Der Mann, der „Onkel Pö“ heißt


Daß Onkel Pös Frau Alma heißt, wie eines der schönsten Stücke des Supertrompeters Dizzy Gillespie, ist sicher Zufall. Es ist aber kein Zufall, daß Deutschlands Renommier-Jazzer Klaus Doldinger kürzlich in „Onkel Pös Carnegie Hall“ am Hamburger Lehmweg antrat, um in der Starbesetzung Les McCann (org.), Curti Cress (dr.), Buddy Guy (git., voc), Philip Catherine (git.), Pete York (dr.) und Johnny Griffin (sax.) seine neue Deutschland-Tournee zu beginnen. Die „Karnickelhalle“ ist Dreh- und Angelpunkt des Musikgeschehens.

Eigentlich war „Onkel Pö“ nur die Abkürzung für eine Kneipe im Althamburger und jetzt Schickeria-Viertel Pöseldorf. Dann wurde der ganze Verein in einen Laden am Lehmweg umquartiert, in dem früher beim „Ball der einsamen Herzen“ lange Blicke und kurze Drinks hoch im Kurs standen. Vor rund fünf Jahren (Jubiläumstag: 1. Oktober) wurde dann eine Musikkneipe daraus, damals noch eine unter den rund zwei Dutzend in Hamburg. Das änderte sich erst, als Peter Marxen, bei Freunden, Musikern und Machern als „Onkel Pö“ bekannt, mit seinem Freund Walther Dehnbostel den Laden übernahm.

Der heimliche Kneipier

Peter lebt seit 1950 in Hamburg. Nach Dekorateurausbildung und Kunststudium wurde er ein erfolgreicher Gestalter von Messeständen und gefragter Werbegrafiker. Zeitweise arbeiteten zwei Zeichner für ihn, und er karrte die Aufträge zwischen Frankfurt und Hamburg heran.

Mehr zufällig kam er ins „Pö“: „Schon während der Ausbildung hatte ich viel in Kneipen gejobbt. Mir gefiel das ganz gut. Als ich dann so nebenbei ein paar Musikprogramme zusammenstellen sollte, dachte ich, warum eigentlich nicht auf eigene Rechnung?“

Für 75000 Mark Abstand kamen Peter und Walther an Tresen und Kasse der „Carnegie Hall“ – und bis heute ging die Rechnung auf. Der 200-Mann-Laden in Eppendorf ist umgerechnet auf die Größe der umsatzstärkste Bierverkäufer Norddeutschlands! An der Musik selbst ist nichts zu verdienen.

Gut ist, was gefällt

Zumindest gilt das für Onkel Pö und sein Musikprogramm. Wo andere sich Rory Gallagher per Schallplatte anhören, holt er ihn in seinen Laden. Peter Marxen engagiert, falls Termine und Gagenforderung es erlauben, stets die Musiker, die seinem persönlichen Geschmack entgegenkommen.

„Es gibt nur wenige, die auf Miles Davis und Evelyn Künnecke stehen“, grinst er und spielt auf die enorme Bandbreite seines Musikangebots an. Blättert man in den Programmen der letzten Jahre, dann ist so ziemlich alles vertreten, was Rang und Namen hat und in Hamburg Station machte. Albert Mangelsdorff mit seinem Quartett machte den Anfang, dann kamen Liedermacher wie Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt, und auch Otto und Udo gehören zu denen der ersten Stunde. Überhaupt muß man Peter Marxen einen ungeheuren Riecher für Talente attestieren. Otto blödelte hier für ’n Appel und ’n Ei; die „Leinemanns“ machten hier die ersten musikalischen Gehversuche ebenso wie „Brunos Salon Band“, die zur Hausband des „Pö“ wurde und fast jedes Wochenende auf dem grauen Podium antritt.

Volles Haus auch ohne Schlager

„Es ist schon komisch“, meint Peter, „aber manchmal wird da ein ganzer Bus Touristen vor der Tür ausgekippt, und die kommen dann ‚rein und suchen die Hamburger Szene. Und wundern sich dann, wenn ihnen z.B. die Herbolzheimer Band um die Ohren fetzt. Bleiben wollen sie aber trotzdem.“

Kein Wunder, denn wer im „Pö“ spielt, muß was können. Inzwischen bekommt Peter mehr Angebote von Gruppen und Firmen als er Abende zur Verfügung hat. Jeder möchte gern Nachfolger von Alexis Korner sein, von Randy Pie, Freddie King, John Mayall, Chick Corea, Charlie Mingus, und wie die Cracks alle heißen, die die „Karnickelhalle“ in Vibration versetzten.

