Es fügt sich
Geduld -Das Gegenteil von Rock'n'Roll? Dann sind The Notwist keine Rock'n'Roll Band. Denn sie warten einfach, bis sich der Pop doch noch ein Stück nach vorne bewegt. Mit Erfolg.
Mit dieser Band zu sprechen, gilt als erklärtes Nichtvergnügen. Die sind schwierig. Heißt es. Es ist auch kein Vergnügen. Es ist Arbeit. Aber es gibt einen guten Grund, warum das nicht so locker läuft mit den Ex und Immer-wieder-Weilheimern: Martin Gretschmann, Markus und Micha Acher sehen offenkundig keine Notwendigkeit, sich und ihre Band zu erklären. Das macht sie schwierig. Für Journalisten. Für ihre Plattenfirma. Für den ganzen Popbetrieb. Der möchte Typen haben, Sprüche, Mythen. Lügen. Kriegt er alles nicht von The Notwist. The Notwist sind eine sture, lakonische und wahrhaftige Band. In etwa die letzte große aufrechte Independentkapelle zwischen hier und The Fall. Die machen sich nicht mal eben locker.
„Warum hat das wieder so lange gedauert?“ Jeder wird sie das fragen. Und The Notwist werden jedem ein paar gute Gründe nennen für das Vergehen dieser halben Ewigkeit bis zum Erscheinen ihrer neuen, sechsten Platte. Gründe, die aber dennoch keiner richtig verstehen kann, der nicht selbst Mitglied dieser eingeschworenen Band ist – oder wenigstens irgendein (Ex-)Projektteilnehmer im riesigen Kosmos um den alten Fixstern Weilheim. Auf der anderen Seite stehen im folgenden Text nicht von ungefähr ausführliche Interviewprotokolle. Was für die Musik von The Notwist gilt, gilt mit Abstrichen auch für ein Interview mit dieser Gruppe: Wer Geduld und Aufmerksamkeit investiert, bekommt etwas zurück, was von großer Liebe und Leidenschaft zur Musik zeugt. Zum Pop.
1, AUFNEHMEN
Martin Gretschmann: (zuckt fast unmerklich mit den Schultern) Das dauert halt einfach immer so lang. Wobei ich prophezeit habe, dass es diesmal noch ein bisschen länger dauert als beim letzten Mal. Das wollten wir aber nicht so richtig wahrhaben…
Markus Acher: Jeder komponiert und bringt Sachen ein. Ich mache die Gitarre und Texte und Gesang, weshalb der letzte Schritt meist bei mir liegt. Das entscheidet, was ein Notwist-Stück wird und was nicht. Wenn ich es nicht schaffe, eine Melodie zu finden oder Akkorde, die Improvisation zu einem Stück zu machen, funktioniert es nicht.
Micha: Insgesamt haben wir uns zwei Jahre mit der Platte beschäftigt, reine Studiotage waren es 110 in unserem eigenen Studio, dem Alien Research, einer Halle in Weilheim, die wir gemietet haben. Das war entspannter, weil man nicht mehrere Räume hatte und man auch nicht immer alles wieder neu verkabeln musste.
markus: Es veränderte die Arbeitsweise. Es wurde sehr viel mehr mit allen in einem Raum gearbeitet. Man konnte nicht aus. Wenn man was ausprobieren wollte, musste es zur laufenden Musik ausprobiert werden – und man konnte gleich hören, was es ist. So war es oft viel unmittelbarer, schneller und ein bisschen spontaner. Wir haben Songs auch eher als Stücke arrangiert, anders als bei Neon golden, wo doch so sehr kleinteilig, mikroskopisch gearbeitet wurde. Bei The devil, you + me ist man nicht vom Kleinen ins Große gegangen, sondern eher umgekehrt.
micha: Trotzdem passiert das ständig, dass man den Überblick verliert. Also dass man sich in etwas verrennt, was man nach sechs Monaten dann komplett wegschmeißt.
martin: Was ich z. B. am Anfang für die Platte fabriziert habe, hat sich sehr von dem unterschieden, was ich dann tatsächlich beigetragen habe. Zum Teil ging es mir so, dass so viel aufgenommen und wieder weggeworfen wurde, dass ich am Ende gar nicht mehr nachvollziehen konnte, von wem was stammt.
markus: Auch Olaf (Opal; der Produzent-Anm. d. Red.) spielt eine sehr wichtige Rolle, weil er total experimentierfreudig ist. Andererseits ist er sehr gut darin, sich auf den Song zu konzentrieren, damit das nicht zu sehr ausufert. Notwist ist die extremste Band bezüglich Zeit und Aufwand – bei keiner anderen Band, bei der ich mitspiele, ist das so. Das ginge auch nicht. Man hätte da nicht das Geld, so lange aufzunehmen. Ich meine, bei Notwist haben wir es auch nicht… (Gelächter) Es ist einfach eine andere Arbeitsweise, da passiert so viel im Studio und so viel auf dem Weg. Wir sind aber nicht so, obwohl es vielleicht den Anschein hat, dass wir kein Ende kennen. Wir arbeiten immer auf ein Ziel hin. Und es kommt der Punkt, wo wir wissen: Jetzt haben wir alles für ein Stück. Und: Jetzt haben wir genug Stücke für die Platte.
martin: Wenn es nicht fertig ist, ist es nicht fertig. Bei Notwist war das schon immer so. Und da kann man nix dran ändern.
