Der Mann mit dem goldenen Ohr
Mit 20 entaecKteerMotley Crüe, mit26Guns N' Roses. Mit 32 Jahren ist Tom Zutaut nicht nur ein gemachter Mann, son dem auch der mächtigste "Artist & Repertoire"-Mann der 90er Jahre
Kritiker mögen diese Art von Musik nicht“, sagte Tom Zulauf mir vor einigen Jahren. „Aber sie werden Millionen und Abermillionen von Platten verkaufen.“ Zutaut, damals ein 26jähriger TalenCscout für Geffen Records, schien den Mund etwas voll zu nehmen: Die Band, über die wir in seinem Büro auf dem Sunset Boulevard sprachen, hatte noch nicht mal mit den Auf-V nahmen für ihr Debüt-Album begon-r nen. Aber das Urteil des A&R-Wunderknaben konnte man nicht so einfach ignorieren.
Gerade mal 20 Jahre alt, hatte Zutaut zwei der erfolgreichsten Metal-Bands der 80er. Mötlcy Crüe und Metallica, für seinen damaligen Arbeitgeber Elektra entdeckt. Nichts im Vergleich zu seiner nächsten Entdeckung: Guns N“ Roses. „Schon beim zweiten Song war ich total aus dem Häuschen‘ 1 , schwärmt Zulaut, als er sich an die Nacht vor fast fünf Jahren erinnert, in der er Guns N‘ Roses zum ersten Mal im „Troubador“ in Los Angeles spielen sah.
Wir sitzen in der Küche des Conway-Studios. wo Zutaut das Debüt-Album von Roxy Blue, einer Newcomer-Band aus Memphis, überwacht. Selbst fünf Jahre nach dem denkwürdigen Ereignis scheint ihn die Erinnerung noch immer zu elektrisieren. „Ich hin auf wirklich lauten Konzerten gewesen, und nichts war je zu laut für meine Ohren. Aber -fiaB war der brutalste Sound, den ich B erlebt hatte. Es war schmerzhaft. H All meine Kollegen träumten dB von, den nächsten Jim Morrison zH entdecken“, fährt er fort. „Ich fcaiunj Ji’f ve A/anie inund auswendig. -7H plötzlich sah ich den Mann, der -fafl Traum aller A&R-Leute so nah wfl nwli Afmtr faun; 4.v/ Rose war flfl Abstand der charismatischste PerfijU mer, den ich bisher gesehen /tgfM LW flwcA die Musiker waren exzem lent. Slash war der beste Gitarrum der mir bislang untergekommen wfjfl Die beiden waren wie Mick JogfsM und Keith Richards. Alles an dHj Band stimmte.“ 9 Und so (al Zutaut, was jeder ajH gebrühte Talentscout tun würde: 19 ging gelangweilt hinaus, stets in dnj Angst, auch nur den leisesten Anflul von Begeisterung erkennen zu lafl sen. Denn das hätte die konsequeiB haben können, daß ihm ein anderfl Talentscout die Band womöglich ul ter der Nase weggeschnappt hätte. „Ab ich den Club verließ, fragte mich ein Kollege: ,Du magst die Band wohl nicht?‘ Ich sagte: ,See, Mann. Das ist mir zu laut. Ich troll mich nach Hause.‘ Als ich zuhause war, konnte ich nicht schlafen.
Am nächsten Tag rief ich Axl an. Er war überrascht: ,Du hast doch nicht mal die ganze Show gesehen! Wtr haben gehört, dich habe dk,
ganze Sache reichlich abgetömt.‘ Worauf ich sagte:,Ihr habt euren Vertrag. Ich brauche nichts mehr zu hören. Ich möchte derjenige sein, der euch hilft, auch den Rest der Welt zu überzeugen.'“
Mit seinen langen strähnigen Haaren, den verschmitzten Augen und dem runden Babyface auf einem bärigen Körper könnte der 32jährige Zutaut einen jungen Falstaff spielen. Aber hinter seiner engelhaften Miene versteckt sich ein unerbittlicher Kampfgeist. Sieben der rund zwei Dutzend Bands, die er unter Vertrag nahm, haben die Platin-Schallmauer durchstoßen. Die beiden ersten Guns N‘ Roses-Alben verkauften mehr als 20 Millionen Exemplare und warfen damit einen Gewinn von mindestens 20 Millionen Dollar für Geffen ab. Von ihren letzten LPs „Use Your Illusion I & fl“ wurden am ersten Tag der Veröffentlichung weltweit noch nie dagewesene 7.3 Millionen Exemplare verkauft.
