Elon, hast du Spiele auf deim Handy? – Paulas Social-Media-Karriere im Überblick
Elon Musk verleibt sich jetzt also Twitter ein wie so ein Wessi ein Leipziger Wohnhaus. Viele reagieren zynisch, es wäre ja eh alles Scheiße im Internet und zwar schon immer gewesen. Doch Paula Irmschler erinnert sich an die guten Seiten von Social Media (✝︎).
Ich glaube, das erste soziale Netzwerk, in dem ich mich herumtrieb, war der VIVA-Teletext. Da gab es nämlich Chatseiten und eigentlich war das schon ein bisschen so wie Twitter. Es gab schon so eine Art Feed, was anders war als in den damals gängigen Foren oder auf den Chatportalen. Man konnte die Leute aber natürlich nicht verlinken, nicht direkt antworten, nichts teilen oder Benachrichtigungen bekommen, man musste die ganze Zeit drauf starren für eine Interaktion. Es gab eine Dating-Teletextseite, eine zum „normal“ Quatschen, eine für Tokio Hotel und eine für die restliche Musik, da war ich dann drinne (wahrscheinlich war alles anders als ich es jetzt erinnere). Ich war nur passiv dabei, weil wie sollte man sich denn die 19 Cent pro SMS leisten können, um dort im Teletext aufzutauchen? Ich hatte den Chat manchmal „auf halb“, das war die TV-Einstellung wo man auf dem Bildschirm links die Musikvideos und „Interaktiv“ glotzen konnte und in der rechten Hälfte dann eben den Teletext. Bisschen traurig, wenn man heute so drüber nachdenkt. Aber ich hatte kein Internet und auch nicht wirklich Freunde, es war Anfang der 2000er. Trotzdem wurden mir als heimliche Beobachterin mit der Zeit einige Nutzer*innen sympathisch, einige teilten Musiktipps oder packten aus über ihre Beziehungen, es gab Gefühle und so weiter, keine politischen Streitigkeiten (wie gesagt: 19 Cent/SMS), dazwischen gab es natürlich auch die üblichen Typis mit ihrem Rumgeschwänzele. Die waren echt überall.
Dann passierte zumindest bei mir einige Jahre wenig, ich versuchte mich im Schul-Computerraum am Chatten, irgendwann hatte Mutti einen Computer, an den wir mal paar Minuten die Woche ran durften und meine Erfahrungen mit anderen Leuten im Internet waren dann eigentlich nur die Rumschwänzel-Typen und Mobbing von fremden und bekannten Leuten. So verpasste ich ICQ, AOL, Knuddels, schülerVZ, MySpace, tumblr, … ich wusste, da war irgendwas los, aber von den meisten Sachen erfuhr ich erst im Nachhinein.
2009 dann der erste eigene Mini-Laptop und ab zu studiVZ und da rein in die schönen Gruppen. Oasis-Gruppe, Radiohead-Gruppe, Tocotronic-Gruppe, „How I Met Your Mother“ – Gruppe, dann all die „lustigen“ Gruppen, in denen man nur der Namen wegen drin war („Nudeln machen ist auch kochen“), dann die „coolen“ Gruppen, die das eigene Profil aufwerten sollten („Ich glühe härter vor, als Du Party machst“, haha, saufen…). Man musste sie kuratieren… „Schöne Gruppen“ hieß es dann stets in der ersten Nachricht, die einem eine fremde Person schrieb und woraufhin man sich dann anflirtete oder eben einfach Freunde wurde.
Denn: JA. Man konnte einfach EN PASSANT plötzlich Freunde finden, ohne es allzu stark zu forcieren, ohne – damals galt es noch als megapeinlo – eine Kontaktanzeige aufzugeben, auch wenn man eben genau so einsam war wie die Leute, die eben Kontaktanzeigen aufgaben. Das Auftauchen dieser Art von sozialen Medien war einfach nur fantastisch. Man hatte ein Profil, das man sich einrichten konnte wie man wollte, also im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten und wenn man endlich eine Internet-Flatrate hatte, hat es einfach nichts weiter gekostet. Plötzlich waren all diese Menschen da. Wo wart ihr mein Leben lang? Ach, da! Gleichgesinnte… Auch wenn das nur bedeutete, dass man die gleiche Band hörte oder Serie sah oder über den gleichen Käse lachte. Dann entdeckte man eine zweite Gemeinsamkeit und schon verkroch man sich in einen gemeinsamen Chat… Süß war das. Und hier und da natürlich auch die ersten Male desillusionierend, wenn die Person dann doch irgendwann ganz anders war als reinprojiziert, wenn man verarscht wurde und natürlich geghostet, auch wenn es das Wort damals noch nicht gab.
