprobt wird immer noch im Jugendzentrum am Glockensee. Zu aller Vorteil. Dort entdeckten sie irgendwann eine medizinische Schautafel, die ihnen den Titel zum neuen Album lieferte: ‚The Hearing And The Sense Of Balance‘ – ‚Das Gehör und der Gleichgewichtssinn‘.