Zutauts Erfolg hat ihn mächtig gemacht. Er ist heute einer der wenigen Entscheidungsträger, die potentiell jede Gruppe der Welt unter Vertrag nehmen könnten. Er ist ein Millionär mit Häusern in Malibu, den Hollywood Hills und auf Hawaii. Aber wichtiger als das große Geld, das er macht, wichtiger als die Macht, die er ausübt, ist die Rolle, die er und seine „A& ^‘-Kollegen bei der Prägung populärer Kultur spielen. Durch die Entscheidung, ob jemand was taugt und oder nicht, sind Zutaut & Co. die Gralshüter der Popmusik geworden.
Es ist ein Job, der eine Vielzahl von Fähigkeiten erfordert. Neben der eigentlichen Suche nach Talenten und dem Absegnen von Vorschüssen, Aufnahme-Budgets und Tourneezuschüssen müssen A&R-Leute Produzenten anheuern, Marketingstrategien entwikkeln und mit Argusaugen jedes Detail einer Plattenproduktion überwachen. Die Position verlangt die Gerissenheit eines Konzertveranstalters, die Ohren eines Studiotechnikers, die Großzügigkeit eines Mentors. Und die Geduld eines Babysitters.
Tom Zutauts anderthalbjähriger Kampf, Guns N‘ Roses zu formen, aus einer destruktiven Horde musikalischer Eigenbrötler eine der erfolgreichsten Rockbands der Welt zu modellieren, verdeutlicht die Anforderungen, die an heutige A&R-Leute gestellt werden. Es wirft auch ein bezeichnendes Licht auf den Mechanismus, mit dem eine Handvoll Menschen rohes Talent auswählen, zurechtbiegen und verkaufen. Und somit Stars und Idole kreieren, die ganze Generationen von Teenagern prägen werden, Fragt man A&R-Leute, nach was sie in einer Band suchen, wird man wahrscheinlich stets die gleichen Antworten hören: Charisma. Gute Songs. Gutes Aussehen. Außergewöhnliche Persönlichkeiten. Ein ausgefallenes Image. Leidenschaft. Für Seymour Stein von Sire Records, der die Talking Heads, Pretenders und Madonna unter Vertrag nahm, sind dies notwendige Voraussetzungen — nicht aber Garantien für Erfolg. „Die Songs sind alles. Aber es muß von seilen der Künstler einen unglaublich starken Drive geben, es schaffen zu wollen — ein fast skrupelloses Verlangen. Madoima ist der typische Fall: Sie wollte Erfolg um jeden Preis. Und sie hatte das Talern dazu.“
Zutaut stimmt dieser Einschätzung grundsätzlich zu. „Ich suche nach jemandem, der mich mit auf eine Reise nehmen kann, so wie es die alten Medizinmänner konnten: jemanden, der den Ritus des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsensein zelebrieren kann“, sagt er. „Ich suche nach einem Gefühl fiir Risiko. Das nackte Oberleben dieser Band muß davon abhängen, ob sie ihre Musik herausbringen oder nicht. Egal ob die Leute sie mögen oder nicht. Man spürt schnell den Unterschied zwischen einer Band, die es um jeden Preis pakken will — und Traumtänzern, die in ihren Schlafzimmern hocken und davon träumen, wie sie Rockstars werden und unzählige Mädels abschleppen.
Eine ernsthafte Band zu finden ist aber nur der erste Schiit!“, glaubt Zutaut. „Um ein erfolgreicher A&R-Mann zu sein, muß man sich fiir seine Überzeugung auch aus dem Fenster lehnen. Wenn man eine Gruppe unter Vertrag nimmt, ist ihre Platte oft genug noch zwei oder drei Jahre von der Veröffentlichung entfernt. Man darf keinen Trends folgen. Wenn Musik und Musiker gut genug sind, wird das der neue Trend“
Speziell bei einer Band wie Guns N“ Roses, die den Begriff Rock ’n‘ Roll mit neuem Leben erfüllten. „Als ich auf Guns N‘ Roses stieß, lebten sie wie wilde
Tiere. Ich kam einmal in ihr Haus — und die Toilette war aus dem Boden gerissen. Die entscheidende Frage war, ob sie überhaupt im Studio auftauchen würden. Würde sich die Gruppe jemals darauf konzentrieren können, eine Platte zu machen ? Man konnte es mit letzter Sicherheil nicht wissen. „
