Der DJ als Autor


North Hollywood – das klingt nach einer glamourösen Gegend. Ist es aber nicht, zumindest nicht die Hinds Avenue, eine Ansammlung heruntergekommener einstöckiger Häuser. Kein Bewohner der Straße sieht berühmt aus, einige eher furchteinflößend. Zufällig jedoch residieren in der Hinds Avenue 7325 die Power Plant Studios, und hinter deren unscheinbaren Mauern referiert ein Mensch namens Danger Mouse über ein Album, das sich in der westlichen Welt in diesem Jahr wie ein Flächenbrand verbreitet hat. Auch Danger Mouse sieht weder berühmt aus noch gefährlich oder etwa nagetierarrig. Und obwohl ich ihm Fragen über Musik stelle, spricht er lieber über Filme.

„Alles hat sich geändert, seit ich auf Woody Allen gestoßen bin“, sagt Danger Mouse, der eigentlich Brian Burton heißt. Er sitzt auf einem Sofa im Power-Plant-Foyer, isst zwei verschiedene Pizzas und trinkt Vitaminsaft; seine Beine und Arme sind gefaltet wie die einer Gottesanbeterin. „Als ich aufs College kam, hab‘ ich ‚Manhattan‘ und ‚Deconstructing Harry ‚gesehen. Da dachte ich mir: Warum spricht mich dieser 60-jährige weiße Jude so an? Warum verstehe ich seine Neurosen ? Also fing ich an, mir alle seine Filme anzuschauen. Und ich stellte fest, dass sie funktionieren, weil Woody Allen ein Autor ist: Er macht sein Ding, sein komplett eigenes Ding. Das beschloss ich mit Musik zu tun. Ich will innerhalb der Musik die Rolle des Regisseurs einnehmen, und genau das hab‘ ich mit diesem Album versucht.“

Wenn man weiß, wer Danger Mouse ist, leuchtet das ein. Wer keine Ahnung hat, wer Danger Mouse ist, braucht ein bisschen Kontext, um nachzuvollziehen, dass der größte musikalische Einfluss eines Plattenproduzenten der Mann sein soll, der „Hannah und ihre Schwestern“ gedreht hat. Aber egal, wie viel man über Brian Burton weiß: Das fragliche Album, ST. ELSEWHERE von Gnarls Barkley, ist eine verblüffende Mischung aus Alternative-Pop, psychedelischem R&.B und postmodernem Hip-Hop, und es ist ganz anders entstanden als die meisten Mainstream-Platten, darin liegt der entscheidende Grund für seinen anhaltenden Erfolg – es widerspricht allen Grundregeln, nach denen Rockbands normalerweise Musik erschaffen. Wenn Gnarls Barkley live auftritt, stehen 14 Leute auf der Bühne. Dabei besteht Gnarls Barkley eigentlich nur aus zweien: Danger Mouse und dem Rapper/Sänger Cee-Lo (bürgerlich: Thomas Calloway) aus Atlanta. In weiterem Sinne wiederum ist Gnarls Barkley nur eine einzige Person, nämlich Brian Burton. Cee-Lo ist unentbehrlich, aber eben auf dieselbe Weise, wie „Der Stadtneurotiker“ ohne Diane Keaton nicht denkbar ist. Er ist die Stimme, die Burtons Vorstellungen am besten verkörpert, also dient er diesem Projekt als Frontmann. Oberflächlich betrachtet, wirkt Cee-Lo wie der Dreh- und Angelpunkt: Er hat alle Texte geschrieben und singt alle Songs, auch die Single „Crazy“, die zum genreübergreifenden Song des Jahres wurde (eine Art 2006er-Version von Out-Kasts „Hey Ya!“). Aber auch wenn „Crazy“ Cee-Los Song ist, stammt der Gesamtentwurf, die Idee hinter dem Ganzen, doch von Burton. Die Musik ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit, aber nicht in kreativem Sinne: Ziel ist es, die Musik zu reproduzieren, die in Burtons Kopf bereits existiert.

