Freddy Mercury


Daß er überhaupt ein Interview gibt, grenzt schon an ein kleines Wunder. Seit Jahren liegt der Queen-Sänger mit der Presse im Clinch und hat sich - zu Recht oder Unrecht - das Image eines arroganten Finsterlings eingehandelt. Daß dem nicht unbedingt so ist, konnte Steve Lake feststellen, als er in einem offenen Gespräch mit Freddie einige heiße Eisen anfaßte: Homosexualität, Faschismus und die schwelende Rivalität innerhalb von Queen.

ME/Sounds: Neulich hat Roger Taylor in einem Interview THE WORKS als bewußten Versuch beschrieben, „den Queen-Fans das zu geben, was sie wollen“. Siehst du das auch so ?

Mercury: „Gut, wir versuchen immer, den Fans das zu geben, was sie wollen; aber damit hört es nicht auf. Es waren einfach eine Handvoll Songs, die wir zu der Zeit machen wollten. Okay, es war ein bißchen der Versuch, zurück zu den Ursprüngen zu gehen. Diverse Leute hatten behauptet, daß Queen schon lange nichts mehr von dem Material rausgebracht hätten, für das sie bekannt seien. Ich frage mich dann nur immer: ‚Wofür sind Queen denn bekannt?‘ Okay, ‚Bohemian Rhapsody‘ , aber seitdem haben wir soviel verschiedene Sachen gemacht, wie ‚Another One Bites the Dust‘.

Egal, nein, zu THE WORKS gab es kein Konzept. Dadurch, daß wir alle vier schreiben, ist es zwangsläufig sehr abwechslungsreich geworden. Also haben wir es THE WORKS genannt, weil es wirklich die Werke sind. Wir benutzen keine ‚Konzepte‘ mehr. Das hat mit A DAY AT THE RACES oder A NIGHT AT THE OPERA aufgehört, da gab es wirklich ein Konzept.“

ME/Sounds: Vor einer Weile habt ihr mit Songs wie „Another One Bites The Dust“ des schwarzen Markt in Amerika erobert. Kam das als Überraschung?

Mercury: „Völlig. Ich gaube, wenn wir bewußt versucht hätten einen Song zu schreiben, der uns auf den schwarzen Markt bringt, hätten wir es nie geschafft. John kam mit dem Song.

Danach habe ich mit ‚Hot Space‘ bewußt versucht, für den schwarzen Markt zu schreiben, aber allzuviel ist dabei nicht herausgekommen. So geht’s. Ich glaube aber auch nicht, daß es so was wie den ’schwarzen Markt‘ überhaupt gibt. Du machst einfach einen Song, und es klappt oder es klappt nicht. Das muß man nehmen, wie’s kommt.“

ME/Sounds: Als ihr die Barriere zum Disco-Markt durchbrechen wolltet, habt ihr da Chic und derartige Bands gehört?

Mercury: „Nein. Bewußt gehört habe ich zu dem Zeitpunkt allenfalls ältere Soulsänger. Aretha Franklin, die habe ich schon immer gemocht. Oder Marvin Gaye. Seitdem habe ich natürlich ganz konzentriert an meiner Michael Jackson-Verkörperung gearbeitet. Ich liebe diese Musik inzwischen. Ich schreibe keine vielschichtigen Harmoniegesänge mehr. Ich mag die offenen, räumlichen schwarzen Funk-Sachen. Ich glaube, die lassen meine Stimme besser zur Geltung kommen. Die letzten acht Jahre habe ich immer versucht, meine Stimme durch dieses Gitarren-Sperrfeuer durchzubringen.“

ME/Sounds: Du hast inzwischen schon mit Michael Jackson gearbeitet, oder?

Mercury: „Ja. Vor ungefähr einem Jahr. Bisher ist nichts rausgekommen, weil wir beide viel zu tun haben. Wir haben drei unfertige Nummern. Eine davon heißt ,Victory‘ – und jetzt hat doch der Kerl das neue Jackson-Album VICTORY genannt. Ich glaube zwar nicht, daß der Song mit drauf ist. Ich hoffe nicht. Wenn doch, schrei ich Scheiße und verklage den Fucker.“

ME/Sounds: Arbeitest du gern mit anderen Sängern ? Als ich Brian May mal nach der Zusammenarbeit mit Bowie an „Uinder Pressure“ gefragt habe, hat er einigen Ärger abgelassen.

