Detroit Rock City
35 Jahre nach Iggy & The Stooges und den MC Five: In den Garagen der Motor City scheppert's wieder
Die Stooges und MC 5 gibt es schon lange nicht mehr, doch ihr Erbe war aus der Rockmusik eigentlich zu keiner Zeit richtig wegzuradieren. Erst gab es die Punkbands der späten Siebziger, dann traten Neo-Garagenrocker wie Miracle Workers, Lyres oder Lime Spiders auf den Plan, ehe Ausläufer des Seattle-Grunge (vor allem Mudhoney) die Erinnerung lautstark wach hielten. Nur Detroit, Heimatstadt der Stooges und MC 5, spielte in rockmusikalischer Hinsicht keine große Rolle mehr. Bis Kid Rock kam und das Heft in die Hand nahm – könnte man denken. In „American Bad Ass“ (2000) blökt er: „I put Detroit City back on the map.“ Da hatte er wohl überhört, dass sich im Rock-Untergrund der Stadt längst eine neue Szene herausgebildet hatte, stark genug, um als Motor für aufbereiteten Punk und Garagenrock zu funktionieren. Etwa ab 1998 tummelte sich in den Übungsräumen und Clubs der Stadt eine Vielzahl von Bands, die alle für sich mehr Alarm machten als der mit Pamela Anderson verheiratete Poser. Eine wichtige Grundlage wurde lange zuvor gelegt. 1986 fand sich in der Motor City das Trio The Gories zusammen, das eine abstruse Vorstellung von Rock hatte: Es erklärte Musik ohne Bass zum obersten Spielprinzip (siehe heute The White Stripes oder Yeah Yeah Yeahs). In den gut sechs Jahren ihrer Existenz spielten The Gories konsequent in einer Besetzung mit zwei Gitarristen und einer Schlagzeugerin. Der schwarze Frontmann Mick Collins schloss sich danach verschiedenen anderen Gruppen an, von denen The Dirtbombs sicher die entscheidende sind. Auf ihrem Album Ultraglide In Black intonieren The Dirtbombs Soulklassiker im Soundgewand und mit der Energie der Stooges. Gories-Gitarrist Dan Kroha sichtete man zuletzt bei den gerne hüllenlos auttretenden Demolition Doll Rods. Ihr Album TLA erschien 1999 (mit Hülle).
Das Treiben ist mittlerweile ziemlich unübersichtlich. Da es in Detroit keine großen Plattenkonzerne gibt, können sich die Bands in Ruhe entwickeln. Selbst das stark in der örtlichen Szene involvierte Indie-Label Sympathy For The Record Industry (veröffentlichte das meiste von The White Stripes bis einschließlich White Blood Cells u.v.m.) hat seinen Sitz in Long Beach. Da erweist sich die Szene in der Stadt fast zwangsläufig als inzestuös. Alle Musiker halten wie eine große Familie zusammen und helfen sich gegenseitig, wo es geht. Viele von ihnen spielen in mehreren Bands gleichzeitig, wenn Not am Mann ist. In New York City oder Los Angeles wäre das undenkbar, dort kämpft jeder einzelne Neuling begierig darum, das nächste große Ding zu werden. Der Reiz des Idylls hat sich auch bei verlorenen Söhnen herumgesprochen. Songschreiber Brendan Benson ist nach längerem Kalifornienaufenthalt in seine Geburtsstadt Detroit zurückgekommen, wo er sein gefeiertes Album Lapalco schrieb und aufnahm.
Viele Querverbindungen der Szene laufen bei den White Stripes zusammen. Jack White lebt in einem Haus mit Ben Swank von den Soledad Brothers, deren Gitarrist Oliver Henry mit Meg White liiert ist. Selbige hat eine Mitbewohnerin namens Ko Shih, die eine Band namens Ko & The Knockouts hat und auf dem Debütalbum der Come Ons gespielt hat. Interessant ist auch ein gewisser Pat Pantano, der getrost das Detroiter Verdienstkreuz für Akkordarbeit beantragen darf. Er hat die Coverfotos von White Blood Cells und Elephant geschossen, trommelt bei den Dirtbombs und tat das auch schon für The Paybacks, Come Ons, Detroit City Council und Rocket 455. Ziemlich viele Namen, gewiss. Aber eines ist sicher: Obwohl erst 26, legt Jack White seine schützende väterliche Hand über die Szene. Der Produzent von The Von Bondies und Whirlwind Heat hat 2001 die Compilation Sympathetic Sounds Of Detroit (Sympathy For The Record Industry/Import) zusammengestellt: die ideale Einstiegsdroge für das neueste Update des ewig jungen nordamerikanischen Garagenrock.