Eltern ärgern für Fortgeschrittene


Pink Floyd The Piper At The Gates Of Dawn

Omar: Ein Klassiker. Unser Tour-Manager kennt nur die Pink Floyd von heute und kam neulich rein, als wir uns den originalen Mono-Mix dieser Platte angehört haben. Er hat gemeint: „Was zur HÖLLE ist das denn?“ Die Originalbesetzung mit Syd Barret hat so viele Leute beeinflußt und ist nie entsprechend gewürdigt worden. Die Platte hat Sonic Youth beeinflußt, Radiohead … Cedric: Blur sogar. Omar: Die hatten Popsongs, abgedrehte Improvisationen und elektronische Störfrequenzen. Ein „Fuck You“ an alle Puristen. Eine tolle Platte, wenn man in ein Parallel-Universum entfliehen will. Sehr reif und trotzdem sehr kindlich. Absurd auch. Und die Jungs von Braniac haben sich das sicher auch angehört.

Brainiac Electro-Shock For President (EP)

Cedric: Ohne diese Platte hätten viele der aktuellen Bands niemals so einen Elektronikwahn-Schrägstrich-New-Wave-Einfluß.

The Bravery haben also Brainiac gehört?

Cedric: Die kenne ich nicht. Aber fast jede Band steht in Brainiacs Schuld: The Blood Brothers, The Locust, At The Drive-ln. Auch The Faint haben denen viel zu verdanken und hätten sicher keine Angst, das auch zuzugeben. Niemand kann ja je behaupten, der allererste bei irgendetwas gewesen zu sein. Wir sind auch nicht die ersten, die solche Musik machen, wie wir sie machen. Brainiac waren jedenfalls die ersten, die wieder so ein Devo-Element hatten – wenn auch noch nicht ganz so plakativ: absurde Vocals, schwere Synthies, Samples von Hunden und Zügen … Die ganzen elektronischen Sachen auf der EP wurden von Steve Albini und Jim O’Rourke gemacht. Brainiac haben nur drei Platten aufgenommen, weil der Sänger leider sein Leben in einem zermalmtem Auto gelassen hat. Das ist jetzt so ein düsteres Geheimnis, das man entdecken kann.

Public Image Ltd. – The Flowers Of Romance

cedric: Das ist die wahre Verkörperung von Punkrock. Es ist sehr inspirierend, daß Johnny „Rotten“ nicht einfach Sex Pistols, Teil 2 gemacht hat. Davon kann man einiges lernen. Überhaupt sollte man sich mal ein paar PIL-Platten wirklich anhören und das nicht immer nur nachmachen. So viele Leute klauen einfach vom ersten Album. Jeder kann schließlich einen Disco-Beat spielen, sich eine Electro-Clash-Frisur schneiden lassen und dann versuchen, Journalisten davon zu überzeugen, daß das der neue heiße Scheiß ist. So ein Quatsch.

Es gibt ja einen Grund, weshalb Johnny Rotten damals beschlossen hat, Disco zu machen: Es war zu der Zeit das Uncoolste, was man sich vorstellen konnte. Aber er hat gewußt, wann er aufhören muß. Er hat sich entwickelt. Und The Flowers Of Romance zeugt davon. Ich würde mir wünschen, daß endlich ein paar dieser Scheiß- New-York-Bands von dieser Platte beeinflußt wären. Das ist der Sound einer wirklich düsteren Band.

Butthole Surfers – Rembrandt Pussyhorse

Cedric: Die amerikanische Antwort auf The Flowers Of Romance. Sowas kommt dabei raus, wenn man in Texas lebt. Das war eine wirklich beängstigende Band, mit der du deine Eltern richtig ärgern konntest. Die waren ganz anders unterwegs. Die haben alle Scheiß-Grenzen überschritten, die den Punk damals eingeengt haben. Hör dir mal „Mark Says Alright“ an -Gibby Haynes klingt, als ob er ein zehn Meter großer Tyrannosaurus Rex wäre. Sowas hab ich noch nie gehört. Omar: Diese Band war gefahrlich. Cedric: Genau. Wenn es die nicht gegeben hätte, könnte heute auch nicht der Sänger der Stone Temple Pilots so tun, als ob er erfunden hätte, in ein Megaphon zu singen. Ich mag speziell dieses Album, weil ich viele lustige Erinnerungen daran hab, wie mich ein paar meiner besten Freunde gebeten haben, das auszumachen. Sie haben es nicht mehr ertragen.

Orchestra Harlow – Electric Harlow

Omar: Die haben während der Hardcore-Salsa-Bewegung in den 70ern ein paar Platten gemacht. I Ich hab dieses Werk ausgesucht, weil hier auch elektronische Klänge zum Einsatz kommen. Das gab es im Salsa damals noch kaum. Außerdem sind keine Balladen drauf und auch das war 1972 eine Seltenheit – nur Hardcore-Jams mit ein paar seiner besten Klavier- und Electro-Soli.

