Die bessere Grundversorgung
Weil immer mehr Leute Clips und Videos bei YouTube hochladen, läßt sich ganz ohne die GEZ die Freude am Glotzen wiederfinden.
Nach jahrelangen quälenden Selbstversuchen ist es an der Zeit der Tatsache ins Auge sehen, daß das Fernsehen in Deutschland am Ende ist. Subjektiv betrachtet gewährleisten weder die öffentlich-rechtlichen Starionen eine Grundversorgung, noch befriedigen die 32 Programme in ihrer traurigen Gesamtheit die Bedürfnisse von Menschen mit Geschmack und Verstand. Immer weniger Leute sind gewillt, zwischen synchronisierten James-Bond-Filmen, sterbenslangweiligen Magnum-Folgen, betrügerischen „Quizshows“ und all dem niveaulosen Talkund Soap-f rrsinn die Bits und Pieces herauszufischen, die das Leben lebenswert machen: „Tracks“ und ein Truffaut-Film im Zweikanalton bei ARTE, ein Strokes-Video, das man zufällig am Montagmorgen um 2:37 Uhr auf MTV erwischt und ein bißchen internationaler Fußball auf Eurosport. Wer will dafür monatlich 17 Euro bezahlen, wenn man für das gleiche Geld eine Flatrate haben kann, die einem Zugang zu einer Seite wie www.YouTube.com gibt?
Als eigener Programmchef läßt sich bei diesem offenen Videoportal Fernsehunterhaltung on demand zusammenstellen, die präzise auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten werden kann. Die Einschaltquoten steigen: YouTube verzeichnete im Februar mehr als neun Millionen Besucher- seither sind es stetig mehr geworden. Jeden Tag werden dort rund 3S 000 neue Filmchen hochgeladen und 35 Millionen mal Clips aus dem gigantischen Video-Pool angesehen. Warum auch nicht? Wo sonst findet man am Tag nach einem Championsleague-Spiel sofort einen Zusammenschnitt der schönsten Zaubertricks von Ronaldinho? Wo läßt sich drei mal am Stück der Coca-Cola-Werbespot ansehen, für den Jack White ein gräßliches Lied aufgenommen und damit ein gutes Stück seiner Glaubwürdigkeit geopfert hat? Und apropos schlechter Geschmack: Auch der Idealist Eman Laerton von www.youhavebadtasteinmusic.com -ein Performancekünstler, der vor ausgewählten Konzerten in L.A. das Publikum beschimpft (ME berichtete) -, veröffentlicht die unterhaltsamen Aufzeichnungen seiner Aktionen neuerdings bei YouTube.
Im Bereich „Music“ ist die YouTube-Videothek bereits bestens ausgestattet: Es findet sich ein „Making Of‘ zuThe Fläming Lips‘ „Yeah Yeah Yeah Song“, die Aufnahme eines Konzerts der Kaiser Chiefs in der „Garage“ in Glasgow und ein herrlicher Guerilla-Zusammenschnitt aus Szenen von Hollywood-Filmen zu „I Predict A Riot“. Ein musikalischer Spaziergang in die Vergangenheit könnte bei Gnarls Barkleys fantastischem Video zu „Crazy“ (2006) beginnen und über Anton Corbijns Clip zu Johnny Cashs „Delia s Gone“ feat. Kate Moss (1994), einem Freestyle des 17jährigen Notorious BIG auf den Straßen von Brooklyn (1989), „Purple Rain“ aus dem gleichnamigen Film (1984), Pink Floyds „Comfortably Numb“ mit den Original-Bildern aus „The Wall“ (1982), eine intime Live-Version von „Redemption Song“ von Bob Marley (1980), den angemessen übersteuerten Mitschnitt von „Loudmouth“ bei einem TV-Auftritt der Ramones (1975) bis hin zu dem Promofilm zu The Beach Boys‘ „Good Vibrations“ (1966) führen, den Brian Wilson als Regisseur verantwortete.
Wer auf Kultkäse steht, wird sich über den siebenminütigen Film-Clip namens „Ddancing“ freuen, in dem die super-pathetische Abschlußrede von Patrick Swayze in ein herausragend lächerliches „Dirty Dancing“ zu „(I Had) The Time Of My Life“ fuhrt. Kein Zweifel, YouTube ist gekommen, um uns zu retten. George Clooney sieht das übrigens ähnlich: „Die Zukunft“, sagte er kürzlich, „gehört diesen Kids da draußen mit ihren Digitalkameras.“