Über sechs Jahre hat es auf diese Art und Arbeitsweise seit ihrem Kritiker-und Publikumserfolg Neon golden gedauert,bis the devil, you + me am 2. Mai 2008 endlich veröffentlicht wird. Die Erwartungen sind riesig, und devil … wird möglicherweise Probleme bekommen, ihnen gerecht zu werden, weil sich Deutschlands international wichtigste Independentkapelle mit und auf ihr ein Stück in sich selbst zurückzieht. Weil devil … nichts an The Notwist neu erfindet. Weil das Album nach dem ersten Eindruck gut und gerne auch ein, zwei Jahre nach neon golden hätte erscheinen können.
2. TEXTEN
markus: Es sind wichtige Sachen passiert, die dafür gesorgt haben, dass die Platte klingt, wie sie klingt. 13 & God und alle anderen Platten, die wir dazwischen gemacht haben. Aber auch viele persönliche Dinge – die sich auch im Leben von Freunden zugetragen haben. Man wird ja älter, und da schmuggeln sich immer mehr Krankheit und Tod ins eigene Leben. Diese haben auf devil … viel Platz eingenommen. Das machte die Platte schwieriger, machte es für mich schwieriger, bestimmten Sachen auch gerecht zu werden, ihnen nahe zu kommen, sie nicht wegzudrängen. Ich finde Texte sowieso unglaublich wichtig. Und hierfür war die Zusammenarbeit mit Adam „Doseone“ Drucker (Sänger von Themselves -Anm. d. Red.) bei 13& God sehr wertvoll. Ihn faszinierte, wie jemand, der nicht englisch kommuniziert, englische Texte schreibt – die Brüche, die Fehler, die dabei entstehen. Das war etwas, womit ich mich befassen musste, um von der unbewussten Entscheidung, englisch zu singen, zu einer bewussten zu gelangen. Mir wurde wichtig, dieses Ungelenke beizubehalten und vielleicht sogar ein wenig zu kultivieren, dass der Fehler stehen bleibt und einem andere Deutungsmöglichkeiten bietet.
„Indietronics“ war 2002 ein kleines, einigermaßen heißes Ding. Ein wenigstens nicht zu verzweifelter Versuch, dem in berechenbaren Zyklen nur noch vor sich revivalenden Pop vielleicht doch noch einen neuen Trend abzuringen. Und neon golden war die beste Platte, auf die diese Beschreibung, „Indietronics“ (unter Ignorierung ihrer vielen anderen Qualitäten allerdings) zutraf. Zudem war das rote Schatzkästlein mit dem ominösen schwarzen Ring das erste Notwist-Album, auf das richtigviele Menschen gewartet hatten. Die, die schon früher mit dabei waren (und die fast vollständige Abkehr vom Gitarrenrock, die shrink markiert hatte, mitgetragen haben). Und jene, die erst in den letzten Monaten und Jahren über The Notwist und die vielen anderen Namen und Platten gestolpert waren: Console, Lali Puna, Tied & Tickled Trio… Sie wollten diesmal alle im richtigen Moment mit dabei sein.
In der Zwischenzeit, seit neon golden, wurde in Großbritannien der Postpunk noch einmal durchverhandelt und „Indie“ ein Saisonthema für H & M. Elektronische Musik verschwand. Und tauchte wieder auf. „Indietronics“ kennt allerdings kein Mensch mehr. Sechs Jahre sind auf jeden Fall genug, um The Notwist mit anderen Augen zu sehen. Wer das mit oberflächlichem Blick tut, wird zu dem Schluss kommen: The Notwist sind eine ziemlich altmodische Band. Keine Spur von Web-2.o-Fanbindung, ein ziemlicher Ausfall in Sachen Selbstdarstellung und Selbstvisualisierung, keine Idee von Style über den von Sebadoh ca. 1994 hinaus. Immer nur die olle Musik…
3. REDEN
micha: Wir haben ein eigenes Vokabular gefunden, übers Musikmachen zu reden – in den 20 Jahren, in denen wir zusammen Musik machen (deutet auf seinen Bruder). Oder wir so (deutet auf Martin)… auch schon Ewigkeiten. Oder auch mit dem Olaf. Da kann man irgendein komisches Wort sagen, und der weiß genau, was man meint.
martin : Es bildet sich vor allem auch über das Beispiel anderer Musik ein Vokabular heran …
markus: In den meisten Fällen aber eher im Negativen, (lacht) Das Meiste funktioniert über Abgrenzung: „Das ist mir jetzt echt zu punkt-punkt-punkt-mäßig!“ Ich glaube, es ist gerade dann gut, wenn man nicht mehr sagen kann, das klingt wie… Dazu muss nicht viel gesagt werden – nur vielleicht erinnert: The Notwist begreifen sich als Opposition, im künstlerischen Sinne. Die Reproduktion vorhandener Musik, Sounds und Produktionsmethoden ist ihnen ein Gräuel. Fast eine Angst scheint die drei zu beherrschen, bloß nicht zu konventionell vorzugehen. Das mag ihre hochkomplexe, experimentelle, auch umständliche Arbeitsweise erklären. Das mag bemüht, akademisch oder vielleicht auch unverbesserlich punkig wirken. „Die anderen Bands“ wurden auf dem DDR-Jugendradiosender DT 64 die alternativen Acts genannt, die Ende der 80er dort vermehrt gespielt wurden. The Notwist tun bis heute alles dafür, eine „andere Band“ zu sein.