„Crazy ist dafür ein gutes Beispiel“, sagt Burton. „Ich brachte einen Song daher, von dem ich glaubte, er sei komplett bei dem Filmkomponisten Ennio Morricone abgekupfert. Aber dann haben Cee-Lo und ich darüber geredet, und irgendwie bin ich auf diesen Abweg gekommen, dass die Leute einen Künstler nur ernst nehmen, wenn er wahnsinnig ist. Wir meinten, wenn wir wirklich wollen, dass das Album was wird, wäre es das Beste, uns umzubringen. So tickt das Publikum, es ist schwachsinnig. Also haben wir scherzhaft diskutiert, wie wir die Leute dazu bringen, uns für verrückt zu halten, stundenlang. Dann bin ich heim. Während ich weg war, hat Cee-Lo unser Gespräch genommen und ‚Crazy‘ draus gemacht, das wir dann in einem Take aufgenommen haben. Der Text ist seine Auslegung unserer Diskussion.“

Wenn man ihm so zuhört, könnte man Danger Mouse für Phil Spector halten, den genialen, egozentrischen Studiodiktator, der wegen Mordes angeklagt ist und Musiker mit Feuerwaffen bedroht haben soll, wenn sie nicht sangen, wie es ihm gefiel. Aber der Eindruck ist falsch. Besser wäre der Vergleich mit Brian Eno, dem britischen Musiker und Produzenten, der diverse Bands dazu benutzt hat, die vielen musikalischen Konzepte umzusetzen, die ihm im Kopf herumschwirren. Mindestens eines indes unterscheidet die beiden: Eno wirkte als treibende Kraft hinter Bands wie Roxy Music und Alben wie HEROES, aber der Star war nie er, sondern immer andere (etwa Bryan Ferry und David Bowie). Bei Gnarls Barkley ist Danger Mouse der Star, auch wenn man ihn auf der Bühne kaum sieht. Burton hat jene Art paradoxer Persönlichkeit, wie man sie bei kreativen Leuten häufig antrifft: ein von Haus aus Introvertierter, der beschlossen hat, zur öffentlichen Person zu werden. Vor allem ist er ein Kerl, der genau weiß, was er will – musikalische Autonomie. Er will der erste moderne Rock’n’Roll-Autor sein, weil er eine wesentliche Wahrheit über den kreativen Prozess verstanden hat: Gute Kunst kann viele Urheber haben, aber großartige Kunst entspringt für gewöhnlich nur einem einzelnen Geist. „Das nächste Album einer Band so was mache ich nicht“, sagt er. „Ich mag nicht anderer Leute Songs verbessern. Das interessiert mich nicht. Da kommt wieder die Woody-Allen-Sache ins Spiel. Ich muss der Chef meiner Projekte sein. Ich kann unterschiedliche musikalische Welten erschaffen, aber nur wenn der Künstler das Verlangen hat, sich in diese Welt zu begeben.“Gibt es ein Vorbild für diese Arbeitsweise, oder irgendeinen Produzenten, dessen Karriere er gerne nacheifern würde?“Musikalisch hat niemand eine Karriere, wie ich sie anstrebe“, sagt Burton. „Deshalb brauche ich Filmregisseure als Vorbild. Aber ich denke, es gibt andere Leute, die tun könntet!, was ich tue, und vielleicht öffnet ST. ELSEWHERE da ein paar Türen. Jack White etwa hat es geschafft, Loretta Lynn zu beherrschen, und das Ergebnis war eine großartige Platte. Das ist cool, das ist das Ziel.“

