Ein Kult ohne Käufer


Nicht nur sein Image hat lan Astbury ständig runderneuert. Aber was er auch tut -— dem Cult fehlen die Anhänger

Natürlich habe ich mich oft gefragt: Warum nicht wir?“

Da sitzt er mit seinen langen schwarzen Haaren und versucht mit der Ungerechtigkeit der Welt — und ganz besonders der des Musikgeschäftes — fertig zu werden. Da macht einer Musik, die mehr aus dem vielzitierten Herzen kommt als aus der Brieftasche, von vielen Kritikern gelobt – und kaum einer will es hören.

„Guns A“ Roses haben für uns als Opening Act gespielt, und ich sagte damals schon: Jungs, ihr werdet riesig werden. ‚ Da haben die mich ausgelacht. “ Während Cult, der Haupt-Act, zwar nicht darben mußte, aber auf das Platzen des Knotens immer noch wartet. „Ich kapier‘ es einfach nicht: Andere Bands machen Millionen mit Cartoon-Rock — nichts dahinter, jede Harmonie, jede Haarsträhne am Reißbrett durchkalkuliert. Da fragen wir uns natürlich: What the fuck! Was machen wir nur falsch ?“

Die Band fiel auseinander — Bassist Jamie Stewart wollte sich mehr seiner Familie widmen, Schlagzeuger Matt Sorum desertierte zu Axl Rose und Slash, den einstigen Lehrlingen.

„Guns N’Roses boten ihm siebenstellige Summen. Und er wollte endlich mal was auf der Bank haben, bevor er sich zur Ruhe setzt. Wir konnten ihm diese Millionen eben nicht bieten. “ Die Gretchen-Frage: ,Warum nicht wir? 1 wurde zum konkreten Bruchpunkt.

An der Frage wäre auch Astbury vor zwei, drei Jahren beinahe zerbrochen. Unkontrollierter Drogen- und Alkoholkonsum brachten ihn an den Rand des Ruins. In New York als fotogener Brit-Rocker von Modemagazinen wie Vogue und Elle gefeiert, die Taschen des Matrosensohnes voll mit schneller Kohle und Koks, mit unzähligen Groupies von Party zu Party. Bis es im Cult-Getriebe zu knirschen begann und Astbury sich überlegte, ob er den Selbstzweifel per Selbstmord lösen sollte.

Seit 20 Monaten ist lan sauber. Keinen Drink, keine Nase mehr. Ein Mann, der seine wohlgewählten Worte leise ins Interviewmikro spricht, dazu Tee trinkt und Kette raucht. Und mit den Fragen, die seine Stirn damals in Falten legten, wurde er auf seine besondere Art fertig. Er macht andere Musik heute. „Ich wandte mich nach innen. Ich begann, über mich selber zu singen. .Wild Hearted Son‘ z.B. oder ,Heart of Soul‘ kommen aus persönlichen Erfahrungen. Früher versteckte ich mich hinter grandiosen Texten.“

Trotz des hehren Anspruchs werfen Kritiker Cult vor, mit der neuen LP „Ceremony“ den Versuch zu machen, endlich mal die große Kohle zu schieben, aufzuholen, den finanziellen Lorbeer zu ernten. Weg vom selbsternannten Erbe Led Zeppelins hin zum Mainstream Bon Jovis — ohne allerdings dort anzukommen. Auch die Wahl von Richie Zito als Produzent weist in die Richtung des amerikanischen Massengeschmacks. Weg vom Kult, hinein in den Kommerz? War das die Antwort? Das Licht am Ende des Tunnels?

lan reagiert vehement auf den Vorwurf, seine kreative Integrität verkauft zu haben: „Wir sind nicht kommerzieller geworden! Hör dir die Scheibe besser noch mal an! Ich finde sogar, daß wir mit ,Ceremony‘ zurück zu dem gegangen sind, was wir früher waren. Unsere Verbindung mit Richie Zito war mehr ein Zufall. Ich wollte anfangs selber produzieren, und als wir uns dann doch für einen Schiedsrichter‘ im Studio entschieden, stand Zito nicht mal auf meiner Liste ganz oben. Er wollte mehr mit uns, als wir mit ihm. „

Astburys Interpretation von Cults Wandel setzt verständlicherweise andere Schwerpunkte: „Du mußt das so sehen: ,Love‘ war unheimlich aufregend für uns, unser erstes Album! Und wir hatten obendrein Erfolg damit! Dann kam aber auch der Druck, mit dem nächsten Album .Electric‘ etwas noch Besseres, noch Erfolgreicheres abzuliefern, und das in noch kürzerer Zeit. Es wurde zum Teufelskreis. Mit Sonic Temple‘ erreichte dieser Druck seinen Höhepunkt. Mit ,Ceremony‘ haben wir versucht, wegzukommen von Klischees, in die wir immer mehr gepreßt wurden. Wir sagten uns: Diesmal machen wir wirklich eine Scheibe für uns und kümmern uns nicht mehr um Verkaufszahlen. „

Aber die Zweifel nagen weiter, denn das Geschäft ist hart. „Yeah, das Geschäft ist hart. Die Musikindustrie ist ein solch gewaltiger Kommerz-Komplex geworden, daß künstlerische Freiheit immer teurer wird. Aber man muß nicht unbedingt in einem dreckigen Loch leben, um ernstzunehmende Songs zu Schreiben. „