Der Geheimdienst von ME/Sounds auf Spurensuche bei U2
Wo sind sie nur? Wo bleibt bloß ihre neue Platte? Millionen U2-Fans sitzen auf heißen Kohlen. Doch Bonos Bruderschaft hüllt sich in Schweigen. Nein, nichts solle bekannt werden vor der Veröffentlichung des spektakulären Werks, nichts geschrieben, gehört oder gemutmaßt. Und doch gelang es den Tonspionen von ME/Sounds, schon jetzt einiges über das neue Album von U2 in Erfahrung zu bringen.
Zum Beispiel das: Brian Eno, dessen Genie U2 in der Vergangenheit half, ihre musikalische Missionarsstellung zugunsten eines fantasievolleren, bisweilen sogar gewagten Acts ad acta zu legen, wird diesmal als Producer nicht mit von der Partie sein. Statt seiner wurde Howie B., als Studiotüftler den auf Nabelschau bedachten Londoner TripHoppern entwachsen, als U2-Mitglied auf Zeit engagiert. Und das nicht ohne Grund. Immerhin hatte Howie schon beim ‚Passengers‘-Projekt von U2 als Soundbastler und Lieferant von Samples wichtige Dienste geleistet.
Fragt sich bloß, wie Howie B., trefflicher Einfälle zum Trotz nicht eben der Inbegriff des Rock’n’Rollers, die von Bandboss Bono höchstselbst ausgegebene Parole für die nächste Platte umsetzen soll: „Das Album soll Rock’n’Roll pur werden. Feuerrot. Kein müdes Rumgemurkse.“ So jedenfalls ließ sich der Vordenker von U2 im Oktober ’95 vollmundig vernehmen, als er sich anschickte, die Seinen und sich selbst ins Studio zu bugsieren.
Seitdem wartet die Rockwelt auf Resultate — die auch immer wieder angekündigt wurden. Ja, die Band sei wohl soweit. Die neue Platte der Platinmusiker aus Dublin stehe unmittelbar vor dem Stapellauf, hieß es von Seiten der Plattenfirma. Von Oktober ’96 war die Rede, dann von November, bis es schließlich hieß, das Album (Arbeitstitel: ‚Expect Nothing But The Best‘) werde erst im kommenden Februar das Licht der Musikweiterblicken.
Dabei wollten die üblich gut informierten Kreise schon vor Monaten wissen, U2 hätten ihre Neue schon fix und fertig in der Schublade liegen. Tatsache ist jedoch, daß Bono und seine Brüder im Geiste Ende Oktober dieses Jahres in den Windmill Lane Studios in Dublin noch kräftig bei der Sache waren. Dort wurde mittels Mischpult an komplett eingespielten Songs letzte Hand angelegt. Denn mehr denn je gilt heute die Devise, daß der finale Mix das Ergebnis ausmacht. Weil aber das unwirtliche Wetter in Dublin empfindsamen Musikerseelen zu schaffen machen kann, entschwanden die irischen Musikmillionäre englischen Quellen zufolge zwischendurch mal auf eine westindische Insel, um unter karibischer Sonne Energie zu tanken.
Doch auch dort hielt sich die Money Machine des Rock’n’Roll so gut versteckt, daß sie kein Reportermikro fürchten mußte. Mark ‚Spike‘ Stent dagegen, der Mixer von ‚Mission: Impossible‘, dem Chartbreaker der U2-Rhythmiker Larry Müllen (Drums) und Adam Clayton (Bass), wäre als Techniker von Bono und seiner Bande gern zu einem Interview bereit gewesen. Wenn, ja wenn da nicht der strenge Manager von II2 wäre. Paul Mc-Guinness müsse per Unterschrift in ein Interview über seine Schützlinge einwilligen, ließ Stent gegenüber ME/Sounds verlauten, ansonsten stünden ihm, dem Techniker, „Probleme“ ins Haus. Das Interview kam, zumindest bis Redaktionschluß, nicht zustande.
