DER BERG IN DIR
In den frühen 2000er-Jahren sprach man im Zuge des x-ten Indie-Rock-Revivals eine Zeit lang von „Antifolk“, ein Begriff, der allerdings bis in die Achtziger zurückreicht. Moldy Peaches und Jeffrey Lewis legten in New York die Direktheit des Folk schroff und schlampig aus, um, geschult an Punk, mit einfachsten Mitteln den größtmöglichen Effekt zu erzielen. DIY war das Schlagwort. Das Ziel: der unverfälschte Ausdruck. Am anderen Ende des Landes, in Olympia/Washington, verfolgten verschiedene Künstler auf dem Label K Records zur gleichen Zeit eine verwandte Version. Allerdings betrieben Acts wie Mirah und The Microphones DIY noch konsequenter: Die Alben wurden im labeleigenen Dub Narcotic Studio aufgenommen, LP-Cover per Siebdruck hergestellt, fast jeder Aspekt des Musikmachens und rundherum wurde selbst erledigt.
The Microphones waren in ihrer DIY-Bescheidenheit und Betonung des Unperfekten ein Gegenentwurf zum Star, der sich rar macht, den man immer nur von Weitem, vermittelt, vervielfältigt, massenhaft reproduzierbar erlebt. Die Platten waren handgemacht, es waren viele und sie vermittelten die Vertrautheit der Sendungen eines guten Brieffreunds. Auch die Musik atmete die Unmittelbarkeit des Schnell-viele-Platten-Machens und Wiebesessen-Weiterschreibens sowie die daraus resultierende Transparenz und Experimentierfreude. Manche Alben waren nicht einmal vollständig im herkömmlichen Sinn. Der Autor nennt zum Beispiel Vinyl-10-Inches sein Eigen, auf denen lediglich Schlagzeugspiel oder „Singing from Mt. Eerie“ zu hören sind – vielleicht die sinnlosesten Platten seiner Sammlung und gerade deshalb so schön. Phil Elverums Veröffentlichungen wurden über die Jahre aufwendiger, erhielten einen immer deutlicheren Unikat-Charakter, Kunstobjekte um die Musik herum, statt reguläre Alben zu sein. Die Cover sind häufig riesige Poster, die ein intimes, verworrenes Universum offenlegen, eine Mischung aus Tagebuch und einem Schuhkarton voller Fotografien und Notizen:
„Mich zogen Kunst und Musik immer besonders an, die nicht den Fingerabdruck des Künstlers kaschieren. Hintergrundgeräusche, die beim Homerecording entstehen, erschaffen manchmal eine viel tiefere, greifb arere Welt als etwas, was ,perfekt‘ klingt. Diese Arbeitsweise schließt bei mir alles ein, bis zum Packen und Versenden meiner Platten. Ich mache alles selbst, schreibe die Adresse aufs Paket, gehe zur Post und bin glücklich darüber, diese Lebensaufgabe zu haben.“
The Microphones blieb bis zum Übergangsalbum MOUNT EERIE (2003) der Name, unter dem Phil Elverum seine Musik veröffentlichte. Mount Eerie wurde danach zum neuen Projektnamen, die Tonträger erscheinen seither unter dem Label P.W. Elverum & Sun. Obwohl gerade die jüngeren Mount-Eerie-Alben mit ihren Drone-und Ambient-Soundscapes weit entfernt vom fragilen Akustikgitarren-Folk früher Microphones-Werke scheinen, ziehen sich viele Elemente von Anfang an durch die umfangreiche Diskografie. Schon bei The Microphones verloren sich zarte Fragmente aus folky Fingerpicking in Noise-Kakophonien, die oft die Grenzen des Erträglichen, von Schön-und Schmerzhaftigkeit, ausloten.
Guten Zugang zu Elverums Musik erlaubt sein 2001er-„Hitalbum“ THE GLOW PT. 2 von The Microphones, das ziemlich exakt die Schwelle der Extreme darstellt, zwischen denen er oszilliert und das ihm erste breitere Aufmerksamkeit brachte. Dann LOST WISDOM von 2008, eines der homogensten, songorientiertesten, besten seiner Alben, entstanden in Kooperation mit der Kanadierin Julie Doiron von der Indie-Rock-Band Eric’s Trip. Und OCEAN ROAR von 2012 und insbesondere der gleichnamige Song, bei dem seine Beschäftigung mit Spielarten extremer Musik wie dem Black Metal deutlich wird, aber nicht ins einschüchternde Donnerwetter kippt, sondern eine ätherische Eleganz des Lärms zelebriert wird – und dabei stark an My Bloody Valentine erinnert.
