„Eine Art Parallel- Universum“


Lebenslange Auftrittsgarantie, Ehrenbürgerstatus am Ring - Die Toten Hosen verbinden nicht nur zahlreiche Auftritte mit dem Rock-am-Ring-Festival. Campino über seine Beziehung zu Deutschlands größtem Festival.

Seit eurem ersten Rock-am-Ring-Gig sind inzwischen zwölf Jahre und drei weitere Auftritten vergangen. Warum kommt ihr immer wieder?

Für mich ist Rock am Ring immer noch das Festival Nummer eins in Deutschland, vergleichbar mit Glastonbury oder Roskilde. Ich habe hier so viele tolle Bands gesehen. Auftritte von Rage Against The Machine, Faith No More, Green Day ich kann mich an kein Festival erinnern, das über die Jahre eine solche Bandbreite von guten Künstlern zu bieten hatte. Die Atmosphäre hat aber vor allem mit dem Publikum zu tun. Bei Rock am Ring ist das Publikum wilder, begeisterter und fairer als bei vielen anderen Festivals.

1996 wart ihr zum ersten Mal dabei. Wie habt ihr den Auftritt in Erinnerung?

Ich weiß noch, dass es damals wahnsinnig geregnet hatte und ich trotzdem aufs Bühnendach geklettert bin. Durch den Regen waren das Gerüst und das Dach extrem rutschig – wie Glatteis. Das war einer der Momente in meinem Leben, wo ich mir nicht so gut vorgekommen bin. Als ich es dann irgendwie gepackt hatte, wieder runterzukommen, hab ich aus Dankbarkeit die Bühnenbretter geküsst. Wir haben bei Rock am Ring immer wieder spektakuläre Abende gehabt. Ich denke da nur an diese Nacht, in der ich mir den Kreuzbandriss geholt hab, direkt bei unserem ersten Lied. Aber es hat niemand etwas bemerkt.

Was war dem Highlight als Besucher der Festivals? Und auf welche Bands freust du dich dieses Jahr besonders?

Faith No More war einer der ganz großen Momente. Ich bin oft rausgefahren zu dem Festival, auch wenn wir nicht gespielt haben. Metallica waren auch immer cool, oder Greenday. Es waren eigentlich jedes Jahr irgendwelche Sachen dabei, die wirklich reingeknallt haben. Dieses Jahr haben sie wieder ein super Line-up – ich freu mich auf Rage Against The Machine, Metallica und die Queens of The Stone Age – alle Zeichen stehen auf ein gelungenes Wochenende!

Rock am Ring ist ja auch geografisch gesehen schon so was wie ein Heimspiel für euch. Inwiefern unterscheiden sich die Rock-am-Ring-Auftritte uon „normalen“ Konzerten?

Rock am Ring und wir – das ist eine eigene Geschichte. Auch wenn wir vielleicht nicht immer vor Hardcore-Fans gespielt haben, waren die Leute unvoreingenommen und haben goutiert, dass man sich anstrengt, versucht, was zu reißen und die Energie rüberzubringen. Uns ist das Glück widerfahren, dass wir von Anfang an gut aufgenommen wurden. Gerade bei Rock am Ring hab ich immer den Eindruck gehabt, dass die Leute bereit sind, sich auch auf Sachen einzulassen, die sie nicht so gut kennen. Ich halte das Publikum dort für extrem fair. Rock am Ring ist eine Art Paralleluniversum. 20 Kilometer von der Bühne entfernt stehen schon die ersten Zeltlager. Den Leuten, die da am Wegesrand campieren, habe ich mich jedesmal verbunden gefühlt. Ich mochte diesen tagelangen Marathon im Dreck schon immer und kann den Reiz an der Veranstaltung gut verstehen. Das hat weniger mit den Bands zu tun, als viele Leute glauben. Es geht vielmehr um einen Spirit: ein gemeinsames Abenteuer, ein langes Wochenende, Lagerfeuer, zusammen frieren. Irgendwann ist einem alles scheißegal. Und dann geht es halt erkältet wieder nach Hause. Für mich hat das eine spezielle Romantik.

Als Headliner 2004 habt ihr am Vorabend des Auftritts auf dem Parkplatz des Ringgeländes ein inoffizielles Konzert gegeben. Wie kam es dazu?

Die Idee war, dass wir die Leute irgendwo überraschen wollten. Die Leute kamen gerade vom Festivalgelände zurück zu ihren Zelten und dachten, der Abend ist gelaufen. Und dann gibst du ihnen noch so ein kleines Bonbon – irgendwas, was nicht alle mitkriegen, was aus reinem Spaß besteht. So was haben wir immer schon gerne gemacht. Wenn wir früher während einer Tournee spielfrei hatten und wussten, dass in der Nähe ein Festival stattfindet, sind wir da mit dem Bus hingefahren. Wir haben uns mit einer kleinen Anlage auf das Busdach gestellt und Krach gemacht. Drumherum haben sich 50 oder 500 Leute versammelt. Ich weiß noch, wie mir das als Fan selbst passiert ist, 1978 bei einem Konzert von 999. Es war ausverkauft, die Laune war gut, und es wurde ein großes Konzert. Als es gelaufen war, stand zwei Minuten später Nick Cash von 999 plötzlich draußen auf der Straße auf einem Wagendach. Er hatte sich einen kleinen Verstärker umgeschnallt und legte noch mal los. Das war ein einschneidendes Erlebnis. Ich habe mir gedacht: „Wenn ich jemals in so einer Position bin, will ich das genauso machen. Ich will nicht, dass ein Konzert zu Ende ist, nur weil jemand ruft: „Jetzt ist Schicht!“

Der Einstieg in eure Shows ist immer gewaltig. Was geht in dir vor, wenn du dann auf das riesige Publikum blickst? Sind da Machtgefühle, oder fühlt sich das an wie ein Rausch?

Das Erste, was mir dazu jetzt einfällt, ist Dankbarkeit. Dafür, dass es nach so vielen Jahren immer noch Leute gibt, die einen hören wollen. Dann denkt man, dass man auch heute noch etwas zu sagen hat und manche Lieder noch eine Relevanz haben. Macht ist dafür das falsche Wort, dazu ist Musik auch nicht ernst genug. Ich erlaube es mir nicht, beim Blick ins Publikum überwältigt zu sein. Während des Auftritts fehlt auch die Zeit, das an sich rankommen zu lassen. Wenn du wieder zu Hause bist, wenn die Tournee zu Ende ist – dann setzt du dich hin und denkst: „Puh, da ist ein ganz heftiger Film abgelaufen.“ Im Moment selbst reagierst du nur du rennst da durch wie durch einen Film. 2004 hast du am Ring den Sportfreunden Stiller euren Bayern-Song gewidmet, nicht wissend, dass die am Bühnenrand stehen. Was ging dir durch den Kopf, als Sportfreund Peter nach vorne kam, um sich zum FC Bayern zu bekennen?!

Ich hab gelacht und fand das in Ordnung, dass er das gemacht hat. Ich finde ok, dass er Rückgrat bewiesen hat und sich trotz dieser Welle gegen ihn da reingeschmissen hat. Natürlich war ihm klar, dass er in solchen Momenten eine gewisse Narrenfreiheit genießen kann und ihm nichts passiert. Ich versteh seine fußballerische Einstellung zwar nicht (lacht), aber das muss ich ja auch nicht.