Die Kreisung des Quadrats


Privat gehen die Die Fantastischen Vier längst ihre eigenen Wege. Um noch einmal Magie passieren zu lassen, mussten die vier Individualisten in der Berghütte "die Gehirne koppeln ".

die unüberlegten, oberflächlichen „Fragen“ zu Autorennen und dem Schwein auf dem Bauernhof, die Anke Engelke Ende Juni Smudo und Thomas D. in ihrer „Late Night“ hingeworfen hat, waren auf ihre Art durchaus aufschlussreich: Zum einen offenbarte sich ein leidenschaftliches Desinteresse, das die Moderatorin für ihre Besucher empfindet – und das, obwohl sie gerade von Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg für ihre „Stärken im Umgang mit ihren Gästen “ gelobt worden war, die in den Augen des Gelehrten gar im Vergleich „Schmidt an seinen Gästen fast schon penetrant uninteressiert „erscheinen ließen. Zum anderen wurde klar, dass die Öffentlichkeit Die Fantastischen Vier 2004 als vier „Personalitys“ wahrnimmt, die ein in weiten Teilen Illustrierten-taugliches, Fanta-4-unabhängiges Privatleben genießen (MARS-Bewohner, Rennfahrer, Celebrity-DJ…), das leicht vergessen lässt, dass das Ganze einmal mehr als seine Teile war.

Tatsächlich scheinen die Interessen von Thomas D., Smudo, Michi Beck und Andy Ypsilon 13 Jahre nach ihrem Debüt-Album so unvereinbar, dass den Fantastischen Vier selbst lange nicht klar war, ob gemeinsames Arbeiten noch zu erfreulichen Ergebnissen fuhren würde. „Es war schon immer so, dass es uns gut geht mit dem Gefühl, dass wir ne Band haben, wir aber so bisschen verdrängen, dass man als Band auch aktiv bleiben muss“, meint Michi Beck und die anderen nicken. Nach und nach sind sie an diesem Nachmittag in ihrem Kellerstudio in Stuttgart eingetrudelt, haben Laptops aufgebaut, Telefonate geführt und schließlich an der Playstation bei einer digitalen Pearl-Harbor-Luftschlacht „die Geschichte virtuell neugeschrieben“. Sie strahlen Gelassenheit aus, der Umgang miteinander wirkt natürlich und spannungsfrei. Als sich Smudo zu Thomas D. und Andy auf die Couch an einem kleinen Designer-Tischchen setzt, das unter dem Gewicht von Flaschen, dubiosen brummenden Elektrogeräten, Zeitschriften und Dalai-Lama-Büchern in die Knie zu gehen droht, beendet auch Hausmarke die Arbeit an einer Bonus-DVD, um seine ganze Konzentration dem Gespräch über das neue Album viel zu widmen. Als viel beschäftigter DJ und Produzent der erfolgreichen Electronica- und Dance-Alben derTurntablerockerhat er sich vielleicht am weitesten von dem HipHop-Kosmos entfernt, der den Fantastischen Vier seit Ende der 80er Jahre als gemeinsame Basis diente. „Es war nicht so, dass wir uns hingesetzt und gleich geschrieben haben „, erinnert er sich an die ersten Annäherungsversuche Ende 2002, die den Aufnahmen zum neuen Album vorausgingen. „Wir mussten erst mal reflektieren -passen wir noch zusammen, wollen wir noch das Gleiche, funktioniert das überhaupt noch?“

Leicht traumatisch hatte sich auf die Motivation der Vier, weiterhin als Gruppe zu arbeiten, offenbar 4:99 ausgewirkt: Das Album war zwar laut Hausmarke in seiner Entstehung nicht nur „ein totales Tal der Tränen „, hat aber die Stimmung in der Band nachhaltigbelastet. Jeder hat was anderes vorgehabt und wollte in sein eigenes Leben. Das war am Ende einfach zäh „, meint Hausmarke. Smudo erklärt: „Thomas ist relativ frisch in die Eifel gezogen, ich war gerade erst ein Jahr oder so in Hamburg. Wir sind mit Four Music auch extrovertierter druff gekommen und haben den Umzug nach Berlin erwogen. Das kam alles erschwerend hinzu. „Fazit von Andy: „Wenn du dann diefertige Platte hörst und die Vision ist nicht erfüllt worden, dann bleibt ein fader Nachgeschmack.“

Und da nach 4:99 mehr noch als sonst zu spüren war, dass „jeder erst mal genug von den anderen‘ hatte, wie es Hausmarke ausdrückt, spielte einer der Vier zum ersten Mal ernsthaft mit dem Gedanken, einen Schlussstrich zu ziehen. Auf die Frage, ob das MTV-„Unplugged“-Konzert in der Höhle 2000 nicht Anlass für einen Abschied hätte sein können, schütteln alle den Kopf-bis auf Smudo. „Der Gedankekam mir schon „, sagt er und wirft den anderen einen herausfordernden Blick zu. „Es hätte sein können“, meint plötzlich auch Michi, aber Thomas D. will sich auf solche Diskussionen nicht einlassen. „Ich bin nicht so ein Freund davon, über das Ende der Band nachzudenken. Das überlasse ich den beiden hier“, sagt er, deutet auf Hausmarke und Smudo und legt die Beine hoch. „Der Michi hat mit 25 zum ersten mal gesagt: ,Ich kann mir nicht vorstellen, mit 30 noch auf der Bühne zu stehen.‘ Das war für mich Anlass, meine erste Solo-Platte zu machen. Weil ich mit 50 noch auf der Bühne stehen will das ist mein Leben. Ich seh nicht ein, dass ich aufhöre.“Smudo nickt: „Wirwerden mitSo dasitzen und uns erinnern, wie Michi mityo gesagt hat,Hey, mit 75 mach ich das nicht mehr'“.