Das „Coachella Valley Music 8t Arts Festival“ ist das heißeste Wochenende des US -Pop: Es findet in der kalifornischen Wüste statt, wo man sich fühlt, als säße man in einem Hochofen und schaute MTV. Jedes Jahr treten bei Coachella etwa 80 Bands aller Richtungen vor gut 60.000 Fans aller Richtungen auf. Drei Acts sorgten bei Coachella 2006 für den meisten Gesprächsstoff. Der erste war Madonna. Der zweite war die Prog-Metal-Band Tool, die zum ersten Mal seit vier Jahren auf einer Bühne stand. Der dritte war Gnarls Barkley. Madonna und Tool haben zusammen über 200 Millionen Tonträger verkauft; von Gnarls Barkley war bis zum Coachella-Wochenende in den USA noch gar keine Platte erschienen. Gnarls sollten am Sonntagnachmittag spielen; am Samstag gaben Burton und Cee-Lo hinter der Bühne ein Interview nach dem anderen. Weil Coachella ein Open-Air-Festival ist, besteht der Backstage-Bereich lediglich aus ein paar von Zeltplanen beschatteten Sofas, neugierigen Blicken durch drei Wohnwagen entzogen. Dort traf ich Burton und Cee-Lo vor einigen Monaten zum ersten Mal und sprach mit dem Sänger. Burton war schlicht gekleidet und trug eine Sonnenbrille. Cee-Lo mampfte Kartoffelchips. Sein Kopf ist kahl, die Gliedmaßen monströs lang, seine Armbanduhr so groß wie eine Wanduhr. Tätowierungen überziehen seinen ganzen Körper, darunter das bekannte Yin-und-Yang-Symbol und das Logo der University of Georgia Bulldogs.

Außerdem steht da das Wort „BLOOD“. Ich fragte Cee-Lo, ob das BLOOD-Tattoo bedeute, dass er Mitglied einer Gang sei, was er verneinte. Das Dementi klang nicht sonderlich überzeugend.

„Ich gehöre keiner Gang an“, sagte Cee-Lo, „aber ich habe damit zu tun. Ich bin nicht im Geringsten aktiv, aber zufällig sind viele von meinen Homies Bloods. Viele von ihnen.“ Cee-Lo ist ein cleverer Bursche mit einer erstaunlich vielfältigen Karriere. Vor Gnarls Barkley kannte man ihn als Mitglied von Goodie Mob, einer der ersten wichtigen Hip-Hop-Gruppen aus dem Süden. Er war Backgroundsänger auf TLCs Nummer-eins-Single „Waterfalls“ und schrieb und produzierte den Hit „Don’t Cha“ für die Pussycat Dolls. Cee-Lo bezeichnet sich selbst als Soulsänger und -songwriter, nicht als Rapper („Rap ist bloß ein rhythmisches Muster“, meint er). Wenn er spricht, hört er sich an wie ein Pfarrer, was an seiner Herkunft liegen mag: Seine Eltern waren beide Priester, sein Vater starb jedoch, als er zwei, seine Mutter, als er 18 war. Das klingt nicht gerade nach einer beschaulichen Jugend. „Ich war verwegen und leichtsinnig, ein Raufbold und ein Pyromane.“

Schon bevor sie sich kennenlernten, wusste Burton, wer Cee-Lo war, weil er Goodie Mob mochte, aber auch weil seine Schwester mit einem ehemaligen Schüler von Cee-Los Highschool verheiratet war („Meine Schwiegermutter sagte mir, er sei ein Rowdy“, erinnert sich Burton). Mitte der 90er trafen sie erstmals aufeinander, an einem verregneten Abend in Athens; Burton war damals noch ein unbekannter Telekommunikations-Student an der University of Georgia. Goodie Mob hatten einen Auftritt mit OutKast, und ein Talentwettbewerb sollte entscheiden, wer im Vorprogramm spielen durfte. Burton gründete eine Spontanband namens Rhyme & Reason. Sie wurde Zweite, bekamen den Gig aber dennoch. Danach überreichte Burton Cee-Lo eine CD mit seiner Musik, weil er wusste, dass Cee-Los Geschmack über die Grenzen des Rap hinausreichte. „Er wusste, dass ich Portishead mag“, sagte Cee-Lo. „Das hat uns verbunden. Als er mir sagte, dass er auf Portishead steht, wusste ich Bescheid.“