Wie der Name Mount Eerie schon verrät, übt die Umgebung, in der Phil Elverum lebt, einen wichtigen Einfluss auf seine Arbeit aus. Der Mount Erie ist der Hausberg von Anacortes, einem 16 000-Einwohner-Städtchen, in dem Elverum 1978 geboren wurde und das er nur kurz verließ, um in Olympia halbherzig ein Semester zu studieren. Elverums gesamtes Schaffen ist eng mit dieser Gegend verwoben: The Pacific Northwest. In der Region spielt auch David Lynchs legendäre TV-Serie „Twin Peaks“. Dass es in dieser Kleinstadt ein Tor zu einer unheilvollen Paralleldimension gibt, ist Lynchs Interesse am Dämonischen im Menschen geschuldet. Dass er dafür gerade diese Gegend als Schauplatz wählte, hat gute Gründe: Die Wälder sind dunkler, mächtiger, mystischer als anderswo.
In dem Song „Between Two Mysteries“(auf WIND’S POEM, 2009) greift Elverum Angelo Badalamentis „Twin Peaks“-Soundtrack auf und schließt so den Kreis. Dass David Lynch auch von Elverums Bandnamen Mount Eerie angetan wäre, davon darf man ausgehen. Hat der doch den neutralen Ortsnamen durch Hinzufügen eines weiteren „e“ zu einem unheimlichen Ort umgedeutet – denn genau das bedeutet das Wort „eerie“: „unheimlich“.
Phil Elverums Beschäftigung mit Natur entspringt nicht einem Verklären und Mystifizieren des Natur-Begriffs vom Schönen, Ursprünglichen, sondern dem Nachdenken über den Platz des Menschen in der Welt, als Teil der Natur, zu der Parkplatz und Shopping Mall genauso gehören wie Lava, Wasser und Wind:
„Mein Thema ist ‚Existenz‘ als großes Ganzes. Ich bin gegen jede Romantisierung, besonders die der Natur und für eine klare, unverstellte Wahrnehmung. Ich mag den Begriff, Natur‘ nicht. Es ist falsch, die Welt in separate Orte aufzuteilen, sie ist viel komplexer. Berge und Websites koexistieren am selben Ort. Und in der Küche wächst Schimmel. Die Vorstellung, dass Natur etwas Separates ist, scheint mir genauso abwegig wie die von einem Leben nach dem Tod – im Himmel oder Paradies. Es gibt nur das Jetzt. Das Gefühl im Einklang mit der Natur zu sein, das viele in meiner Musik hören, hat damit zu tun, dass ich diese Haltung tatsächlich vermitteln will. Ich sage nicht:,Geh raus in die Natur, in den Wald!‘, sondern wie Buddhisten annehmen, dass unsere Buddha-Natur sich in uns befindet und wir sie nur herauskommen lassen müssen, sage ich: ,Die Wildnis ist ein Teil von dir, akzeptiere sie.‘ Es gibt weder Gott noch Natur.“
Über und mit Phil Elverum zu sprechen, führt schnell über seine Musik hinaus und mündet ins Uferlose, so wie oft auch seine akribischen, überfüllten Songs. So können hier nur noch am Rande seine „Fancy People Adventures“ erwähnt werden, Cartoons, die an die Arbeiten des Schotten David Shrigley erinnern, oder sein Coffee Table Book mit Fotos von Straßen, Häusern, Bäumen. Elverums allumfassender Kunst- und Lebensbegriff verschmilzt analog zur Weigerung, Mensch und Natur als getrennt zu verstehen, alles zu einem großen Klumpen, der mal diese, mal jene Form hat. Dass er sich in diesen Tagen nach Europa aufgemacht hat, um auf Konzertbühnen weiter an diesem Klumpen zu arbeiten, soll unbedingt als Veranstaltungstipp verstanden werden.