Wie bist du darauf gestoßen?

Cedric: Omar kommt aus Puerto Rico. Da ist das normal. Ein Pole wächst ja auch mit Polka auf. Omar: Du entkommst dem gar nicht. Wegen dieses Albums hab ich Gitarre gelernt. Eine tolle Platte für Leute, die wissen wollen, wie sich Salsa wirklich anhört. Das hat nichts mit dem Scheiß zu tun, der in Restaurants oder Fahrstühlen läuft.

Mit der sogenannten Weltmusik.

Cedric: Weltmusik ist ein Ausdruck wie New Wave: Das haben lournalisten für Musik erfunden, die in keine Schublade gepaßt hat. Weltmusik klingt für mich nach einem Fettwanst mit Scheiß-Birkenstock-Sandalen, der 25 Dollar für eine Import-CD zahlt. Und der dann denkt, daß er das reinste Afrika erstanden hat. Weltmusik ist der schlimmste Name aller Zeiten. So schlimm wie Emo und Hardcore. Mit allem Respekt vor Peter Gabriel – nicht jeder hat seinen Lifestyle und seine finanziellen Möglichkeiten. Weltmusik steht nicht für Shantytown-Musik, es steht nicht für den Dreck unter den Fingernägeln der Armen, die es in Afrika gibt. Wenn du Weltmusik sagst, hast du sofort den Menschen vor Augen, der sich das anhört. Und so viele großartige Alben fallen durch das Raster. Manche Leute bezeichnen ja auch Fela Kuti als Weltmusik – für mich ist das Punkrock.

Can – Monster Movie

Cedric: Jeder, der es intellektuell verkraften kann, sollte Can hören. Sonst weiß man nichts über seine Wurzeln. Musiker, die das hier lesen und Can noch nie gehört haben, wissen gar nicht, daß sie einer Tradition angehören, die Can beinhaltet. Alle Straßen führen zu Can. Omar: Holger Czukay war neulich bei unserem Auftritt im Publikum. Es hat ihm gut gefallen und es war schön, nach der Show mit ihm zu plaudern. Wir empfehlen diese Platte, weil sie ein guter Ausgangspunkt ist. Sie haben ja so viele tolle Platten gemacht.

Herme Hancock – Sextant

Omar: 1972. Hancocks Antwort auf Miles Davis‘ bitches brew. Cedric: Sogar das Albumcover sieht so ähnlich aus. Omar: Eine unfaßbar intensive Platte. Mit den elektronischen Passagen und dem harten Beat im zweiten Lied dringt die in Bereiche vor, in die sich Bitches Brew nicht gewagt hat. Wenn man das ganze frühe Bebop-Zeug schon hat, sollte man sich unbedingt das mal anhören. Später wurden seine Sachen ja total elektronisch, aber das hier steht dazwischen. Er hat experimentiert und beschlossen, daß elektronische Instrumente nicht nur Spielzeug waren.

Viele Leute finden sowas anstrengend.

Cedric: Klar. Was sich für manche Leute experimentell anhört, ist für uns aber ganz normal. Die Platte klingt einfach, wie wenn sich der Mensch, die Maschinen und akustische Instrumente die Hand geben.

Throbbing Gristle – 20 Jazz Funk Greats

Apropos anstrengend… Cedric: Ja. Wenn dumal wirklich deine Eltern zum Wahnsinn bringen willst, ist das sehr effektiv. Ihre Musik war der Zeit weit voraus. Das waren Zeitgenossen von Kraftwerk, haben aber nicht nur mit Elektronik sondern auch mit Lärm experimentiert. Vieles bezeichnet man heute als Industrial. Für mich ist das aber nur beängstigende Wahnsinns-Musik. Wir haben die Platte neulich angehört und haben dabei einen Scheißfilm mit Tom Hanks gesehen. „The Green Mile“. Eigentlich eine Katastrophe. Aber ohne Ton und mit Throbbing Gristle wurde ein hammermäßig guter Film daraus. Uns hat diese Musik schon immer begleitet. Als wir unser letztes Album aufgenommen haben, hat (Throbbing-Gristle-Sänger) Genesis P. Orridge bei uns gewohnt. Das halbe Haus ist abgebrannt und vieles deutet daraufhin, daß Genesis der Schuldige war. Haha! Ich sehe da übrigens keine Gemeinsamkeiten mit zum Beispiel Nine Inch Nails. Das ist modischer Krimskrams dagegen. Alle möglichen Leute beanspruchen ja für sich, mit dem Teufel per Du zu sein. Throbbing Gristle ist der Teufel.

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