Offenherziger zeigten sich da schon Larry Mullen und Adam Clayton, als sie von der ‚DJ Times‘ nach ihrer Arbeit an ‚Mission: Impossible‘ befragt wurden. „Der Erfolg von ‚Mission: Impossible‘ hat uns große Befriedigung verschafft“, meint Müllen. „Es ist ein ganz großes ‚Fuck You‘ an all jene, welche die Arbeit einer Rhythmus-Sektion nicht respektieren. Wir wollen uns zwar nicht als große Rhythmusgewerkschaft darstellen, aber es ist uns doch wichtig zu unterstreichen, daß innerhalb von U2 wesentlich mehr vor sich geht, als die Leute oft glauben. „Die späten 80er Jahre waren für uns eine Zeit, in der wir merkten, daß wir unbedingt eine Musik kreieren mußten, zu der wir uns auch bewegen konnten“, ergänzt Adam Clayton. „Also machten wir uns an die Arbeit, U2-Musik zu machen, zu der man tanzen konnte, ohne dabei über seine eigenen Füße zu straucheln. Und diese Musik mußte aus der Rhythmus-Sektion kommen. Was uns Howie B. dabei beibringt“, erklärt Clayton, „ist die Art, wie er persönlich Musik wahrnimmt. Er zeigt uns, wie wir mit Raum und Pausen umgehen können, ohne das Gefühl zu haben, sie ausfüllen zu müssen. Außerdem bringt er uns dazu, wieder ganz andere Musik zu hören, Rare Earth zum Beispiel — und plötzlich erinnert man sich, wie man Musik früher einmal hörte. Nur, jetzt versteht man, was da vor sich ging. Da entsteht ein neuer, unerwarteter Bogen, der die unterschiedlichen Elemente wieder zusammenfügt.“
An dieser Stelle meldet sich auch Howie B. zu Wort: „Ich bringe etwa 1500 Platten mit ins Studio und spiele damit herum, schaue einfach, was sich so ergibt. Sei es nun HipHop, Jazz, Wu-Tan Clan, Herbie Mann, Quincy Jones, französische Musique Concrete oder rumänische und ungarische Folklore — einfach alles.“ Bei so viel Hintergrundwissen wagt Howie sich auch an eine Beschreibung der anstehenden, geheimnisumwitterten U2-Platte heran: „Es ist Rock’n’Roll, aber mit einer komplett andersartigen Stimmung.“ Wohl auch deswegen sind die aufrechten Vier aus Dublin bisweilen „beschlußunfähig“, wie der britische ‚Guardian‘ Ende Oktober unter Berufung auf „Insider“ wissen wollte. Welche der 38 aufgenommenen Songs zum Beispiel sollen den Weg auf das Album finden? Alle dürften es kaum sein. Also muß selektiert werden. Zudem, so der ‚Guardian‘, sei die Band ob des Stilwechsels in Richtung TripHop nervös. Zumindest in finanzieller Hinsicht gibt es dafür keinen Grund. Jedem einzelnen Mitglied von U2, Manager Paul McGuinness inklusive, wird inzwischen ein Vermögen von 75 Millionen Pfund (ca. 170 Millionen Mark) zugeschrieben. Obwohl Bono für die Texte und The Edge für die Musik zuständig ist, werden alle Tantiemen brav durch fünf geteilt. Da kann man dann schon mal etwas länger überlegen, welche Songs wann veröffentlicht werden und vor allem, wie sie klingen sollen. Immerhin aber: die Single-Entscheidung ist schon getroffen. ‚Discotheque‘ soll die erste Auskopplung aus dem heiß ersehnten Album heißen. Zudem steht fest, daß die Bono-Brothers auch ihr neues Werk als Megashow auf die Bühne bringen wollen. Veranstalter: Rolling Stones-Promoter Michael Cohl.