Die Stimme der Straße


Relevanter HipHop kam 2004 von ganz unten.

Dass wir in der Rückschau auf dieses Jahr nicht ein weiteres Mal den absoluten Stillstand in Sachen Deutscher HipHop zu beklagen haben, uns in langen Abhandlungen über die Anreihung mäßig spannender und mäßig erfolgreicher Veröffentlichungen und natürlich die Dreistigkeit wundern müssen, mit der die Beginner mit der einst so verhassten Teeniepresse ins Bett gegangen sind, liegt an einem überraschenden Innovationsschub, den das Genre aus der Hauptstadt erhielt. „Bis auf Aggro Berlin hob ich den letzten Jahren nichts Interessantes auf dem Tisch gehabt“, sagte Smudo dem ME und bezog damit klar Stellung zu einem Phänomen, dessen Relevanz im Sommer ausgiebig im Feuilleton diskutiert worden ist. Sido und Bushido waren die Gallionsfiguren einer neuen, harten und vulgären Spielart des deutschsprachigen HipHop, die als erstmals authentische Artikulation einer sozialen Schicht, die sich bisher kulturell kaum geäußert hatte, durchaus von Relevanz war. In einer Zeit, in der HipHop so weit in den Mainstream vorgedrungen ist, dass auch Eltern und Lehrer von Eminem schwärmen, zogen die Rapper von Aggro Berlin alle Register, um wieder zu provozieren, um vor den Kopf zu stoßen und dem Genre die Radikalität zurückzugeben, die im Zuge eines natürlichen Reifungsprozesses der Mäßigung und der Vernunft weichen musste. Erfreuten auf der einen Seite Blumentopf mit „Manfred Mustermann“, einem der tiefgründigsten Songs, die je dem deutschen HipHop zuzuordnen waren, ihre mit ihnen gealterten Fans, so gab Sido mit dem „Arschficksong“ allen 13-Jährigen einen garantiert Eltern-freien Zufluchtsort zurück, wie es seit Jahren keinen mehr gegeben hat.