Die alle Genregrenzen sprengende Mixtur auf ST. ELSEWHERE lässt es auf fast paradoxe Weise vorhersehbar erscheinen, dass die benebelten, schwermütigen Klanglandschaften eines weißen britischen Trip-Hop-Projekts zur Grundlage der musikalischen Allianz zweier Schwarzer in Georgia wurde. „Als ich Cee-Lo meine Musik vorspielte“, sagt Burton, „bewegte er sich genau so, wie ich mir das als Reaktion der Leute auf die Musik vorstellte. Also dachte ich: Vielleicht habe ich den Sänger für diese Songs gefunden.“ Im Herbst 2003 begannen die beiden mit der Arbeit an ST. ELSEWHERE; den Anfang bildete das Demo „Storm Warning“, das am Ende auf dem fertigen Album landete. Aber hier ist ein kleiner Einschub nötig, weil zwischen damals und heute etwas geschah, was einer Erklärung bedarf: 2004 veröffentlichte Danger Mouse das erfolgreichste Album der Rockgeschichte, das so gut wie niemand kaufte.

„Ah, das GREY ALBUM“, sagt Burton mit einem tiefen Seufzen. Wir sind wieder in North Hollywood, und Danger Mouse ist immer noch am Pizzaessen.

„Das GREY ALBUM ist total missverstanden worden. Ich habe es nicht mal so genannt. Meine Original-Dateien tragenden Titel,The Black-White Album‘. Vor allem denken die meisten Leute, die die Platte haben, sie klingt so, wie ich wollte, dass sie klingt. Und das stimmt überhaupt nicht.“

Wenn interessante Dinge geschehen, kommt es vor, dass sich niemand drum schert – und manchmal horcht die ganze Welt auf. Das GREY ALBUM zählt zur zweiten Kategorie. Anfang 2004 arbeitete Burton mit ein paar Indie-Rappern an Plänen; er hatte bereits drei Elektronikalben unter dem Namen Pelican City veröffentlicht und mit Pausenmusik für Zeichentricksender Geld verdient. Die Welt kannte ihn nicht, aber in einer bestimmten Nische der Musikindustrie konnte er durchaus als etabliert gelten. Die Industrie wiederum wurde gerade gegen ihren Willen neu erfunden. Musik aus dem Netz herunterzuladen, war das neue große Ding; dank Napster wussten die meisten Musikfans, wie Downloaden funktionierte, auch wenn sie es selbst nicht praktizierten. Das machte die Frage, wem Musik gehörte und was dieses Eigentum bedeutete, wieder aktuell – auf neue Weise: Inzwischen war es durch den technischen Fortschritt jedem Besitzer eines Computers möglich, existierende Musikaufnahmen zu manipulieren und unmittelbar zu kopieren. Die Musikwelt stand an der Schwelle zu einer alles erfassenden Revolution.

Genau zu diesem Zeitpunkt beschloss Burton, sein Schlafzimmer aufzuräumen. „Eines Tages putzte ich mein Zimmer und hörte das Weiße Album der Beatles. Mir war langweilig, weil die Hip-Hop -Sachen, die ich machte, echt leichte Arbeit waren, jemand hatte mir das BLACK ALBUM als A-capella-Version geschickt, aber ich war damals schon mit Cee-Lo und jemini und Doom beschäftigt, also wollte ich meine Beats nicht an ein Remixalbum verschwenden.“ THE BLACK ALBUM ist eine Platte von Jay-Z von 2003. Jemini und Doom sind die zwei Indie-Rapper, mit denen Burton zusammenarbeitete. Die Beatles sind die Beatles. „Ich höre also das Weiße Album und räume gerade das Black ALBUM weg, und da kommt mir die Idee: Ich wollte mal sehen, ob man aus den beiden Alben einen Song machen kann, einfach wegen der Titel und weil sie als so unterschiedlich gelten und weil ich Ringo Starrs Schlagzeugsound schon immer geliebt habe.“

Obwohl ein gewaltiger Medienrummel um das GREY ALBUM losbrach, wird der erste Teil von Burtons Erklärung für seine Entstehung immer übersehen: ein sprachlicher Zufall. Wäre das Beatles-Doppelalbum von 1968 unter seinem wahren Titel („The Beatles“) bekannt, dann wäre das alles nicht passiert.