Mercury: „Interessant, daß du das fragst. Das wirft ein Licht auf die betreffenden Charaktere. David ist ein guter Freund von mir. Brians Kommentare sind seine Sache und gehen völlig in Ordnung. Nein, ich komme mit David gut klar. Natürlich ist das bei Musikern mit dem Temperament immer so eine Sache. Die Egos prallen aufeinander. Das muß auch so sein, denn wenn du mit anderen Leuten zusammenarbeitest, wird natürlich nicht nur nach deiner Pfeife getanzt.

Die Under Pressure-Session war vollkommen spontan und drum war sie so gut. David und ich sind Leute, die sich schnell langweilen; wir machen Dinge gern aus der spontanen Situation heraus. Ich glaube einfach, daß David und Brian nichts gemeinsam haben – nichts außer Musik, über das sie gemeinsam reden können.“

ME/Sounds: Die Spannweite zwischen den Persönlichkeiten kommt mir bei Queen weiter vor als bei anderen Bands. Wenn man sich gleichzeitig gegebene Interviews verschiedener Gruppenmitglieder anschaut, findet man oft genug diametral entgegengesetzte Standpunkte.

Mercury: „Ja. Ich glaube, das liegt ursächlich an der Tatsache, daß wir alle vier Songs schreiben. So gab es vom ersten Tag an Konkurrenz innerhalb der Band. Ich halte das für gesund. Und wir haben alle unglaubliche Egos, klar haben wir die. Hinterbänkler gibt’s nicht, in der Gruppe spielt jeder eine Hauptrolle. Selbst, wenn wir über dasselbe Thema reden, bekommst du gewöhnlich vier verschiedene Meinungen dazu. Wir tragen unsere Differenzen ganz offen aus. Wenn ich etwas sage, und irgendwer von den anderen mag das nicht -Scheiße.“

ME/Sounds: Okay, dieser Artikel hier ist neulich in Los Angeles über Queen geschrieben worden, über eine Party bei Capitol Records, bei der THE WORKS zum ersten Mal gespielt wurde. Brian May wird zitiert mit: “ Mein einziger Gedanke war, daß ich das, was ich eben gehört habe, gräßlich finde. Ich schäme mich.“

Mercury: „Das hat Brian gesagt? (lacht) Der hatte wohl zuviele Gin-Tonics gekippt. Ich erinnere mich, daß das fragliche Playback ein Roh-Mix war. Und wir sind alle nun mal sehr pingelig. Ich kann mich erinnern, daß Brian sehr wütend war. Wir haben vier Nummern vorgespielt, damit die Plattenfirma eine Ahnung bekommt, wie die Platte ungefähr klingen würde. Die Nummern waren längst nicht fertig. Danach sind wir wieder nach München gekommen, um die Platte fertigzustellen. Zu dem besagten Zeitpunkt war die Hälfte der Gitarrensoli noch nicht drauf.“

ME/Sounds: Es wurde immer stolz darauf hingewiesen, daß auf Queen-Alben keine Synthis verwendet werden. Jetzt benutzt ihr sie natürlich doch.

Mercury: „Das geschah damals zu der Zeit, als die Synthis zum ersten Mal auftauchten und ausschließlich zum Nachahmen von Gitarren- und Orchester-Sounds benutzt wurden. Bei uns war es halt so, daß die ganzen Orchester-Effekte mit Brians wirklich einmaliger Gitarre erzeugt wurden. Daß das ausschließlich Gitarren waren, haben wir den Leuten nur zu ihrer Information gesagt. Wir wollten einfach, daß die Leute mitbekommen, wie phantastisch Brian war. Wir hatten nie eine ausgesprochene Abneigung gegen Synthis.“

ME/Sounds: Im Moment erleben wir einen Trend Zurück-zur-Gitarre, eine ganz neue Generation von Gitarren-Bands.