Beeindruckt von seinen früheren Erfolgen, stimmte David Geffen Zutauts Vorschlag zu, Guns N‘ Roses einen mehrjährigen Vertrag und 350.000 Dollar Vorschuß anzubieten. Als die Band 150.000 Dollar, die für Lebenshaltungskosten zur Verfügung gestellt worden waren, durch den Kamm jagte, bevor sie auch nur einen Fuß ins Studio gesetzt hatten, stand Zutaut seiner ersten Krise mit der Band gegenüber. Als er um Nachschub bat, fragte ihn Geffen, wann in aller Welt die Gruppe denn ihre Platte machen würde. Zutaut konnte nur antworten: „Sie sind noch nicht soweit. Ich weiß nicht, wann sie soweit sind. Aber eins weiß ich: Dies wird die erfolgreichste Band auf unserem Label werden. „
„Der Vertrag mit der Gruppe war Russisches Roulette“, glaubt auch Geffen-Präsident Ed Rosenblatt. „Ich habe mich oft gefragt, ob das eine dieser klassischen Katastrophen werden würde — 150.000 Dollar für die Katz. Tom hatte zwar einen guten Riecher bewiesen, aber er war mm mal noch ein junger Bursche. Sein unerschütterlicher Glaube war es, der uns alle überzeugte. „
Guns N‘ Roses bekamen nochmal 100.000 Dollar, aber selbst Zutaut, so gibt er heute zu, hatte Zweifel, ob die Band je genug Disziplin aufbringen würde. „Sie waren durch das lange Wartenfrustriert, aber ich glaubte nicht, daß sie schon bereit waren. Und wenn ich nicht hundertprozentig sicher bin, daß genug Material für ein großartiges Debüt-Album vorhanden ist, bin ich auch nicht bereit, den Stein ins Rollen zu bringen. „
Selbst Slash ist heute der Meinung, daß Zutaut recht hatte. „Wir waren ein Rudel Punks. Wir wußten nicht, warum wir so lange warten mußten, um ins Studio gehen zu können. Tom Iwt um immergedrängt, weiterzuspielen, zu üben, neue Songs zu schreiben. Auch für ihn war es eine Tortur.“
Obwohl Zutaut im wenig kreativen Plattenvertrieb anfing, waren seine enzyklopädischen Musikkenntnisse schon in jungen Jahren außergewöhnlich. Wenn man wahllos einige der unzähligen Platten aus seiner Sammlung herauszieht, rattert er die Namen der Produzenten und Toningenieure herunter. Selbst an unwesentliche Details der Produktion erinnert er sich. Obwohl er kein gelernter Produzent ist, sagt er. lernte er die technischen Aspekte der Produktion von der Pike auf. Als er zehn Jahre alt war, kaufte er jede neue Rockscheibe, die auf den Markt kam. „Nachdem ich das ein paar Jahre lang gemacht hatte, bemerkte ich meine Fähigkeit, Hits auf Anhieb herauszupicken. Und ich hatte fast immer recht.“
Er wurde DJ bei einer Highschool-Radiostation und beschwatzte die Plattenfirmen, ihn mit Neuerscheinungen zu bemustern. Statt aufs College zu gehen, heuerte er bei der Postabteilung von Warners in Chicago an und arbeitete sich schnell nach oben. Es war Zutauts unheimliche Treffsicherheit bei der Früherkennung von Hits, die ihm einen deutlich interessanteren Job bei Elektra in Los Angeles verschaffte. Zutaut klapperte fast jede Nacht die Clubs ab und bombardierte Elektras A&R-Abteilung mit vielversprechenden Bands. 1981 bekam er seine erste Chance: Er nahm Mötley Criie unter Vertrag, die — wegen ihrer hochhackigen Stiefel und grellen Kriegsbemalungen — das Gespött all seiner A&R-Kollegen waren. Niemand lachte, als das erste Album der Gruppe dreieinhalb Millionen verkaufte …
Wir sind wieder in dem Übungssrudio in North Hollywood, wo Zutauts neue Band Roxy Blue an Demos zu ihrem Debüt-Album arbeitet. Zutaut ist in seinem Element. Er postiert sich vor die Bühne und hört sich die 19 Songs konzentriert an. Als die Band fertig ist, bittet er alle zu einer Bank vor der Bühne, wo sie über das Material diskutieren. Einige Lieblings-Songs der Band schaffen es nicht auf Zutauts Liste — was einen heftigen Wortwechsel zur Folge hat. Zutaut umschifft die Klippe souverän, indem er unerwünschte Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Songs hervorhebt oder darauf verweist, daß einige Melodien einen unterentwickelten Refrain haben. Nach einigem Hin und Her hat man sich auf eine Arbeitsliste geeinigt, aber Zutaut hat das letzte Wort.
„Tom, wir haben Vertrauen zu dir“.
sagt Todd Poole, Sänger der Band, und legt seinen Arm auf Zutauts Schulter.
„Hey, wir werden Millionen von Platten verkaufen“, sagt Zutaut Jory Farr