Feldmarschall Moon


Als englischer Exzentriker erster Ordnung hatte Who-Schlagzeuger Keith Moon viele Freunde. Sein Nachbar Steve McQueen gehörte allerdings nicht dazu...

Wer jahrelangen Schlagzeugunterricht genossen oder das korrekte Bedienen von Schlaginstrumenten gar an einem Konservatorium studiert hat, der wird womöglich zu folgendem Schluss kommen: Keith Moon konnte gar nicht Schlagzeug spielen. Wer Ohren hat und die Essenz des Rock’n’Roll zumindest zu erahnen glaubt, der wird eher zu einem anderen Ergebnis kommen: Keith Moon war der originellste Rockschlagzeuger aller Zeiten. Und zwar deshalb, weil er eine Musik, die in ihren erfreulicheren Momenten mit gängigen Regeln bricht, mit einem Getrommel befeuerte, das gängige Regeln komplett ignorierte. Weil man ein Studienfach „Schlagzeugspiel nach Keith Moon“ einführen könnte, aber trotzdem nicht damit rechnen sollte, Absolventen zu finden, die wie Keith Moon klingen. Weil man Keith Moon nicht lernen, sondern nur sein kann.

Das alte Lied von Genie und Wahnsinn also, dass man auch auf Charaktere wie Syd Barrett und Klaus Kinski singen kann. Erratische Persönlichkeiten, in vielerlei Dingen grandios neben der Spur, in der Ausübung ihrer künstlerischen Tätigkeiten jedoch gerade deshalb von großer Unnachahmlichkeit. Ohne ins Laienpsychologische abzudriften: Mit technischen Fähigkeiten hat das nur eingeschränkt zu tun, mit einer Persönlichkeitsstruktur, die emotionalen Eruptionen freien Lauf lässt, umso mehr. Was zwangsläufig zu Missverständnissen führen muss, denn unkontrolliertes Benehmen ist mit dem normativen Verhaltenskodex erwachsener Menschen bekanntlich nur schwer in Einklang zu bringen.

Was macht ein Rockstar aus der Londoner Vorstadt, der nach über zehn Jahren im Geschäft all seine Träume verwirklichen kann? Er zieht ins gelobte Land, nach Kalifornien. Genauer: nach Trancas Beach, eine Autostunde vor Los Angeles am Pazifik liegend. „Die Ruhe des Wassers und die wunderbare kalifornische Küste wird Ihnen gut tun“, schwärmt das Touristenbüro noch heute: „Trancas Beach ist ein erholsamer Orf.“Das gilt heute bestimmt wieder und galt ganz gewiss auch 1977. Bis Keith Moon in der Victoria Point Road seine 350.000-Dollar-Villa bezog. Wo er einen prominenten Nachbarn vorfand: Direkt nebenan, knapp 50 Meter entfernt, residierte die Hollywood-Ikone Steve McQueen.

McQueen, auf der Höhe seines Ruhms und nahezu unnahbar, lebte zurückgezogen mit seiner zweiten Ehefrau, der Schauspielerin Ali MacGraw. Die meisten Filmangebote lehnte er ab, verlangte 50.000 Dollar dafür, ein Drehbuch überhaupt zu lesen. Ein Privatier. Er hatte sich die Haare wachsen lassen, trug einen Bart. An seinem neuen Nachbarn war er nicht im Geringsten interessiert. Für Moon, extrem gesellig und gemeinhin jedermanns bester Freund, eine äußerst ungewohnte Situation.

Doch McQueen wusste immerhin, was sich gehört. Er lud Moon mitsamt dessen schwedischer Freundin Annette Walter-Lax auf einen Begrüßungsdrink ein. Man trank Weißwein, sprach gepflegt über dies und das. Eine eher spröde Veranstaltung also, mit der McQueen vor allem ausdrücken wollte: Wenn die Nachbarschaft eine gute Nachbarschaft werden soll, dann lass uns bitte in Ruhe!

Moon wäre jedoch nicht Moon gewesen, hätte er nicht eine riesige Einweihungsparty im Sinn gehabt. Alle sollten kommen, auch seine glamourösen neuen Nachbarn. Vor allem Ali MacGraw hatte auf ihn großen Eindruck gemacht. Als er an der Haustür klingelte, um die Einladung zu überbringen, öffnete der 16 Jahre alte Chad, McQueens Sohn aus erster Ehe. Was dann genau geschah, ist nicht überliefert, jedenfalls benahm sich Moon wohl gründlich daneben. Ob er Chad Drogen anbot oder nach Drogen fragte, ist nicht ganz klar, zumindest verschaffte er sich Zutritt in McQueens heilige Hallen, geriet in

ein Handgemenge und wurde auch noch von einem Wachhund gebissen, den er im Gegenzug angeblich ebenfalls biss. Auf gute Nachbarschaft!