Mercury: „Ja, ich finde Big Country beispielsweise recht gut. Aber diese Heavy Metal-Kiste – um ehrlich zu sein, ich kann diese Gruppen nicht ausstehen. Heavy Metal war einmal, verstehst du; und die alten Bands waren in ihrem Metier einfach am besten. Leute wie Led Zeppelin. Vermutlich klinge ich wie ein alter Mann, wenn ich das sage. Inzwischen mag ich lieber Leute wie den Culture Club. Das ist eine neue Art Musik, eine neue Form. Duran Duran sind okay. Die Eurythmics sind wundervoll.“

ME/Sounds: Sind Songtexte für dich sehr wichtig?

Mercury: „Natürlich, aber sie fallen mir sehr schwer. Melodien finde ich viel leichter. Gott sei Dank ist es normalerweise die Melodie, die einen Song verkauft. Ganz, ganz selten habe ich zuerst den Text beisammen. Meistens habe ich schon die gesamte Struktur, bevor der Text endgültig fertig ist.“

ME/Sounds: Ein Song wie „Man On The Prowl“ zum Beispiel, mit Zeilen wie „I’m gonna take a little walk on the wild side / go crazy driving in the fast lane“ (Freddie windet sich ein bißchen, als ich sie vorlese).

Fühlst du dich nicht wohl bei deinen Texten?

Mercury: „Nein, tu ich nicht. Schau, für für mich sind die Songtexte einfach komplett eskapistisch. Ich glaub‘ nicht, daß ich die Veranlagung habe, tiefschürfende ‚Botschaften‘ zu schreiben. Für mich ist ein Queen-Song lediglich etwas, was man sich anhört und dann wegwirft – wie ein Tempo-Taschentuch. Ich gehe ins Kino und vergesse für anderthalb Stunden meine Probleme. Ich bin nicht hier, um zu verkünden ‚Ändere dein Leben, hör einen Queen-Song‘. Ich will das Leben der Leute nicht ändern. John Lennon konnte Songs mit einer Botschaft schreiben. Stevie Wonder. Die haben aber auch danach gelebt. Bei denen kannst du sicher sein, daß die das auch so meinen, wenn sie ein Friedenslied schreiben. Ich bin nicht so. Ich schreib gern einen netten Song mit einer guten Melodie, das ist alles, und gleich weiter, den nächsten.“

ME/Sounds: Was denkst du über die neuen Gruppen, die sich mit einem auffällig schwulen oder transsexuellen Image präsentieren? Gruppen wie Dead Or Alive oder Frankie Goes To Hollywood oder Culture Club oder Marilyn.

Mercury: „Einige Images sind gut, andere Images sind mies. Boy George mag ich ungeheuer. Seine Rolle ist verdammt schwer; es ist mutig, daß er das macht – und es ist wunderbar, daß es klappt. Und er glaubt auch an das, was er tut!

Okay, jeder kann sich eine Menge Puder und Make-up auf die Backen klatschen. Aber Boy George hat nicht nur ein Image – obendrein sind seine Songs gut! Culture Club hatten Hits in Amerika, bevor sie überhaupt jemand gesehen hatte. Das Image und die Songs zusammen sind eine Monster-Kombination. Das Schock-Element ist grundsätzlich positiv. Aber bei manchen klappt’s einfach nicht und wirkt ein bißchen ordinär. Das hängt vom Einzelnen ab.“

ME/Sounds: Hast du das Gefühl, daß Queen auch mit diesem Schock-Quotienten gespielt hat?

Mercury: „Oh, ich denke schon. Wir haben mit Roxy Music angefangen, mitten – in der Glam Rock-Ära. Dieselbe Stoßrichtung wie heute, bloß andere Leute. Sicher, Boy George ist sehr couragiert, aber er kann auch auf unsere Erfahrungen zurückgreifen. Als ich anfing, war das Publikum an Bands gewöhnt, die auf der Bühne Jeans trugen. Als sie plötzlich Freddie Mercury in einem Zandra Rhodes-Gewand sahen, mit Make-up und schwarzem Nagellack, war das absolut unerhört. Boy George ist eher der Transvestiten-Prinz. Aber sicher eine ähnliche Schock-Wirkung.“

ME/Sounds: Natürlich konzentriert sich in England, besonders in Blättern wie „The Sun“, das Interesse vor allem auf das Sexleben dieser Paradiesvögel…

Mercury: „Ja, ich weiß. Du wirst mich vermutlich nach dieser Geschichte in der ‚Sun‘ fragen, daß ich angeblich schwul bin. Was mich betrifft: Ich bumse, wen ich will und wann ich will. Über Queen haben die Zeitungen doch schon immer geschrieben, was sie wollten – sollen sie doch! Ich mach‘ mir deshalb keine schlaflosen Nächte.