Dass über solche Statements die Vier heute wieder gemeinsam lachen können, liegt an einer neuen Harmonie, die ihren Anfang ausgerechnet in der Arbeit an der Unplugged-Show genommen hat. Zwar ist das von MTV populär gemachte Konzept noch immer nicht unumstritten – für den kritischen Zuschauer bedeutet „Unplugged“ oft nicht mehr als eine ermüdende Darbietung verwässerter Versionen alter Songs, die mit all dem Xylophon-, Conga-, Triangel- und Glockenspiel-Overkill rein qualitativ irgendwo zwischen Weltmusik-Workshop und Orff-Gruppe anzusiedeln ist -, doch ist die Überarbeitung des eigenen Repertoirs für die Akteure selbst eine Herausforderung. Die Fantastsichen Vier jedenfalls begriffen das von MTV an sie herangetragene Angebot als Chance. „Das ehrt uns ja, weil,Unplugged'[…] eine sehr wertige Sache ist“, so Smudo bei rap.de. „Ich meine, es gab ja vor uns auch schon andere HipHop- Leute wie LLCoolJ oder Arrested Development, die das gemacht haben. Wobei ich LLs Auftritt etwas albern fand und die anderen wohl ihren Vertrag nicht richtiggelesen hatten und einfach ihre Plattenspieler mitgebracht haben.“ Abgeschreckt von diesen Beispielen und laut Smudo inspiriert von Björks „Unplugged“-Konzert, lautete die Devise: „Wenn wir das machen, dann richtig. Weil, wenn wir Scheiße machen, dann machen wir uns lächerlich.“

Die Proben und das Konzert in der Höhle führten Andy, Smudo, Michi und Thomas erstmals nach 4:99 wieder zusammen. Die Erkenntnis, dass ein Auftreten als Die Fantastischen Vier Spaß machen kann und gleichzeitig Geld in die Kassen bringt, löste regelrechte Euphorie aus. Warum die so hart erarbeiteten Akustik-Versionen also nicht gleich auf einer Tourpräsentieren? „EingroßerSchub Motivation kam […] mit der .Unplugged‘-Tour“, so Smudo. „Da hatten wir tatsächlich seit langem mal wieder vor Augen geführt bekommen, wie man mit einem Nischenthema ausverkaufte

Hallen und durchgedrehte Kritiker (haben kannj: ,Boa, wirsindja oberfresh‘. Das war schon sehr, sehr gut fürs Selbstbewusstsein. Und dann haben auch die Gehirne aufs neue Album gekoppelt.“

Naturlich ist die Musik der Fantastischen Vier heute nicht mehr als „Nischenthema“ zu verstehen. Auch mit HipHop hat das längst nichts mehr zu tun, wie alle Vier immer wieder bereitwillig eingestehen. „Real“ zu sein und „die Straße zu repräsentieren“ kommt nicht in Frage, „davor bewahrt uns der Mittelstand-Background“, sagt Hausmarke. Was den Vier also bleibt, ist das Potenzial, in die obersten Chartregionen eingängige, humorvolle und tanzbare Popmusik zu katapultieren, die meist authentischer und innovativer als die restlichen Top i o zusammen sind. Dass ihnen das mit viel ein weiteres mal recht vorzüglich gelungen ist, liegt an dem unbedingten Willen, die Arbeit wieder auf kreative Prozesse aufzubauen, an denen alle Vier beteiligt sind. „Wir müssen als Band wieder funktionieren „, stellte Hausmarke klar, der an 4:99 vor allem bemängelt, dass jeder zu viel für sich alleine gearbeitet hat. Heute, sagt er, war es eine Herausforderung, seine aktuellen musikalischen Vorlieben, die durch das viele Auflegen „ganz woanders als früher“ angesiedelt sind, bei den Fantas bei gemeinsamen Sessions einzubringen. Also traf man sich in einer abgeschiedenen Hütte in den Österreichischen Alpen, um erste Songskizzen zu erarbeiten. Und nachdem man im Frieden der Vorarlberger Idylle genug gelacht, gejamt, gefreestylt und gesoffen hat, passierte endlich wieder Magie. Aus Improvisationen wurden Stücke, aus faden Reimen wurden clevere Texte, und sogar aus „Pipis und Popos“, das in frühen Live-Versionen auf der „Unplugged -Tour nicht mehr als eine leicht dümmliche, „Haha“-lustige Alberei war, wurde durchaus subtile Satire. In durchwachten Nächten fanden sich Michi, Andy, Smudo und Thomas als Freunde und als Musiker wieder, die Großes zu leisten im Stande sind, wenn ihnen die Kreisung des Quadrats gelingt: die Kreativzentren von vier Individuen mit völlig unterschiedlichem Background gleichzuschalten. „Wenn wir alle gleich gestrickt wären „, sagt Thomas D. und verfällt spaßeshalber in einen salbungsvollen Tonfall, „dann wäre unsere Karriere viel eindimensionaler verlaufen. Die ganz verschiedenen Einflüsse, die jeder durch den unterschiedlichen Lifestyle und seine Lehensphilosophie mitbringt, die können wir inzwischen respektieren. Die sind Geheimnis, Fluch und Segen der Fantastischen Vier“.