Der Rock ist auch nur Mix


Bevor die belgischen 2 Many DJs bald gar nicht mehr von den Turntables wegkommen, kehren die beiden Brüder rechtzeitig als Soulwax zurück.

Man käme nie auf die Idee, die Einwohner der belgischen Stadt Gent könnten in Hektik verfallen. Viele fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit, gondeln gemütlich mit der Straßenbahn durch die Gassen oder sitzen entspannt an Grachten und bewundern die Schönheit der Altstadt. Doch das Schicksal will es so, dass ausgerechnet hier die wahrscheinlich rastlosesten Musiker Belgiens residieren. Die Gebrüder Dewaele, David und Stephen, finden immer eine Beschäftigung. Häufig legen sie als 2 Many DJs Platten in aller Welt auf. Immer wieder werden sie um Remixe gebeten – Kylie Minogue, Felix Da Housecat, DJ Shadow und die Sugababes zählten bereits zu ihren Auftraggebern. Außerdem schreiben sie Musik für Filmproduktionen, letztes Jahr etwa für „Steve & Sky“ von Felix van Groeningen. Das alles hat allerdings recht wenig mit dem zu tun, was die Dewaeles ursprünglich mit ihrer Band namens Soulwax im Schilde führten. Mit dieser Band debütierten sie als Musiker, als Rockmusiker – im Herbst 1996, mit dem Album leave the story untold. Zweieinhalb Jahre später erschien much against everyone’S advice. Ihnen schien eine große Rockkarriere bevorzustehen…

Die Dewaeles waren schon immer naher dran an Musik. Durch ihren Vater, einen bekannten flämischen Radio-DJ und Fernsehmoderator, hatten sie Zugang zu einem umfangreichen Plattenarchiv. Daddy ermutigte sie, etwas daraus zu machen und verschaffte ihnen in den frühen Neunzigern die Möglichkeit, bei Piratensendern aufzulegen. Dieses Hobby trat mit der Gründung von Soulwax nur wenig in den Hintergrund. Es gab immer wieder Anfragen von Club- und Festivalbetreibern und sogar Theaterregisseuren, die sich für die unkomplizierte DJ-Attitüde der Dewaeles begeisterten. Wer sonst kam schon auf die Idee, ohne jede Zurückhaltung Michael Jackson mit den Residents oder Pop-Rapper Skee-Los „I Wish“ mit Survivors „Eye Of The Tiger zu mischen, und zwar so, dass die Pophappen auch noch zusammenpassen – in Rhythmus, Harmonie, Melodie sogar? Irgendwann erzeugten die Brüder mit ihren Tricks so viel Begeisterung, dass ihre Plattenfirma um eine Compilation bat. Keine große Sache, möchte man meinen, so eine Mix-CD. Tatsächlich machte das gute Stück (seit 2002 unter dem Projektnamen 2 Many DJs als as heard on radio soulwax pt. 2 in den Läden] eine Heidenarbeit. Die Aufnahme dauerte zwar nur zwei Wochen, die urheberrechtliche Freigabe der Titel hingegen zweieinhalb Jahre. Kein Wunder, hatten sich David und Stephen doch sogar Kaliber wie Destiny Childs Jndependent Women Pt. 1“ für ihren über 70minütigen Bausatz aussucht. „Dos Sample war für den Benetuxraum freigegeben, doch dann merkte man bei der Sony, dass unser Mix gerade in dem Moment im Radio lief, als eine Remix-Platte von Destiny’s Chiid auf den Markt kam. Da rasteten einige Herren aus und wollten uns verklagen, obwohl sie uns doch die Freigabe erteilt hatten. Andere Plattenfirmen wie Virgin waren ganz rigoros und erteilten überhaupt keine Freigaben. Das war im Fall von Daft Punk sehr betrüblich, denn die hatten wir an einer Stelle fest vorgesehen. Die Jungs selbst hätten euch keine Probleme mit der Genehmigung gehabt. Aber das Musikgeschäft macht holt viele Dinge kaputt“, stellt David fest.

Aus Verärgerung über die Absagen veröffentlichten die DJs auf ihrer Website (www.2manydjs.com) eine Liste mit den abgelehnten Samples „in neun von zehn Fällen kontaktierten uns die Künstler und erklärten, sie selbst hätten das Stück freigegeben. “ So oder so waren 2 Many DJs nicht mehr aufzuhalten. Für die Verbreitung im Internet und bei Piratensendern in England mischten inzwischen viele (2 many?) Bedroom-DJs mit mysteriösen Pseudonymen Songs, Hooks, A-capella-Linien munter ineinander. Die neue Masche machte als Bastard Pop und Bootleg Music die Runde. David und Stephen profitierten besonders davon, legten bald weltweit auf und verkauften nicht eben schlecht von ihrem Album, dem einzigen legalen Mix des Räuber-Genres. Trotz des Erfolges kommt eine zweite Mix-CD für sie aber nicht in Frage. „Das Ganze hatte seinen anarchischen Charme, darin lag der Reiz. Würden wir das wiederholen, wäre der Nervenkitzel weg. Lieber stellen wir eine zweite Variante kostenlos ins Internet.“