Aber dieser eine Artikel war völlig falsch zitiert, absolut aus der Luft gegriffen. Was kann ich dagegen schon tun? Soll ich mir die Haare raufen und sagen: ‚Oh mein Gott, ich muß das unbedingt richtigstellen?‘ Die Frau, die den Artikel geschrieben hat, wollte einfach eine knallige Story von mir und hat nichts bekommen. Ich hab sie gefragt: ‚Was willst du hören? Daß ich mit Kokain deale oder was?‘ Da hat sie halt einfach geschrieben, daß ich zugegeben hätte, schwul zu sein. Ich bin doch nicht bescheuert, so was zu sagen! Dazu bin ich zu intelligent.“

ME/Sounds: Es überrascht mich, daß das Thema deiner Sexualität nicht noch extremer ausgeschlachtet wurde – nimmt man dem Bühnen-Image, den Bandnamen und so weiter…

Mercury: „Ich bin immer in die Schwulen-Kiste gesteckt worden. Erst hieß es, ich sei bisexuell, dann war es der Zwitterlook; außerdem hab ich einige Sprüche draufgehabt, die gute Schlagzeilen hergaben. Wenn du auf meine sexuellen Vorlieben anspielst: Ich mach’s ganz einfach mit jedem, den ich mag. Da gibt’s keine Schubladen. (Seufzt.) Mein Privatleben ist privat. Ich rede über praktisch alles, aber das letzte auf der Welt, was ich machen würde, wäre, zur ,Sun‘ zu gehen und zu sagen: Ich geb’s zu, ich gebe zu, daß ich schwul bin.‘ Das ergibt keinen Sinn. Wenn doch, hätte ich es schon vor Jahren gemacht.“

ME/Sounds: Zynisch betrachtet, ist es jetzt ja eine gute Zeit zum Schwulsein. Gut fürs Geschäft.

Mercury: „Ist es wirklich, nicht wahr? Aber für mich wäre es jetzt verkehrt, schwul zu sein, weil ich schon seit 12 Jahren in dem Business bin. In diesem Geschäft ist es gut, schwul oder sonst etwas Unerhörtes zu sein, wenn du neu bist. Wenn ich jetzt damit an die Öffentlichkeit träte, würden die Leute sagen: ,0 Gott, jetzt erklärt Freddie plötzlich, daß er schwul ist, weil’s grad im Trend liegt, schwul zu sein.‘ Das ist nicht mein Bier. Solche Sachen überlasse ich den Leuten, dies nötig haben. Die einzige Sache, die mir etwas bedeutet, ist die Musik. Wenn die Musik sich nicht mehr verkauft, hör ich einfach auf damit.“

ME/Sounds: Was uns zur unvermeidlichen Frage der Lebensdauer einer Gruppe bringt: Gibt es einen Punkt, von dem an du nicht mehr auf der Bühne stehen kannst?

Mercury: „Das einzige Indiz ist die Platte. Was die Presse sagt, spielt keine Rolle. Wenn du aber die Platte nicht verkaufst, dann war’s das. Im Moment langweilen mich die Bühnenshows. Ich will andere Sachen machen. Ich will an Orten spielen, wo ich noch nie gespielt habe. Wir überlegen uns gerade, ob wir nach Südafrika gehen; das wird zwar politisch einigen Staub aufwirbeln, aber ich scheiß drauf.

Ich mache Musik für die Leute. Wir waren eine der ersten Gruppen, die nach Südamerika gingen. Eine tolle Erfahrung. Zwei Wochen, nachdem wir dort waren, stand Großbritannien mit Argentinien im Krieg. Aber das sollte einen Musiker nicht beeinflussen. Musik ist für jeden.

Ich möchte einmal nach Rußland. Wir wollten schon vor drei oder vier Jahren dahin, aber sie haben sich unsere Album-Cover angesehen und entschieden, daß wir zu schlüpfrig seien und ihre Jugend verderben würden.