McQueen, der harte Junge, hätte den schmächtigen Trommler eigenhändig zerlegen können, doch es gab etwas, das er noch weniger schätzte als ungebetene Ruhestörer: Publicity. Genauer: schlechte Publicity oder gar einen Skandal. Also übergab er die Angelegenheit seinem persönlichen Berater Bill Mäher und einem befreundeten Ex-Agenten vom F.B.I. Zu Moons Glück pflegte sein Anwalt Mike Rosenfeld ein freundschaftliches Verhältnis zu Mäher, man einigte sich auf eine Aussprache bei der Justizbehörde, wo die Angelegenheit bereinigt werden sollte. Der Staatsanwalt sollte zugegen sein, der Ex-F.B.L-Mann dem Ganzen mehr Nachdruck verleihen.

In der Nacht vor dem Treffen ging Moon in Los Angeles auf Sauftour. Was schon unpassend genug gewesen wäre, wenn er dabei nicht seine Nazi-Uniform getragen hätte. Er trug sie aber: Feldmarschall Rommel, inklusive Ledermantel, Mütze, kniehohen Stiefeln und Eisernem Kreuz. Rosenfeld, der ihn am Morgen irgendwo auflas, traute seinen Augen nicht, drängte auf einen schnellen Wechsel der Garderobe. Moon, schwer mitgenommen, weigerte sich beharrlich. Als er das Büro komplett verkatert betrat, seufzten die Anwesenden kollektiv auf. Der Staatsanwalt fragte, was es mit der Uniform auf sich habe, Rosenfeld antwortete geistesgegenwärtig, sein Klient habe am Morgen einen Werbespot gedreht und keine Zeit mehr gehabt, die Kleidung zu wechseln. McQueen brach in schallendes Gelächter aus, hatte er seinen neuen Nachbarn doch schon häufiger in diesem Aufzug am Strand entlang paradieren sehen. Moon wurde unmissverständlich klargemacht, das Nachbargrundstück künftig zu meiden. Man zog eine Demarkationslinie, die auch den bislang gemeinsam genutzten Strandabschnitt teilte. Nicht auszuschließen, dass McQueen im Übertretungsfall zu drastischeren Maßnahmen greifen würde. US-Gerichte räumen Bürgern gemeinhin das Recht ein, ihren Besitz notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Die Einschüchterungstaktik funktionierte. Keith Moon hielt sich fortan an die Abmachung.

Seine Einweihungsparty geriet trotz allem zu einem vollen Erfolg, und den martialischen Wüstenfuchs-Look kultivierte er sogar noch weiter. Bei einem Autohändler in Los Angeles entdeckte Moon einen 40.000 Dollar teuren Excalibur SS, das Remake eines offenen Mercedes-Sportwagens aus den dreißiger Jahren. Das perfekte Vehikel, um als Feldmarschall Rommel die kalifornischen Strandboulevards unsicher zu machen.

War Keith Moon verrückt? Ein Psychologe attestierte ihm zwar angeblich ein Borderline-Syndrom, doch handfeste Fakten für eine Geisteskrankheit liegen nicht vor. Auch wenn Tony Fletcher in seiner lesenswerten Moon-Biografie „Dear Boy“ davon berichtet, dass Moon seinem Seelendoktor gebeichtet haben soll, eigentlich nur die Befehle eines imaginären indischen Ehepaares namens Singh zu befolgen – ob Moon die Wahrheit sprach oder den Mann einfach nur verarscht hat, ist ungewiss. Worunter Moon zweifelsfrei litt, nennt sich Hyperaktivität. Die durch den Konsum gigantischer Mengen Speed und Alkohol zusätzlich befeuert wurde.

Für die Presse waren Moons Eskapaden stets ein gefundenes Fressen, dass sein – vornehm ausgedrückt – Hang zur Exzentrik katastrophale Folgen für sein Privatleben hatte, blieb dabei meist unerwähnt. Seine erste Ehefrau Kim etwa suchte mitsamt Tochter bei lan McLagan Unterschlupf. Zwar auch ein Rockmusiker, damals bei den Faces, aber keiner, der eine leere Champagnerflasche mit solcher Wucht gegen eine Gipswand wirft, dass sie darin stecken bleibt. Und der dann einen barocken Rahmen darum hängt, das Ganze zum Kunstwerk erklärt und sich stolz davor ablichten lässt.

Moon,vom jahrelangen Exzess zerrüttet, zog schließlich selbst die Notbremse. Und ließ sich ein Medikament zur Bekämpfung seiner Alkoholsucht verschreiben: Heminevrin, ein Substitut, das die Lust auf Alkohol dämpfen und bei sachgemäßer Einnahme den Entzug erleichtern sollte. Dass er dennoch weitertrank, war lebensgefährlich. Dass er die Heminevrin-Dosis am 7. September 1978 versehentlich vervielfachte, ein Unfall. Dass er in der folgenden Nacht im Alter von 32 Jahren an Herzversagen starb, die traurige Konsequenz.

»>www.keithmoon.co.uk