Während des Wirbels um 2 Many DJs hatten die Brüder das Ziel nie aus den Augen verloren, ein neues Soulwax-Album zu veröffentlichen. Da sie jedoch ständig abgelenkt waren, zog sich dieser Prozess in die Länge. Zwar gelang es ihnen, sich nach DJ-Touren und Überseeflügen im Studio zu vergraben und Tracks aufzunehmen, doch stellte das Ergebnis die beiden nicht zufrieden. „Wirhaben dieses DJ-Ding im Kopf. Im Club suchst du in der Plattenkiste nach der nächsten Scheibe für die richtige Mischung. Im Studio schwankst du, welche Abmischung von einem Track gut in den Flow eines Albums passt. Soulwax und 2 Many DJs scheinen für zwei unterschiedliche Herangehensweisen an Musik zu stehen, doch vom Prinzip hermachen wir in beiden Fällen genau dasselbe“, zeigt sich David Dewaele zwar überzeugt. Als 2 Many DJs benötigten er und sein Bruder jedoch keinen Produzenten, als Soulwax letztlich schon. Die Wahl fiel auf Mark Ellis, den alle nur Flood nennen. Die Dewaeles selbst hätten sich wohl gar nicht getraut, mit dem Mann Kontakt aufzunehmen, der ihre Lieblingsplatten von Depeche Mode, Nine Inch Nails oder den Smashing Pumpkins produziert hatte. Eines Tages aber stand er einfach so im Genter Studio – ein Mitarbeiter der Plattenfirma war der Lockvogel gewesen. „Wir hatten eigentlich vor, das Album selbst zu produzieren, merkten aber auch, dass noch ein Extrakick fehlte. Dann stand Flood in der Tür, sah sich um und beseitigte mal eben einen Kurzschluss, der uns zuvor stundenlang lahmgelegt hatte. Daraufhin warernatürlich sofort engagiert (lacht}. Er ist in der Lage, Bands noch vorne zu bringen. Er hinterfragte die Dinge, zeigte Alternativen auf und ermutigte uns, nicht alles im gleichen Trott zu produzieren“, lobt Stephen. Leider freundete sich Flood dann jedoch so sehr mit den Belgiern an, dass er auch ihre Sichtweise übernahm. Für den Endmix musste Flood deshalb noch seinen alten Kumpel Alan Moulder hinzubitten.

So wurde es dann in diesem Frühjahr doch noch fertig, das Album mit dem bezeichnenden Titel A Nr Minute now, dessen baldiges Erscheinen schon Monate zuvor angekündigt worden war. Wo der Vorgänger gelegentlich noch recht gefühlvoll und elegisch klang, wirkt diese Platte härter und direkter. Das sei eine Folge der unruhigen Zeiten, in denen die vielbeschäftigten Dewaeles leben. Aber auch das weltpolitische Klima prägte die Grundstimmung der Platte. „Wir könnten uns natürlich ganz weltfremd hinstellen und ein Album wie Polyphonic Spree machen. Aber dann verfolgst du den sinnlosen Irakkrieg oder reist nach Südamerika, wo ganze Länder bankrott gehen. Wieder zu Hause angekommen, musst du hören, dass der rechtsradikale Wams Blök bei flämischen Regionalwahlen erhebliche Stimmenzuwächse hat. Da vergeht dir die friedliche Hippiestimmung ganz schneit, erzählt David.

Dass er und Stephen zumeist gehörig unter Strom stehen, sorgte bei der Albumproduktion für zusätzliche Energien. „Wenn du ständig unterwegs bist und zu Hause auch gleich wieder von fünf Uhr nachmittags bis sechs Uhr morgens arbeitest, bricht der Biorhythmus komplett zusammen. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass man dadurch keine normalen sozialen Beziehungen eingehen kann. Deshalb ist Entfremdung auch ein Oberthema auf demAlbum. Der Opener „E-Talking handelt davon, wie man als Dauerreisender nur noch per Mail oder Mobiltelefon Kontakt zur Außenwelt hat. Die einprägsamste Zeile der gesamte Platte ist allerdings sicherlich „You’re such a miserable girl trapped in a healthy body“, die David erstaunlicherweise auf sich selbst bezieht und mit seiner Angewohnheit in Verbindung bringt, selbst in Momenten des musikalischen Glücks noch Grund zur Klage zu finden. „Wir waren jetzt füreine Woche im Urlaub, zum ersten Mal seit drei Jahren. Da hoben wir durchgeatmet, das war auch nötig. Aber grundsätzlich ist uns der unruhige Lebensstil schon recht. Er hat die neue Platte immerhin zu dem gemacht, was sie ist.“