Was ich hingegen überhaupt nicht will, ist nach Nordamerika gehen und in denselben langweiligen Stadien spielen. Das ist das Schlimmste, was passieren kann; du siehst das im Moment bei einer Menge Bands, die ihren Höhepunkt überschritten haben, aber immer noch weitermachen, als ob alles okay wäre und – sagen wir mal – im Madison Square Garden spielen. Vor zwei Jahren haben sie dort gespielt und ihn dreimal ausverkauft – diesmal spielen sie bloß einmal. Was muß das für ein Schlag fürs Ego sein!“

ME/Sounds: Aber du glaubst trotzdem, daß Publikums-Akzeptanz ein echtes Kriterium für musikalische Qualität ist?

Mercury: „Ja!!“

Me/Sounds: Wirklich?

Mercury: „Absolut. Die einzige Art und Weise, deinen Erfolg einzuschätzen, besteht darin, daß du die Nummer eins bist.“

ME/Sounds: So stellst du vielleicht die Ausmaße deines Erfolges fest, aber das sagt überhaupt nichts über den tatsächlichen Wert deiner Musik, oder?

Mercury: „Oooh … was für ein Haufen Scheiße!!“

ME/Sounds: Haufen Scheiße???

Mercury: „Ich weiß, was du sagen willst: Daß du ein wundervoller, unentdeckter Musiker sein kannst. Na und? Was heißt das schon? Talent bedeutet, daß du weißt, wie du’s den Leuten reindrückst! Talent heißt, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Du mußt wissen, wie du an die Leute rankommst. Talent ist Image.“

ME/Sounds: Manchmal gibt es aber Faktoren, die dem im Wege stehen. Du sagst zum Beispiel, daß du schwarze Musik magst. Wenn du aber tatsächlich schwarz bist, kommst du z.B. nicht ins amerikanische Kabelfernsehen. Da gibt’s keinen rechten Ort und keine rechte Zeit.

Mercury: „Das hat was für sich. Immerhin kommt Michael Jackson da rein.“

ME/Sounds: Michael Jackson hat sich operieren lassen, damit er weißer aussieht.

Mercury: „Oh, hör auf! Übertreib nicht, Süßer!“

ME/Sounds: Ja nun. es ist wahr. Du wirst die rassistischen Einflüsse, die im amerikanischen Pop-Business am Werke sind, wohl nicht abstreiten.

Mercury: „Sicher gibt’s die, aber nicht so extrem, wie du sie darstellst. Michael Jackson weiß nun mal einfach, daß du, um in Amerika eine Nummer eins zu landen, den Querschnitt des Schallplatten-kaufenden Publikums ansprechen mußt. Weil die Black Community allein einfach nicht groß genug ist, um dir Hits zu bringen.“

ME/Sounds: Ich glaube, es war der Vorsitzende Mao, der gesagt hat: „Jede Kunst ist politisch.“

Mercury: „Gut, ja. ich habe zwar was dagegen, wenn sich die Politik in das einmischt, aber letztlich kannst du es nicht verhindern. Das ist genau das, was Elton gesagt hat: Daß die Musik und der Sport im Moment die einflußreichsten Botschafter sind. Erzähl ich eine Menge Quatsch?“

ME/Sounds: Mir ist grad ein „Rolling Stone‘-Artikel über Queen in Argentinien eingefallen, der Queen als die „erste wahrhaft faschistische Rockband“ beschrieb. Sagt dir das irgendwas?

Mercury: „Du liebe Güte, du liebe Güte. Neeein… Okay, erklär mir das. Was bedeutet das?“

ME/Sounds: Das frag ich dich.

Mercury: „Eine Menge Journalisten aus aller Welt kamen nach Argentinien, um uns in diesen Stadien spielen zu sehen. In Sao Paolo haben wir an einem Abend vor 120000 und am nächsten vor 130000 gespielt. Das war was ganz Neues für sie und was ganz Neues für uns – nicht wie in Nordamerika. So was wie Organisation gab’s nicht. Das hätte eine total unkontrollierbare Menschenmenge werden können, drum haben sie die Death Squad für die Sicherheit sorgen lassen.“

ME/Sounds: Die Death Squad?