Modern Jazz, Oldtimer, Bluesund Rockmusiker, Liedermacher und Witzereißer – alles war schon da, nur keine Schlagerstars und, entgegen vielzitierter Lindenberg-Zeilen, auch keine Rentnerband …

Jazzfan auf eigene Kosten

Peter ist ständig auf der Suche nach Neuigkeiten. Auch wenn sein Programm bunt gemischt ist, so gilt seine Liebe dem Jazz. Rund 6000 Langspielplatten, Reisen in die Jazz-Zentren New York und London und vor allem persönliche Freundschaften mit zahlreichen Größen der Musikwelt verschafften ihm Kenntnisse, um die ihn mancher fleißige Journalist beneidet. Wenn z.B. im Oktober die New Yorker Gruppe Art Landes auftritt, dann hat Peter sie „vor Ort“ bereits gehört. Oder wenn Keith Jarrett vielen erst durch den 75er Deutschen Schallplattenpreis bekannt wurde, so war Peter der Veranstalter eines Konzertes in Hamburgs neuem Kongreßzentrum. Das finanzielle Risiko solcher Veranstaltungen bleibt sein persönliches. So war er auch maßgeblich am 1. Hamburger Jazzfestival beteiligt, für das die Stadt erst nachträglich magere 5000 Mark zubutterte. Andererseits sollten sich die Stadtväter mal ausrechnen, wie oft sein Name für die Stadt an der Waterkant wirbt…

Im Stillen an den Fäden ziehen

Im Grunde bleibt Peter lieber im Halbdunkel seines Tresens. Er will weder öffentliche Werbefigur sein (für das „Pö“ druckt er nichts außer Programmzetteln), noch selbst im Mittelpunkt stehen. Das bleibt den Musikern vorbehalten, die er engagiert. Er selbst reserviert für sich den Platz des stillen Genießers, stellt sich an den Rand wie in klassischen Kolossalgemälden der jeweilige Spender. Als ausgeglichener Familienvater träumt er davon, viel mehr Zeit für die Familie und das Haus am Meer zu haben, und in gelegentlichen Zukunftsvisionen sieht er sich als Landmann: „Modern Jazz und Landwirtschaft, das glaubt mir keiner!“

Daß er sich noch nicht zurückziehen kann, weiß er selbst: „Immer, wenn ich mal ausspanne, kommen Freunde und fragen: ‚Alter, wann stehst du wieder hinterm Tresen?‘ Und ob ich dann vor oder hinterm Tresen steh, ist mir wurscht. Ich muß einfach in den Laden, dort bahnt sich alles an.“

Musik ist seine Welt …

… und sonst – eine ganze Menge. Als guter Kneipier ist Peter gelegentlich Abladeplatz für Probleme und Problemchen seiner Gäste und auch der Musiker. Als Musikfan und Idealist versucht er stets, das Beste zu bieten und muß sich ganz gegen seine Art mit berühmten Branchenhaien im Musikgeschäft herumbalgen. Und als ideeller Anwalt der Musikanten hat er endlich eine eigene Schallplattenproduktion anleiern können. Zusammen mit einer namhaften Schallplattengesellschaft entwickelte er die Serie „Live im Onkel Pö“ und stellte kürzlich die ersten Produktionen mit der Peter Herbolzheimer Rhythm Combination & Brass, mit Alexis Korner, mit Liedermacher Konstantin Wecker, mit den Hamburger Allstars und mit dem Traditional Jazzstudio Prag vor.

Auf die Frage, was er machen würde, wenn er plötzlich zu viel Geld käme, hat Peter Marxen eine] für ihn typische Antwort parat: „Ich würde ein paar anständige Konzerte veranstalten, so richtig nach meinem Geschmack. Dann würde ich es in I Leute investieren, von denen ich was halte. Zum Beispiel Tony Sheridan. Der ist ein Wahnsinnsmusiker und wurde leider so oft verladen. Mit dem würde ich was aufziehen. Doch zu allererst würde ich dafür sorgen, daß ein richtiger! Jazzschlagzeuger nach Hamburg kommt.“ Sprach’s und klopfte unbewüßt den Takt zur Miles Davis-LP, die sich auf seinem Plattenspieler drehte…