Emmylou Harris: Weiß & weise


Trio, Gram Parsons Tribute und nun Western Wall - Emmylou Harris ist derzeit produktiv wie selten zuvor

Western Wall hast Du zusammen mit Linda Ronstadt aufgenommen. Was war Dein Part, was brachte Linda ein?

Für die Songauswahl war in erster Linie ich verantwortlich. Darin bin ich ganz gut, ich bin halt eine echte Song-Sammlerin, und ich liebe das. Lindas Einfluß war vor allem im Studio spürbar. Sie hat ein sehr gutes Gefühl dafür, welche Songs zu uns passen, und sie hat tolle Ideen für die Arrangements und Gesangssätze.

Das Cover zeigt Euch in hübschen weißen Engelskleidern, ähnlich schön ist auch das Sounddesign – manche Kritiker monieren, daß alles viel zu schön, zu clean klingt. Was antwortest Du denen?

Zu schön? Wie kann etwas zu schön sein?

Vielleicht sollten die sich besser ein Mötley Crüe-Album kaufen? Wir sind keine Rock’n’Roller. Uns geht es einzig und allein um die Songs. Wir glauben an die Poesie der Texte, an die Songwriter und ihre Lieder. Und wer genau hinhört, wird auch ein paar rauhe Kanten entdecken, denn alle Musiker spielen auf diesem Album live. Der Gesang ist ebenfalls live. Wir haben alles naturbelassen, auch wenn es ‚zu schön‘ klingt. Es ist halt nicht Musik für jeden. In den Credits zu „Western Wall“ taucht Deine Tochter Meghann Ahern als Produktions-Assistentin auf. Will sie auch ins Musikbusiness?

Sie macht viele verschiedene Dinge und ist auch eine exzellente Songwriterin. Beinahe hätten wir einen ihrer Songs aufgenommen. Aber er paßte nicht so recht auf die Platte.

Du klingst wie eine sehr stolze Mutter.

Natürlich. Ich bin sicher, Meghann wird sich durchsetzen. Sie hat zudem einige Erfahrung als Toningenieurin und weiß mittlerweile eine ganze Menge über das Business.

Du warst in den letzten 18 Monaten ziemlich fleißig: erst das „Spyboy“-Album, dann „Trio“, dann das Gram Parsons-Tribute, nun „Western Wall“ – das ist reichlich viel. Wie kommt’s?

Ich habe ein Jahr Urlaub gemacht.

Wann, bitte, das?

Ich mach‘ natürlich Witze (lacht). Damals habe ich gesagt, ich will ein Jahr Pause machen. Und knapp zwei Jahre später hatte ich vier Alben draußen. Ehrlich gesagt habe ich keine blasse Ahnung, wie das passieren konnte.

Laß uns über „The Return Of The Grievous Angel“, das Gram Parsons Tribute, sprechen. Du hast diese Platte coproduziert. Glaubst Du, Gram wäre stolz auf dieses Album gewesen?

Als wir daran arbeiteten, hatte ich meine Zweifel. Tribute-Alben sind ja eine sehr seltsame Sache. Alles ging sehr langsam voran, und ich war mir nicht sicher, ob es funktionieren würde. Als ich es dann zum ersten Mal komplett hörte, war ich so erleichtert und dankbar, denn jeder Beteiligte hat so unendlich viel Herz in dieses Album gesteckt.

Gibt es für Dich einen persönlichen Favoriten auf dem Album?

Nicht wirklich. Aber es gibt einen Track, der mich im positiven Sinne verblüfft und überrascht hat. Das ist „Ooh Las Vegas“ in der Version der Cowboy Junkies. Ich hätte im Leben nicht mit dem gerechnet, was sie aus diesem Song gemacht haben. Als ich es dann hörte, war ich sprachlos vor lauter Freude-es ist ganz wundervoll.

Was für ein Gefühl war es für Dich zu entdecken, daß junge Bands wie Whiskeytown und Wilco von Gram Parsons beeinflußt sind und seine musikalischen Ideen übernommen haben?

Das ist sehr befriedigend. Als Gram 1973 starb, dachte ich, jeder müßte ihn und seine Musik genauso lieben wie ich. Ich habe dann meine eigene Karriere begonnen und gemerkt,daß ich mit meiner Meinung über Gram ziemlich allein dastand. Seine Ideen haben im etablierten Nashville niemanden interessiert. Umso schöner, daß eine neue Generation sich jetzt sehr deutlich auf Grams Arbeit bezieht.