Der amerikanische Patient


Nach fast fünf Jahren in der Versenkung und nach überstan- dener Drogensucht ist EMINEM wieder da. Die Taktik: Er tut das, was sein erfahrener Karrieredoktor Dre ihm rät.

Der Herr trägt eine graue Betonfrisur, ein unbewegliches Lächeln und einen fliederfarbenen Schlips. Und er ist ganz offenbar bedeutend. „leb kann Ihnen auch ein Interview geben, wenn Sie möchten. Ich bin Manager, Private Equity“, sagt er. Wer Eminem ist, weiß er nicht, HipHop kennt er ebenso wenig. Aber hier, im Schlosshotel im Bergischen Land mit Blick auf die Kölner Bucht, da sei er Stammgast. Der Herr wundert sich vermutlich, denn heute laufen hier die Dinge anders. Neben den Journalisten in der Lobby diffundiert der fußballmannschaftsgroße Clan des erfolgreichsten weißen Rappers aller Zeiten durchs Hotel. Barock und Baggypants – eine steile Kombination, definitiv angenehmer als der Abend zuvor, als Eminem sich gezwungen sah, zu Stefan Raabs Klampfefreezustylen. Er machte gute Miene zum bösen Spiel, das Label war vermutlich nicht amused. Denn wenn eines im Slim-Shady-Camp gerade nicht angesagt ist, dann Spontaneität. Fragen fürs Interview musste man vorher einreichen — das Management wischte dann großzügig und nicht restlos nachvollziehbardrüber. Tendenz nach Zettelvergleich am Reportertisch: Verboten ist offenbar alles, was mit dem Privatleben zu tun hat. Auch Fragen zu anderen Künstlern sind nicht wohlgelitten. Wie es beim Videodreh war, soll geheim bleiben, ebenso, welcher Track auf RELAPSE, dem ersten Album seit fünf Jahren, nun dem Künstler besonders am Herzen liegt. Eine Kollegin streicht neun von 16 Fragen durch. Die Stimmung ist angespannt, mittlerweile haben sich die anvisierten Interviewtermine um zwei Stunden verschoben. Die Einschätzungen zum aktuellen Zustand des Künstlers schwanken je nach Sichtweise zwischen „totalgut drauf“ (Plattenfirma) und „völlig durch“ (jeder, der am Abend Eminems „TV Total“-Auftrin gesehen hat). Die Wahrheit liegt, wie immer, in der Mitte. Eminem sieht frisch aus. 25, älter würde man den tatsächlich 36-Jährigen nicht schätzen. Enstfreundhch und auskunttsfreudig. Gleichzeitig hat die erneute Sucht, die Krankheit Spuren hinterlassen. Gewisse Konzentrationsschwächen sind festzustellen, könnten aber auch etwas mit dem Promotion-Marathon der letzten Tage zu tun haben, den Eminem zum ersten Mal clean absolvierte, was er selbst zum zentralen Thema des Interviews macht. „Ich hob eine Zeit lang wirklich alles genommen, was ich kriegen konnte. Alles, von dem ich dachte, es würde mir beim Einschlafen helfen. Ich mischte mir gewissermaßen eigene Cocktails und suchte immer wieder nach neuen Kombinationen. Das ist natürlich kompletter Irrsinn, weil es die Abhängigkeit steigert.“

Gute drei Jahre war der Rapper schwer medikamentenabhängig. Drei Jahre, in denen nichts voranging: “ Bei mir stagnierte die Kreativität während meiner Sucht völlig. Ich schrieb die gleichen Dinge, ich tappte die gleichen Dinge. Ich erlebte ja auch nichts.“ Erst nach einer Therapie funktionierte es wieder, und dass es funktionierte, lag vor allem an Dr. Dre, der für fast alle Beats auf RELAPSE verantwortlich zeichnet. „Mir hat das den Druck genommen. Ich hatte so alle Zeit der Welt, mit verschiedenen Flows und Patterns herumzuexperimentieren und mich auf die Lyrics zu konzentrieren“, sagt Eminem. Dre sei es auch gewesen, der ihm die Agenda für die neue Platte mitgegeben habe: „Ihn hatte ich irgendwann vor Beginn der Aufnahmen gefragt, was er denn glaube, was die Leute von mir erwarten. Und er meinte, die Leute würden schon auch den alten Eminem wollen. Den Psychopathen, den Typen, der rumpöbelt und die Kontrolle verliert. “ Wer Stücke wie „We Made You“ und „3 a.m.“ hört, erkennt in der Tat rasch, dass die Dinge so viel anders als früher nicht stehen. Eminem gibt nach wie vor entweder den Rüpel oder den latent schizophrenen Jekyll/Hyde. Und auch im Interview kann er’s nicht lassen. Von der im ernsten Duktus diskutierten Drogensucht zum „assgame“ des in dem Song „We Made You“ angebaggerten US-Sternchens Kim Kardashian sind’s keine 20 Sekunden. Später stehen vier Minivans vor dem Hotel. “ Ein Gast“, sagt der wirklich sehr diskrete Concierge, möchte shoppen gehen. Der Herr mit der Betonfrisur ist’s nicht, der ist verschwunden. Also Eminem. Der Kerl, der wegen seiner Sucht angeblich drei Jahre lang sein Haus nicht verlassen konnte. In der Tat stehen am nächsten Tag Paparazzi-Fotos im Internet. Eminem,z wischen Boxershorts und Käppis, umgeben von seiner Crew. Offenbar gut drauf – und das ist dann doch eine beruhigende Nachricht.

Albumkritik s. S. 74 uww.emmem.com