„Ich setzte mich hin und versuchte einen Track zu machen, und das ging echt schnell. Dann probierte ich einen zweiten, das dauerte viel länger, aber es haute hin. Und ich dachte: Wow! Wie wär’s mit dem ganzen Album?Das war fast so ein Andy-Warhol-Moment, der Entschluss, etwas Künstlerisches zu tun, ohne einen klaren Grund, warum ich es tat, außer um den Leuten zu zeigen, was ich kann. So ein Album könnte ich nie wieder machen. Das hat gut 20 Tage am Stück gedauert, und zwar-, 13-Stunden-Tage. Und die ganze Zeit fürchtete ich, dass jemand anderer denselben Einfall hat, damit wäre alles ruiniert gewesen. Weil die Idee wirklich sehr simpel ist. „

Für die, die das GREY ALBUM nicht heruntergeladen haben, sei kurz umrissen, wie es klingt: Man stelle sich alle musikalischen Elemente des Weißen Albums vor, in kleine Stücke zerhackt (jeder einzelne Schlagzeugwirbel, der Mittelteil von „Heiter Skelter“, die Einleitung zu „While My Guitar Gently Weeps“ usw.). Burton mischte diese Stücke zu Loops und Samples und legte sie unter Jaz-Zs Raps (die ohne Weiteres verfügbar waren, weil die A-capella-Version des BLACK ALBUM offiziell veröffentlicht wurde). Einige der Kombinationen fügten sich bemerkenswert gut ineinander, das Ganze schien eine clevere Idee, und der Augenblick war für so etwas ideal. „Entertainment Weekly“ ernannte es zum Album des Jahres, und die Plattenfirma EMI erwirkte gegen Burton eine einstweilige Verfügung wegen unrechtmäßigen Gebrauchs der Beatles-Songs. Burton schätzt, dass das Album mehrfach Platin erreicht hat, überprüfen kann er das freilich nicht. „Ich dachte, es wäre eine abseitige Kultplatte für Technikfreaks, weil sie die Einzigen sind, die abschätzen können, wie viel Arbeit da drinsteckt. Aber dann ist die Sache auf ein ganz anderes Gleis geraten, wo sie Millionen Leute gleichzeitig runtergeladen haben. Die Platte ist bestenfalls skurril, schräg und echt illegal. Ich hätte nie gedacht, dass so was mal in Clubs aufgelegt wird. Außerdem glaube ich, die Leute, die drauf stehen, stehen aus den falschen Gründen drauf, und die, die die Platte hassen, hassen sie aus den falschen Gründen. Manche lieben sie für das, was sie vermeintlich der Musikindustrie angetan hat, da bei war das gar nicht meine Absicht. Ich habe das GREY ALBUM nicht für Musikliebhaber gemacht, sondern um Leute zu beeindrucken, die wirklich was vom Sampeln verstehen.“ Arglosen Konsumenten erschien das GREY ALBUM wie die Vereinigung zweier Kulturen, die nicht nur total verschieden sind, sondern für gegensätzliche Ideologien stehen. Wer die Platte hörte, entdeckte ungeahnte musikalische Querverbindungen. Das ist so etwas wie Burtons Lebensgeschichte. Er wuchs in Spring Valley, New York, auf, in einer jüdisch dominierten Nachbarschaft; seine war eine von nur zwei schwarzen Familien. „Meine Eltern erklärten mir nie, warum ich anders war“, behaupteter. „Ich denke, das war gut. Ich hatte keine Ahnung, warum ich aussah, wie ich aussah, also war ich auf meine Fantasie angewiesen.