Naja und dann wurde eben alles kaputtgemacht. Alle gingen zu Facebook, was okay war und für mich immer noch als Plattform einigermaßen funktioniert. Aber auf Facebook wurde es eben schnell größer, fieser, politischer – und ALLE waren irgendwann da. Die Grenzen zwischen Online und Echt verschwammen zunehmend, heute kann ich teilweise kaum noch sagen, wen ich von meinen Freunden zuerst auf Facebook oder im real life getroffen habe. Die Welt wurde kleiner, alle haben miteinander zu tun, alle kennen sich über wenige Ecken, das wurde bei Facebook augenscheinlich. Ich fand das immer spitze und mit der Einsamkeit war es endgültig aus. Außerdem konnte man es super als Schreibplattform nutzen, viele Leute bekamen eine Möglichkeit, sich zu äußern, die sie zuvor nicht hatten, man konnte sozusagen verbreitet werden, etwas, das bei „Studi“ nicht möglich war. StudiVZ vegetierte seit Facebook also nur noch vor sich hin, entwickelte sich nicht weiter, war schnell pleite. Letztens hat es sich einfach sang- und klanglos verabschiedet, ich hätte gern eine Warnung gehabt, um noch mal reinzugucken. Ich bin nicht sauer, Lea (VZ-Moderatorin), nur enttäuscht. Nee, stimmt nicht, ich bin wirklich auch sauer.
Und Facebook ist natürlich, wie wir aus jedem zweiten Twitter-Thread und jeder zweiten Doku des Öffentlich-Rechtlichen wissen, auch einfach nur eine Superschurkenkonzern, der mit unseren Daten und Meinungen und Gefühlen Kohle und Politik macht. Alles nur fürs Kapital und den Faschismus, jajaja. Ach, ich will doch einfach nur mal wieder gegruschelt werden…
Es war alles mal cool. Als es nur um den reinen Austausch ging. Nicht um Fleischmärkte, ums Verkaufen, um Selbstvermarktung. Twitter war noch relativ frei von alldem, aber leider der kurzen Posting-Form wegen extrem nervig, weil es nur Schlauberger anzog. Und jetzt hat Elon Musk den Laden gekauft und will ihn privatisieren und das ist natürlich mal wieder „das Ende“, auch wenn wir Schlauberger uns wahrscheinlich trotzdem wieder nicht abmelden werden… Einige sind jetzt schon abgesprungen und zwar zu MASTODON, einer dezentralen Version von Twitter, auf der GETRÖTET und GESTERNT und GEREBLOGT wird. Momentan ist alles wunderschön und friedlich und viele bekannte Leute haben auch schon rübergemacht. Vielleicht könnte es tatsächlich funktionieren… Daumen sind getrötet.
Ein geheimes Foto zeigt jedenfalls den Mastodon-Entwickler Eugen Rochko kurz nachdem er von Musks Twitter-Übernahme gehört hat:
Natürlich ist es nicht nur Elon Musk und man darf sich als Facebook-/Instagram-/WhatsApp-Nutzer*in eh nicht beschweren und wir haben in den vergangenen Jahren schon so viel Kapitalisierungsscheiße unseres Lebens akzeptiert, warum also JETZT DER AUFSCHREI? Egal. Dann eben jetzt. Irgendwann müssen wir uns gegen diese beschissenen Männer mit ihrem beschissenen Reichtum wehren, weil nämlich Ressourcen uns allen zustehen.
Und zur Auflockerung hier noch ein paar schöne Tracks als Abgesang der gängigen sozialen Medien. Auf in die neue Welt.
Frank Ocean – „Facebook Story“
Britney Spears – „E-Mail My Heart“
Girli – „Girl I Met On The Internet“
Knife Party – „Internet Friends“
Gym Class Heroes – „New Friend Request“
Childbirth – „Siri, Open Tinder“
Sean Paul feat. Sean Kingston – „Follow Me (Twitter-Song)“
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