Mercury: „Die ganz, ganz scharfe Polizei, die Leute schon umbringt, bloß weil sie einen Hut fallenlassen. Die wurden geholt, um uns zu beschützen. Wir wurden sogar in gepanzerten Fahrzeugen, die sonst bei Unruhen benutzt werden, transportiert.

Und wenn Journalisten das beobachten, wird es natürlich politisch. Die Musik hat nichts damit zu tun. Bevor wir auf die Bühne kamen, stand das ganze Militär davor, mit Bajonetten. Nur für den Fall…

In Südamerika geht’s vollkommen anders lang. Die dachten, daß es sehr, sehr politisch werden könne, wenn jemand ein derart riesiges Publikum bekommt. Sie baten mich inständig, nicht ‚Don’t Cry For Me Argentina‘ zu sagen. Sie machten sich große Sorgen, daß ich das Konzert in eine politische Kundgebung umfunktionieren könne.“

ME/Sounds: Wie fühlt man sich mitten in so einer Szene ?

Mercury: „Oh, sehr stark, sehr stark. Du fühlst dich wie der Leibhaftige. Du merkst, daß du mit all diesen Leuten einen Aufstand anzetteln könntest. Jemand anderes, mit anderer Mentalität, könnte das wirklich zu seinem politischen Vor- oder Nachteil ausnutzen.“

ME/Sounds: Was gibt es dir überhaupt, wenn du auf einer Bühne stehst – und Tausende von Leuten deinen Namen schreien ?

Mercury: „Das ist wundervoll. Da kommt’s Adrenalin. Absolut wundervoll. Du fühlst dich unglaublich stark. Aber was mich betrifft, ich gehe völlig auf in der Musik. Ich will bloß einen guten Auftritt garantieren und meinen Spaß haben. Ich denke nicht plötzlich: Jetzt hab ich all die Macht, jetzt kann ich ZERSTÖREN!‘ Da ist nichts Destruktives. Dazu bin ich ein viel zu guter Mensch.“

ME/Sounds: Denkst du. daß du all diese Bewunderung verdienst?

Mercury (lacht): „Nein, nein. Diese Art von Bewunderung macht mich ziemlich verlegen, um ehrlich zu sein. Ich will jetzt nicht als bescheiden rüberkommen, aber manchmal kommt’s mir schon komisch vor, daß mir das alles passiert.“

ME/Sounds: Gut … was kommt als nächstes?

Mercury: „Mein Solo-Projekt, an dem ich grade arbeite. Eine der aufregendsten Sachen, die mir je passiert sind. Ich hab mir das so lange aufgespart, weil ich auf den richtigen Zeitpunkt warten wollte. Ich hab das nicht gemacht, weil ich in der Band immer ganz zufrieden war, auch wenn jeder zu meinen scheint, daß wir dicke Luft im Camp haben.

Das Komische ist, daß die Konkurrenz innerhalb der Band, daß alle versuchen, ihre Songs aufs Album zu kriegen, die Spannung ist, die uns zusammenhält. Die Kämpfe und Streitereien gibt’s immer noch, wahrscheinlich mehr denn je, aber irgendeine merkwürdige chemische Reaktion hält uns kreativ und bewirkt, daß wir zusammenbleiben wollen. Vielleicht liegt’s auch daran, daß innerhalb der Band genug Raum für unsere unterschiedlichen Rollen ist. Wenn du so willst, hatten wir immer Solo-Karrieren, innerhalb der Band.“

ME/Sounds: Hmm. Ich habe gerüchteweise gehört, daß John während der Aufnahmen zum letzten Album plötzlich nach Bali verschwunden ist…

Mercury: „Ja. Er hatte die Nase voll und ist gegangen. Ich glaube, wenn man 12 oder 13 Jahre zusammen ist, ist man ständig kurz davor, auszurasten. Wir kriegen alle unsere Launen und wollen für eine Weile weg von allem …“

ME/Sounds: Worin wird sich dein Solo1 Projekt vom Queen-Konzept unterscheiden?

Mercury: „Ich glaube, der Hauptunterschied besteht darin, daß ich anfange, Sachen zu machen, die ich mich auf einem Queen-Album nie trauen würde. Auf einem Queen-Album würde ich es gar nicht wagen, Gitarre zu spielen, weil Brian dermaßen gut ist.“

ME/Sounds: Wird die Musik weniger „barock“ sein als Queen?