“ Man schrieb die 8oer, also hörte Burton Poison-Platten. Als er ein Teenager war, zogen seine Eltern nach Georgia; da waren alle schwarz. Er hörte RZA. Als Burton aufs College kam, war er besessen von Hip-Hop; für einige Zeit war das die einzige Musik, die er konsumierte. Dann aber beschloss er, ein Bier trinken zu gehen, und alles wurde anders. „Ich weiß noch, wie ich in einer Bar WISH YOU WHERE HERE von Pink Floyd hörte“, sagt Burton. „Das war ungefähr 1995. Und ich weiß noch, dass ich das so schön fand. Es hat mich richtig benommen gemacht. Ich fragte jemanden, was das ist, und der: ,Das weißt du nicht? Das ist Pink Floyd.‘ Freilich kannte ich Pink Floyd, aber ich wusste nicht, wie sie klingen. Ich hatte ihre Platten nie gehört. Und jetzt fragte ich mich auf einmal: Warum habe ich mir in all den Jahren nie diese Musik angehört? Also zog ich los und kaufte alle Pink-Floyd-Platten.“ Die Folgen reichten bis in die Anfangstage der ST.-ELSEWHERE-Sessions; „Was mir ursprünglich vorschwebte, war eine psychedelische Platte, die sich anhörte wie eine psychedelische Platte aus den späten 60ern und frühen 70ern „, sagte Burton. „Im Grunde so wie alle, die die Beatles kopierten. Ich schätze, Bands wie die i$th Floor Elevators und die Electric Prunes, das sind die, die man kennt, aber das war wirklich namenlose Musik, es gab Tausende von diesen Gruppen.Was mir an ihnen gefiel, war, dass die Musiker verrückte Entscheidungen trafen. Sie spielten 30 Sekunden lang eine normale Melodie und schmissen dann etwas komplett Unkommerzielles und Wahnsinniges hinein. Warum taten sie das? Das haute mich um. Ich wollte experimentelle Musik machen, die trotzdem Melodie hat.“ Man mag darüber streiten, ob und bis zu welchem Grad ST.ELSEWHERE als Psychedelic-Platte gelungen ist; aufs erste Hören wirkt sie nicht sonderlich trippig oder bewusstseinsverändernd. Burton behauptet, das Album folge einem „stufenweisen Lernprozess“, weil die unorthodoxen Tempi und kinematischen Elemente zufälligen Hörern vielleicht gar nicht auffallen. Bei „Crazy“ ist das offenbar nicht der Fall. Der Lernprozess bei dieser ultra-zugänglichen Single war lächerlich einfach, weshalb sie wohl auch so gut funktioniert hat. „Damit eine Platte auf Platz eins geht, muss sie Leuten gefallen, die keine Ahnung haben, wer du bist und was du machst“, sagt Burton. „Das ist einfach so.“ Gnarls Barkley ist umgeben von einem Schleier aus Geheimnissen, die das Duo teilweise absichtlich zu pflegen scheint. So weigern sie sich zum Beispiel beharrlich, den Namen „Gnarls Barkley“ zu erklären. Außerdem lassen sich die beiden nur in Verkleidung fotografieren, als Helden von Kinoklassikern, was manche Leute vermuten lässt, es gebe irgendeine symbolische Verbindung zwischen den Masken und der Musik; dabei ist das einfach etwas, was sie gerne tun. Das vielleicht Seltsamste an ihrer Freundschaft ist, dass Cee-Lo in zwanglosen Unterhaltungen Burton tatsächlich Danger Mouse nennt. Soweit ich weiß, ist er der Einzige, der das tut.“Ich nenne ihn sehr selten Brian“, sagt Cee-Lo. „Ich liebe den Namen Danger Mouse, weil das ein Oxymoron ist. Aber er ist auch gefährlich, wirklich.“

Die Zukunft der Band ist nach wie vor offen, aber immerhin verspricht Burton jetzt schon, es werde ein weiteres Gnarls-Album geben. In der Zwischenzeit hat er erstmal an Alben von Black Thought von den Roots, von Sparklehorse und mit Blur-Frontmann Damon Albarn (s.S.40 ff) gearbeitet. Mal sehen, ob es Burton gelingt, seine „Autorenphilosophie“ für Rockproduktionen durchzusetzen.