4. HÖREN
markus : Ich höre unglaublich viel Musik, wenn wir im Studio sind. Auch, um den Kopf frei zu kriegen. Was ich dabei zuletzt superinspirierend fand, war vieles, was es in Amerika jetzt wieder gibt – angefangen von den folkigen, hippiemäßigen Sachen bis hin zu den Bands, die alles mischen, wie Animal Collective, Department Of Eagles… Grizzly Bear ist genial. Extrem inspirierend, gerade darin, irgendwie anders zu denken bei der Umsetzung von Stücken. Dann gab es auch viel Altes, Dub und Reggae, die ich mir immer noch sehr gerne anhöre. Wie da Popmusik gemacht wird, auf dieser monotonen rhythmischen Basis: Das finde ich immer noch das Beste. Dieses grundsätzliche Prinzip der ganzen 70er-Jahre-Jamaika-Sachen haben wir immer wieder umzusetzen versucht. Dass es verschiedene Ebenen gibt, die man für sich allein hören könnte. Und dass aber der Song für sich ein Pop- oder Folkstück ist, das man auch allein mit der Akustikgitarre spielen könnte. martin : Ich höre nicht so viel Musik wie die beiden. Ich habe nur begrenzte Aufnahmemöglichkeiten. Dubstep habe ich in den letzten ein, zwei Jahren viel gehört. Und nach wie vor ganz viel alten Kram. Ich finde da die Klangästhetik so unglaublich gut – bei Aufnahmen aus den 20er- oder 30er-Jahren. Wenn ich irgendwo was finde, was ganz alt ist – egal ob es aus China, Amerika oder Afrika kommt -, muss ich zuschlagen. Das ist so unglaublich reduziert, da stehe ich drauf. Und natürlich höre ich nebenbei ganz viel Techno, weil ich auch auflege. Das Prinzip The Notwist ist gefährdet. Zwei Jahre an einer Platte arbeiten. Es mit grenzenloser Geduld immer weiter versuchen, die Dinge gestalten, umgestalten und wieder verwerfen, bis es sich fügt. Nichts erzwingen. Und dann der Leistungsgesellschaft Pop gegenübertreten mit verhuschten Gesten, schüchtern, ohne Pose oder Vermarktungsidee. Bei Blitzlicht blinzeln. Nicht mal eine Hitsingle im Gepäck. Das ist Luxus. Das geht so nicht. Mehr lange gut.
5. VERÖFFENTLICHEN
markus: Wir müssen uns mit der Situation der Tonträgerindustrie auseinandersetzen, weil unsere Platte genau in so einer Umbruchphase herauskommt. Wir haben aber bislang noch keine großen Konsequenzen daraus gezogen. Außer dass wir uns entschieden haben, eine besonders schöne CD zu produzieren, in einer begrenzten Auflage – so viel wir uns eben leisten können. Unsere Chance und die der ganzen Musikindustrie ist es, Alternativen am Leben zu erhalten. Das bringt niemandem was, wenn es Stücke nur noch bei einem Anbieter herunterzuladen gibt, der letztlich bestimmt, was er nimmt und was nicht. Das ist für eine Band unglaublich wichtig, da in alle möglichen Richtungen zu denken, statt dem Trend noch zuzuarbeiten, in dem man spezielle Mixe hergibt, um bei Amazon oder iTunes auf der Startseite zu stehen. Dass Radiohead ihr Album für einen frei wählbaren Preis zum Download freigegeben haben, war ein genialer Coup – um auf die Problematik hinzuweisen. Aber auch die können das kein zweites Mal machen. Das ist auf jeden Fall nicht die Lösung für die Zukunft, mit dem Problem umzugehen, dass Musik digitale Daten sind, die beliebig reproduzierbar sind – und damit eigentlich wertlos.
S . FLÜCHTEN
markus: Ich singe auf der Platte an manchen Stellen eine Art desillusionierten Gospel und habe dafür auch Folk- und Gospelphrasen verwendet. Allerdings habe ich versucht, sie für unsere Welt, wie wir leben, umzubauen. Wie bei „Where In This World“. Da gibt es dieses Stück: „Where Could I Go But To The Lord“… ich glaube von Blind Willie Johnson, da geht es um Gott. Doch mein Text handelt von Eskapismus heute. Darüber, dass man nur noch über Drähte nach draußen kommt – Internet und Fernsehen, dass dies im Grunde genommen aber gar keine Fluchtmöglichkeiten sind. >»www.thenotwist.com >»Albumkritik auf Seite80