Kritik

Die Serie „El Presidente“ auf Amazon Prime: Ganz normal korrupt


Kurzweilig und bitterböse: Aus diesen fünf Gründen solltet ihr Euch, egal, ob Fußballfan oder -muffel, unbedingt die neue Doku-Dramaserie über den FIFA-Korruptionsskandal von 2015 anschauen.

In acht einstündigen Episoden beleuchtet die mexikanische Serie, die seit dem 5. Juni auf Amazon Prime Video verfügbar ist, den Korruptionsskandal rund um die FIFA, der im Jahr 2015 aufgedeckt wurde. Im Mittelpunkt von „El Presidente“ stehen der chilenische Fußballvereinsvorsitzende Sergio Jadue und das Schwergewicht Julio Grondona, damaliger Präsident des argentinischen Fußballverbandes. Hier sind fünf Gründe, warum diese kurzweilige und bitterböse Doku-Dramaserie nach realem Vorbild gerade für Fußballmuffel großen Unterhaltungswert besitzt.

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1. Geld und Spiele

Auch wenn sich nicht jeder spontan an Details zum sogenannten FIFA-Gate erinnern kann – dass Fußball, Korruption, Geldwäsche und Kapitalismus immer wieder gerne Hand in Hand gehen, ist wahrlich keine Neuigkeit. Auch die Tatsache, dass ältere Herren (in diesem Fall die Präsidenten einiger südamerikanischer Fußballverbände) in schummrigen Rotlichtbars über die Vergabe von Fernsehrechten und Sponsorenverträgen abstimmen, macht „El Presidente“ noch zu keiner investigativen Offenbarung. Es ist eher die vom Oscar-prämierten Regisseur Armando Bó (er schrieb das Drehbuch zu „Birdman“) dargestellte Selbstverständlichkeit, mit der in der Parallelwelt des Fußballgeschäfts die Rädchen gedreht werden, um aus dem „Brot und Spiele“-System das Maximum an Geld herauszuholen.

Sergio Jadue (tragisch-komisch dargestellt von Andrés Parra) ist der gerissene Vorsitzende des unbedeutenden Clubs Unión La Calera aus dem chilenischen La Calera, der es aufgrund einiger glücklicher Fügungen schnell auf einen richtigen Chefposten schafft: 2011 wird er mit gerade mal 31 Jahren zum Präsidenten des chilenischen Fußballverbands ANFP gewählt. Auf dem weiteren Weg nach oben gerät er aber schnell zwischen die Fronten. Zwischen den alten Fußballbossen, die seine Loyalität in Frage stellen, seiner unfreiwilligen Rolle als FBI-Spitzel und den Freunden und Neidern, die stetig am Sakko des recht charakterschwachen Jadue zupfen. Er ist tatsächlich nur ein kleiner Spielball in einem viel größeren Turnier der alten Strippenzieher aus Fußball, Wirtschaft und Unterwelt. Jadues Perspektive ermöglicht der Serie aber einen originellen Blick auf das Geschehen, während und nach des großen Korruptionsskandals.

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2. Die Stimme des Herrn

Die Serie hat auch einige dokumentarische Elemente parat, es überwiegt aber die spannende Erzählung mit vielen Rückblenden, die knackig-inszeniert auf die Entstehung und das juristische Nachspiel des FIFA-Skandals eingeht. Zusammengehalten wird dies durch die Stimme aus dem Off von Julio Grondona (Luis Margani). Der Präsident des argentinischen Fußballverbandes und langjähriges Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees verstarb im Juli 2014. Als erzählender, über allem thronender Beobachter kommentiert er aus dem Jenseits mit viel Sarkasmus und ohne jegliche Reue die Geschehnisse. Eine Darstellung, die dem echten Grondona eventuell sogar gefallen hätte.

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3. Südamerika entdecken

Zum Start zeigt Amazon Prime die Serie im spanischen Originalton mit deutschen Untertiteln, eine Synchronfassung soll später im Jahr folgen. Aber das stellt in diesem Fall auch ohne spanische Sprachkenntnisse keinen Nachteil dar. Gemeinsam mit dem Mariachi-Soundtrack (immer mit einem Hang zur Tristesse) und überzeugenden südamerikanischen Darsteller*innen wie Paulina Gaitán (Jadues Frau María Inés Facuse), Luis Margani (Julio Grondona) oder Karla Souza (als FBI-Agentin Rosario) entwickelt die Serie eine gewisse Pseudo-Distanziertheit zu unserer europäischen Fußball-Wahrnehmung.

Dazu kommt, dass die Verbands- und Machtstrukturen des südamerikanischen Fußballs und der Copa América ein wenig fremd wirken, auch wenn Europas Fußballclubs und Verbände sicherlich ähnlich viel kriminelle Energie aufbringen können. Um hier alle Anspielungen und Verweise genau zu verstehen, sollte man sich vorab näher mit der Fußballgeschichte des Kontinents beschäftigen.

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4. Realität noch spannender darstellen

Die Rahmenhandlung ist indes auch ohne Vorwissen schnell verstanden, und das Ende allseits bekannt. Nett ist der kleine Nebenschauplatz mit der fanatischen FBI-Agentin Rosario, die bei ihren Recherchen zum Korruptionsnetzwerk im südamerikanischen Fußball öfter den Dienst nach Vorschrift vergisst und Jadue auf Schritt und Tritt folgt, manchmal mit beinahe kabarettistischem Übermut. Die Serie gewinnt auch durch den schnellen Erzählfluss, die stets originelle Darstellung der üblichen Klischee-Figuren (die Ehefrau mit Geltungsdrang und Machthunger, die Mafiosi-Bodyguards, die „Dinos“ der Fußballverbände mit Seidenschals und dicken Uhren) und auch durch wiederkehrende Running Gags – wie den klapprigen-roten Kleinwagen aus Jadues Zeit in La Calera oder die ständigen Demütigungen in der Welt der großen Bosse, die Jadues Anwesenheit spöttisch dulden, ihn aber nie wirklich mitspielen lassen.

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5. Torlos in der Nachspielzeit

Dass „El Presidente“ ausgerechnet in die Zeit fällt, in der Corona die Bundesliga zu Geisterspielen degradiert, und auch die herbeigesehnte Europameisterschaft aus eben genannten Gründen flachfällt (zu deren Start die Serie eigentlich als Begleitmedikation gedacht war), ist bitter. Für waschechte, kompromisslose Fußballfans ist diese Serie mitunter aber auch zu komplex inszeniert, zumal das Spiel auf dem Platz, der Sport und die damit verbundenen Emotionen hier höchstens im Hintergrund Erwähnung finden. Die Bosse haben neben dem geschäftlichen Geschacher mit großen Geldsummen ohnehin keine Zeit mehr für den eigentlichen Wettkampf – hier dient das Erscheinen auf der Tribüne nur noch für PR-Inszenierungen. Dass der Fußballsport eine stetig laufende Gelddruckmaschine bleibt, daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern.

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Die Serie „El Presidente“ (8 Folgen, je eine Stunde) ist seit dem 5. Juni 2020 auf Amazon Prime Video verfügbar.