Mercury: „Ich weiß, was du damit meinst, das ist ganz gut ausgedrückt. Ich würde sagen, daß das barocke Queen-Image nur in einigen Stücken rüberkommt: aber richtig, das ist die Eigenschaft, die es auf meiner Platte nicht geben wird. Sie wird ’schwärzer'“

ME/Sounds: Wie wichtig ist Produzent/Ingenieur Mack bei diesem Projekt?

Mercury: „Er ist eine Perle. Er ist sehr wichtig für mich, er war sehr wichtig für die Queen-Alben, und was mein Projekt angeht, ist er ein Juwel. Wir haben gelernt, sehr instinktiv zusammenzuarbeiten. Ich arbeite sehr schnell, weil ich mich schnell langweile. Ich verliere sehr schnell das Interesse. Also muß Mack alles sehr schnell einfangen, sonst ist es verloren. Ich verliere meine Inspiration, wenn ich herumhängen und auf einen Ingenieur warten muß, der einen Sound hinbekommt.“

ME/Sounds: Du sagst, daß du gern spontan arbeitest, aber wenn du dir mal die Aufnahme-Daten von Queen-Alben anschaust, sieht die Geschichte anders aus. THE WORKS hat zum Beispiel sechs Monate gebraucht, bis es fertig war. Das klingt nicht so fürchterlich „spontan“.

Mercury: „Ja. Ha, ha, sehr gut. Du redest schon wieder über vier Mitglieder, siehst du. Oooh, ich werd mich hier in Schwierigkeiten bringen. Schau, ich hab meine Songs viel schneller zusammen als irgendeiner von den anderen. Brian nimmt sich gern viel Zeit dafür. Ich probier lieber ein paar Ideen, und -(klatscht in die Hände) dann muß entschieden werden! Brian kann ein Jahr lang am selben Song arbeiten.

Ich komme jeden Tag ins Studio und fange mit einem neuen Song an, ganz von vorn, und wenn der Tag vorbei ist, hab ich ihn zwar nicht ganz fertig, aber das Gefühl für die Gesamtstruktur. Das ist das Ziel, das ich mir im Moment gesetzt habe.“

ME/Sounds: Du meinst, du kommst kalt rein, hast keine Musik und keine Texte vorbereitet?

Mercury: „Ja. Ich schaffe jeden Tag spontan einen Song, verwende einen Tag darauf, ihn zusammenzubekommen, und wenn er am Ende des Tages nicht gut ist, schmeiß ich ihn einfach weg. Aber bis jetzt habe ich durch diese Methode schon vier oder fünf Stücke, die echt gut werden können. Ich will auf diesem Solo-Album so viele Hits, wie ich überhaupt haben kann. That’s the name of the game.“

ME/Sounds: Glaubst du, daß du für deinen Job überbezahlt wirst?

Mercury: „Tja, in diesem Spiel kann man eine Menge Geld machen. Nein, ich arbeite hart für das Geld. Niemand hat mir was geschenkt. Das wurde mir nicht auf dem Silbertablett serviert. Ich hab dafür gearbeite: Ich will nichts geschenkt haben.“

ME/Sounds: Warum ist Queen von der Presse immer so hart angefaßt worden?

Mercury: „Das fing in den allerersten Tagen an, als wir in Wirklichkeit sie bekämpft haben. Das ging bis zu dem Punkt, daß ich jeden Abend ‚fuck the press‘ gesagt habe. Das haben die natürlich mitbekommen – und so kam’s. Ich glaube, in den frühen Tagen einer Karriere ist die Presse sehr wichtig. Aber danach, wenn du auf eigenen Beinen stehst und Erfolg hast, kommt es aufs Publikum an. Wirklich.

Grad jetzt war’s mir am liebsten, wenn es überhaupt keine Presse gäbe, weil die Songs für sich sprechen. Aber wenn du einmal von der Presse profitiert hast, gibt’s kein Zurück mehr. Im großen und ganzen aber habe ich für Musikkritiker nichts übrig. Darum gebe ich auch eigentlich nie Interviews. Warum rede ich überhaupt mir dir?“