Nachruf

Françoise Hardy: Mélancholie, mon amour, pour toujours


Françoise Hardy verkörperte eine melancholische Schüchternheit, die in ihrer Kindheit wurzelte. Zaghaft, schön und entrückt wird sie der Welt in Erinnerung bleiben.

Als die Sirenen an einem Januartag 1944 gerade einen Luftangriff ankündigen, kommt Françoise Madeleine Hardy in einem Pariser Krankenhaus auf die Welt. Sie ist die uneheliche Tochter eines verheirateten Fabrikanten und außerdem größer und schlaksiger als die meisten Kinder in ihrem Alter. Nicht nur das Mädchen wächst mit den Jahren, sondern auch die Komplexe. Eine Zeitlang gedenkt Françoise, als Nonne ins Kloster zu gehen – für ein gewöhnliches Leben hält sie sich zu unansehnlich. Ihre Mutter rackert sich als Buchhalterin für die Familie ab. Weil sie in einen österreichischen Grafen verliebt ist, darf die Familie ihre Sommer auf einem adligen Anwesen inmitten wunderschöner Berge bei Innsbruck verbringen. Am meisten gefallen Françoise dort die Kinogänge – nach der großen weiten Welt auf der Leinwand habe sie sich immer gesehnt.

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Sie besteht ihr Abitur und in der Folge drängt die Mutter den allzu häufig abwesenden Vater: Das Stündlein für ein Geschenk habe geschlagen. Françoise hat die Wahl zwischen einer Gitarre und einem Radio und entscheidet sich für die Gitarre. Jacques Brel und Charles Trenet zählen zu ihren Idolen, aber auch Paul Anka. „La mer“, „Put your head on my shoulder“. Wenige Akkorde genügen, um einen anrührenden Song zu schreiben – davon ist sie selbst überrascht. Im Alter von 17 wird Françoise bei einer großen Plattenfirma vorstellig. Natürlich wird sie unter Vertrag genommen.

Ein Auftritt im französischen Fernsehen stellt 1962 die Weichen ihres jungen Lebens. Das dargebotene Chanson hört auf den Namen „Tous les garçons et les filles“. Françoise Hardy singt so zaghaft und schön und mädchenhaft und entrückt, dass sie über Nacht zum Star wird: Ein betrübtes Teenagermädchen beobachtet zärtelnde Altersgenossen bei ihren Spaziergängen. Die Pärchen plagen keine Ängste vor dem Morgen – denn sie wissen, was Liebe bedeutet. Wann aber wird ihr jemand „je t’aime“ ins Ohr hauchen?

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Die Frau mit den langen glatten Haaren wusste wohl immer, dass es kein erfülltes Leben ohne Liebe geben kann. In ihrem Umfeld würde sich die Einsamkeit breitmachen, sagte sie vor wenigen Jahren. Das machte ihr klar, welches Glück sie getroffen hatte. Nachdem Amors Pfeil einschlägt, bekommt sie den Rummel des Berühmtwerdens kaum mit. Die große Liebe ihres Lebens findet die Dreiundzwanzigjährige in dem Schauspieler und Sänger Jacques Dutronc. Ihr charakterliches Gegenstück sei er gewesen: leichtherzig und selbstbewusst. Die Beziehung hält bis zum Ende, auch wenn sie in den letzten Jahren getrennt voneinander leben. Zu stressig wäre ihr die ständige Gesellschaft ihres Mannes gewesen, sagte Hardy mit einem Lächeln im Gesicht.

Ende der Sechziger entwirft ihr Paco Rabanne ein goldenes Metallkleid, schwer wie Blei. Eine Zumutung sei die Robe gewesen – wenn auch hübsch anzusehen. Françoise Hardy schrieb gerne Lieder und nahm sie gerne auf. Das Brimborium drumherum ging ihr in weiten Teilen gegen den Strich: „Ich möchte nicht mehr als meine Melodien sein“. Gespräche mit Journalisten waren ihr zuwider, Smalltalk mit anderen Musikern überforderte sie. In ihrer Jugend hatte Françoise ein tiefes Schamgefühl verinnerlicht, weil sie ihren Vater gegenüber ganz Paris verheimlichen musste. Später litt sie vor Aufritten an derartig höllischem Lampenfieber, dass sie ihre Texte vergaß – und schließlich kaum noch die Bühne betrat. Alben veröffentlichte sie hingegen bis zum Ende, über dreißig an der Zahl.

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Vielleicht ist es dieses Verschüchterte, was vielen ihrer Chansons eine kaum zu greifende Melancholie verleiht – und der Melancholie eine Sinnlichkeit. Sie liebte Rachmaninoff und Brahms. Später wird sie einordnen: Der bewegendste Teil eines Klavierkonzerts sei nun einmal das langsame Adagio. Weil die allerschönsten Melodien stets die traurigsten seien, habe sie die Melancholie eher als etwas Funktionelles betrachtet.

Im Januar schrieb Françoise Hardy einen Brief an Emmanuel Macron. Darin ging es um Sterbehilfe und Menschenwürde. Jemanden unerträglich leiden zu lassen, sei unmenschlich. Sie selbst werde wohl bald aufbrechen.

Keinen einzigen Fehler hat sie bereut, sagte sie vor fünf Jahren. In der Jugend denke man nicht vernünftig und das sei gut so. Sie habe ein tolles Leben gelebt. Am 11. Januar 2024 ist Françoise Hardy gestorben. Mélancholie, mon amour, pour toujours.